Dtsch Med Wochenschr 2014; 139(13): 660-662
DOI: 10.1055/s-0034-1369859
Arztrecht in der Praxis | Commentary
Arztrecht
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Arzthaftung in der Inneren Medizin: Wann liegt ärztliches Fehlverhalten vor?

Doctor liability in internal medicine: How is medical malpractice defined?
T. Oehler
1   Advokaturbüro Oehler, Osnabrück
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Publikationsverlauf

18. Juli 2013

05. September 2013

Publikationsdatum:
19. März 2014 (online)

Einleitung

Das Patientenrechtegesetz regelt in § 630 Buchst. a Abs. 2 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB), dass die Behandlung eines Patienten nach dem allgemein anerkannten fachlichen Standard zu erfolgen hat, der zum Zeitpunkt der Behandlung bestand, soweit nicht etwas anderes bestimmt ist. Handelt es sich bei dem Behandelnden um einen Arzt, so hat dieser den Patienten grundsätzlich laut den allgemein anerkannten Standards der Medizin zu behandeln. Medizinischen Standards beziehen sich auf die Art und Weise, wie ein Arzt seinen Patienten behandelt und sind daher nicht auf ein abstrakt vorgegebenes Ziel, sondern auf die in der Praxis bereits verfolgten Verhaltensmuster ausgerichtet. Voraussetzung ist allerdings, dass fachliche Standards auch tatsächlich existieren und anerkannt sind [1].

Für den Standard bei Diagnosefehlern ist die amtliche Begründung des Patientenrechtegesetzes von Relevanz. Der Gesetzgeber ging bei Diagnosefehlern davon aus, dass Irrtümer und Fehlinterpretationen in der Praxis häufig vorkommen und oft nicht einmal die Folge eines vorwerfbaren Versehens des Behandelnden sind. In der eingebrachten Gesetzesmotion war bekannt, dass die Symptome einer Erkrankung nicht immer eindeutig sind. Sie können auf die verschiedensten Ursachen hinweisen, selbst wenn die Möglichkeit besteht, vielfache technische Hilfsmittel einzusetzen, um ein zutreffendes Untersuchungsergebnis zu erlangen. Allerdings stellte die Gesetzesbegründung auch klar, dass diese zum Teil für die Ärzte widrigen Umstände diese nicht von der Verpflichtung entbinden, unter sorgfältigem Einsatz des Fachwissens und Könnens das Risiko für den Patienten abzuwägen. Exemplarisch wurde der Fall genannt, dass der Behandelnde z. B. die Durchführung einer bestimmten Untersuchungsmethode versäumt und infolgedessen eine fehlerhafte Diagnose stellt. Ist das der Fall, dann haftet der Behandelnde.

Diese Ausführungen des Gesetzgebers dienten jedoch nur dazu, den Erlass des Patientenrechtegesetzes zu begründen. Die Vorschriften, die mit dem Patientenrechtegesetz in das Bürgerliche Gesetzbuch implementiert wurden, kommen aber nur zur Anwendung, wenn ein Behandlungsvertrag vorliegt. Liegt kein Behandlungsvertrag vor, dann gelten die Vorschriften des Deliktsrechts (§§ 823 ff. BGB) – und gerade für diese gilt die Gesetzesbegründung des Patientenrechtegesetzes nicht. Daraus ergibt sich die Relevanz des Urteils des Oberlandesgerichts (OLG) Frankfurt, welches im Folgenden erläutert wird: Es setzt die höchstrichterliche Rechtsprechung zur Arzthaftung fort.

Zum ärztlichen Standard bei der Diagnosestellung votierte der Bundesgerichtshof (BGH) [2] bereits im Zusammenhang mit einem Fall aus der Unfallchirurgie: Danach ergab sich ärztliches Fehlverhalten auch, wenn der behandelnde Arzt ohne vorwerfbare Fehlinterpretation von Befunden eine objektiv falsche Diagnose stellt und diese darauf beruht, dass der Arzt eine notwendige Befunderhebung entweder vor der Diagnosestellung oder zur erforderlichen Überprüfung der Diagnose unterlassen hat. Ein solcher Fehler in der Befunderhebung kann zur Folge haben, dass der behandelnde Arzt oder der Klinikträger für eine Behandlung, die der tatsächlich vorhandenen Krankheit nicht gerecht wird – und deren Folgen – einzustehen hat.

kurzgefasst

Ob medizinischer Standard eingehalten wurde, bestimmt sich grundsätzlich nicht nach dem Behandlungsergebnis, sondern der Einhaltung von Verhaltensmustern. Aus einem Diagnosefehler kann nicht per se auf ärztliches Fehlverhalten geschlossen werden.