Fortschr Neurol Psychiatr 2014; 82(7): 371-372
DOI: 10.1055/s-0034-1366702
Editorial
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Klinische Neuropsychologie: am Scheideweg oder am Scheitern?

Clinical neuropsychology: at the crossroads or beyond?
C. W. Wallesch
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Publikationsverlauf

29. Mai 2014

02. Juni 2014

Publikationsdatum:
11. Juli 2014 (online)

Ich möchte auf eine aktuelle Debatte über die Zukunft der Klinischen Neuropsychologie hinweisen, die derzeit in der „Aktuellen Neurologie“ und in der „Zeitschrift für Neuropsychologie“ geführt wird [1] [2] [3]. Auslöser war ein Manifest neuropsychologisch tätiger Wissenschaftler, das sich gegen eine obligatorische Ausbildung von Neuropsychologen im Rahmen des Psychotherapeutengesetzes richtet.

Die Ausbildung in Klinischer Neuropsychologie erfolgte in Deutschland bis 2001 in gemeinsamer Trägerschaft der Gesellschaft für Neuropsychologie, der Deutschen Gesellschaft für Neurologie und der psychologischen Verbände (Deutsche Gesellschaft für Psychologie, Bundesverband Deutscher Psychologen). Das zugrunde liegende Curriculum sah eine dreijährige praktische Ausbildung, eine theoretische Ausbildung von 400 Stunden, 100 Stunden Supervision durch einen zugelassenen Supervisor und eine Prüfung unter Beteiligung der DGN vor. Nach Einführung des Psychotherapeutengesetzes 1999 wurde die gemeinsam getragene Ausbildung ausgesetzt, die GNP setzte die Zertifizierung allein unter Wahrung der genannten Qualitätsstandards weiter fort. Nach Ablauf einer Übergangsfrist erfolgt die praktische Ausbildung zweijährig an einer zugelassenen neurologischen Einrichtung durch einen von der GNP akkreditierten Weiterbildungsermächtigten.

Bereits bei Verkündung des Psychotherapeutengesetzes wurde auf das Problem hingewiesen, dass es alle Psychologen betrifft, die mit wissenschaftlich anerkannten Methoden Patienten behandeln, die Ausbildung jedoch ausschließlich in psychotherapeutischen Verfahren erfolgt, die auf psychiatrische und psychosomatische Erkrankungen angewendet werden [4]. Angesichts der guten Evidenz für die Wirksamkeit der Klinischen Neuropsychologie kam es 2012 zur Anerkennung der Neuropsychologischen Diagnostik und Therapie als Untersuchungs- und Behandlungsmethode der vertragsärztlichen Versorgung. Unter dem Psychotherapeutengesetz sind jedoch nur Personen, die die psychiatrielastige Ausbildung zum Psychologischen Psychotherapeuten absolviert haben, zur Leistungserbringung berechtigt, außerdem Ärzte „jeweils mit neuropsychologischer Zusatzqualifikation, inhaltsgleich oder gleichwertig der jeweiligen Zusatzbezeichnung für Neuropsychologie gemäß Weiterbildungsordnung der Landespsychotherapeutenkammern, oder, soweit eine solche nicht besteht, gemäß der Muster-Weiterbildungsordnung der Bundespsychotherapeutenkammer“. Letztere entspricht den Rahmenbedingungen zur Ausbildung der Gesellschaft für Neuropsychologie. Voraussetzung für die Erlangung der Zusatzbezeichnung ist die dreijährige Ausbildung zum Psychologischen Psychotherapeuten einschließlich Psychiatriejahr, sodass die Ausbildung nach Abschluss des Psychologiestudiums weitere fünf Jahre währt. Es ist abzusehen, dass die Klinische Neuropsychologie in Deutschland in den nächsten 20 Jahren, wenn die nach Großelternregelung als Neuropsychologen und als Psychologische Psychotherapeuten zugelassenen Neuropsychologen nach und nach in den Ruhestand treten, personell ausbluten wird, wenn es nicht zu einer Änderung der Zulassungsvoraussetzungen kommt.

Kürzlich hat eine Landespsychotherapeutenkammer versucht, die Ausbildung zum Neuropsychologen kürzer und einfacher zu gestalten, und eine entsprechende Weiterbildungsordnung verabschiedet [5]: nur ein Jahr klinische Tätigkeit, davon nur sechs Monate in Neurologie oder Neurologischer Rehabilitation, 150 Stunden Theorie, 50 Stunden Supervision. Die Gesellschaft für Neuropsychologie hat sich scharf gegen diesen Versuch der Qualitätsminderung gewandt und Kliniken aufgefordert, keine Weiterbildungsstellen zur Verfügung zu stellen. Dieses Vorgehen der GNP ist aus Sicht des Fachs Neurologie nur zu begrüßen und zu unterstützen, denn die in den Kliniken tätigen Neuropsychologinnen und Neuropsychologen haben ihre Anerkennung vor allem durch die Qualität ihrer Ausbildung und ihrer Arbeit erworben.

Es bleibt das Problem, wie ein ausreichender Nachwuchs an gut qualifizierten Neuropsychologen sichergestellt werden kann. Auch wenn die insgesamt fünfjährige Ausbildung zum Psychologischen Psychotherapeuten und Neuropsychologen zeitlich der Facharztweiterbildung entspricht, ist zu bezweifeln, dass eine ausreichende Anzahl Psychologen diesen Ausbildungsgang wählt.

Eine Reduktion der psychotherapeutischen Inhalte und der Psychiatrie-Pflichtzeit ist ohne Änderung des Psychotherapeutengesetzes nicht möglich. Diese sollte nachdrücklich eingefordert werden. Zentrales Anliegen sollte die Streichung des Psychiatriejahres für angehende Neuropsychologen sein.

Gleichstellungsberechtigte Weitergebildete aus dem Ausland zu gewinnen dürfte nur in Einzelfällen erfolgversprechend sein. Auch ist zu hinterfragen, ob diese den hohen Qualitätsstandards der deutschen Ausbildung, die von der Neurologie nachdrücklich eingefordert wurden und unterstützt werden, entsprechen würden.

Es bleibt die Möglichkeit, z. B. Ergotherapeuten in einem Aufbaustudium in Richtung z. B. „Hirnfunktionsdiagnostik“ oder „kognitiver Diagnostik und Therapie“ weiter zu qualifizieren. Dies wäre ein trauriges Ende der jahrzehntelangen loyalen Zusammenarbeit zwischen Neurologen und der GNP.

Um dies zu vermeiden, wird die GNP aufgefordert, wie bisher Psychologen, die nicht Psychologische Psychotherapeuten sind, als Klinische Neuropsychologen zu zertifizieren. Diese können weiterhin als Neuropsychologen in Kliniken und in Rehabilitationszentren tätig sein und werden dort dringend gebraucht.

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Prof. C. W. Wallesch