TumorDiagnostik & Therapie 2014; 35(5): 306
DOI: 10.1055/s-0034-1369213
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Berühmte Persönlichkeiten – Ignaz Semmelweis: Eine große Entdeckung und noch größere Ignoranz

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Publication Date:
19 August 2014 (online)

Er gilt als der Vater der Antisepsis: Ignaz Semmelweis. Doch er war beileibe kein gefeierter Held, sondern eine eher tragische Gestalt, denn seine bahnbrechenden Erkenntnisse wurden von den meisten Kollegen verlacht und ignoriert, er selbst war starken Anfeindungen ausgesetzt. Ignaz Philipp Semmelweis wurde am 1. Juli 1818 als Sohn des Kaufmanns Josef Semmelweis und seiner Frau Theresia im ungarischen Ofen bei Buda geboren, einem Teil des heutigen Budapest. Nach dem Besuch des Gymnasiums studierte er zunächst Philosophie und wechselte 1837 nach Wien, wo er eigentlich Rechtswissenschaften belegen wollte, sich dann aber für die Medizin entschied. 1844 wurde er promoviert und begann anschließend am Allgemeinen Krankenhaus zu arbeiten, zunächst am Institut für Pathologische Anatomie.

1846 wurde er Assistenzarzt in der geburtshilflichen Abteilung, wo die Letalität der Wöchnerinnen damals bis zu 15% betrug. Verglichen mit anderen geburtshilflichen Kliniken war dies aber noch ein relativ guter Wert, denn es gab durchaus auch Raten bis zu 30%. Semmelweis war vor allem darüber betroffen, dass es auch zwischen seiner eigenen und einer weiteren geburtshilflichen Abteilung am Allgemeinen Krankenhaus einen recht deutlichen Unterschied bezüglich der Mortalität am Kindbettfieber gab, die in der anderen Abteilung nur etwa ein Drittel betrug.

Semmelweis wollte der Sache auf den Grund gehen und fing damit an, die Wöchnerinnen noch gründlicher zu untersuchen, was zunächst die Mortalität weiter steigen ließ. Doch nach und nach gelangte er auf die richtige Spur. Zunächst einmal realisierte er, dass in seiner eigenen Abteilung Ärzte und Medizinstudenten arbeiteten, in der anderen Abteilung aber nur Hebammenschülerinnen ausgebildet wurden. Infektionen hielten die Chirurgie – und nicht nur diese – damals fest in ihrem Griff: Auch wenn die Operation als solche geglückt war, kam es im Verlauf häufig zu Wundinfektionen, die nicht selten tödlich endeten.

Noch gegen Ende des 18. Jahrhunderts starben in den großen Hospitälern wie dem Hôtel Dieu in Paris, das über rund 5000 Betten verfügte, etwa 25% aller stationären Patienten.

Durch das Studium von Sektionsberichten kam er 1847 schließlich zu dem Schluss, dass die Erkrankung durch die verunreinigten Hände von Ärzten und Medizinstudenten auf die Wöchnerinnen übertragen wurde.

Ein dramatischer Vorfall hatte ihn in die richtige Richtung denken lassen: der ihm befreundete Gerichtsmediziner Jakob Kolletschka (1803–1847) war, nachdem er wenige Tage zuvor von einem Studenten bei einer Sektion mit dem Skalpell verletzt worden war, an einer Blutvergiftung gestorben – einer Erkrankung, die ähnlich dem Kindbettfieber verlief. Auch in der Abteilung von Semmelweis führten Ärzte und Medizinstudenten Sektionen der verstorbenen Patientinnen durch. Anschließend wuschen sie sich – nicht immer – die Hände zwar mit Seife, desinfizierten sie aber nicht. Wenn sie dann die schwangeren Frauen während der Entbindung untersuchten, übertrugen sie die Keime. Die Hebammenschülerinnen dagegen führten keine Sektionen durch und untersuchten auch nicht vaginal.

Nachdem Semmelweis diesen Übertragungsweg vermutet hatte, wies er Ärzte und Studenten an, nach jeder Sektion die Hände mit einer Chlorkalklösung zu waschen. Dies erwies sich als wirksam, denn die Sterblichkeit wurde so auf etwa 2% gesenkt. Als jedoch trotz dieser Maßnahmen noch einmal einige Wöchnerinnen gleichzeitig am Kindbettfieber starben, schloss Semmelweis daraus, dass die Erkrankung nicht nur von Leichen, sondern auch von lebenden Patienten übertragen werden kann. Er ordnete daraufhin an, nicht nur nach Sektionen, sondern vor jeder Untersuchung die Hände mit Chlorkalklösung zu waschen. Seine Erkenntnisse veröffentlichte er in einem zweiteiligen Aufsatz in der „Zeitschrift der Gesellschaft der Wiener Ärzte“.

Semmelweis hatte neben dem Übertragungsweg des Kindbettfiebers auch erkannt, dass diese Erkrankung mit dem gefürchteten Wundfieber identisch war. Für diese bahnbrechenden Entdeckungen erntete er allerdings keine Anerkennung, sondern wurde teils sogar mit Spott und Hohn überschüttet. Viele der damaligen Ärzte hielten Hygiene und Sauberkeit für unnötige Zeitverschwendung und wollten auch nicht wahrhaben, dass sie die Überträger der Erkrankung waren. Die Anfeindungen gegen Semmelweis führten sogar so weit, dass er seine Stelle an der Frauenklinik aufgeben musste.

Dabei waren seine Ideen eigentlich nichts grundlegend Neues: bereits im 18. Jahrhundert hatten unter anderem die englischen Geburtshelfer Alexander Gordon (1752–1799) und Charles White (1728–1813) vermutet, dass die Ärzte die Quelle des Kindbettfiebers seien. Auch der amerikanische Arzt Oliver Wendell Holmes (1809–1894) hatte im Jahr 1843 eine vergleichbare Hypothese geäußert, diese aber aufgrund ähnlicher Anfeindungen wie gegen Semmelweis rasch wieder verworfen.

Semmelweis hatte in Wien noch mit weiteren Repressalien zu kämpfen: So verweigerte man ihm eine Professur und ließ ihn nicht über den Status eines Privatdozenten hinauskommen. Verärgert darüber ging er ins ungarische Pest (heute Budapest), wo er an der heute nach ihm benannten Semmelweis-Universität Professor für Geburtshilfe wurde. Die Anfeindungen seiner Kollegen nahmen aber kein Ende und setzten ihm arg zu.

Semmelweis versank nach und nach in geistiger Umnachtung und wurde schließlich in eine Anstalt für Geisteskranke in Wien eingewiesen. Dort starb er am 13. August 1865 an einer Blutvergiftung als Folge einer Verletzung, die er sich bei einem Kampf mit dem Anstaltspersonal zugezogen haben soll. Seine Würdigung erhielt Semmelweis erst postum, als der schottische Chirurg Joseph Lister (1827–1912) im Jahr 1867 das Besprühen des Operationsfeldes mit Karbol einführte, die Entdeckung der Antisepsis aber als Leistung von Semmelweis anerkannte.

Dr. med. Johannes Weiß, Bad Kissingen