Gesundheitswesen 2013; 75(11): 714-720
DOI: 10.1055/s-0033-1357153
Originalarbeit
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Gutachten zur Erwerbsfähigkeit im Spannungsfeld medizinischer und sozialer Problemlagen

Experts Reports on the Ability to Work Within the Area of Tension of Medical and Social Problems
F. Jung
1   Gesundheitsamt Bremen
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Publication Date:
25 October 2013 (online)

Zusammenfassung

Das Gesundheitsamt Bremen erstellt für Bremer Jobcenter Gutachten zur Leistungs- und Erwerbsfähigkeit im Rahmen des § 8 SGB II. Seitens der Gutachter wurde die Frage aufgeworfen, inwieweit diese Gutachten tatsächlich medizinisch begründet sind. Vor diesem Hintergrund wurden im Zeitraum eines halben Jahres die Gutachten des Bremer Gesundheitsamtes dokumentiert und ausgewertet. Erfasst wurden Sozialdaten, weitere individuelle soziale Merkmale und relevante Diagnosen der Begutachteten, Einschätzungen der Gutachter zur Leistungsfähigkeit, zur gesundheitlichen Prognose und zur medizinischen Begründung der Gutachten. Die Zusammensetzung der begutachteten Personen nach Geschlecht und Staatszugehörigkeit entsprach der Gesamtheit der Bremer Leistungsempfänger. Die Begutachteten hatten im Vergleich zur deutschen Bevölkerung eine deutlich schlechtere Schul- und Berufsbildung. Hinweise auf soziale Belastungsfaktoren fanden sich in stärkerem Maß bei Frauen. Die Diagnosen zeigten im Vergleich mit Krankenkassendaten auffällige Unterschiede. Bei mehr als zwei Drittel der untersuchten Personen wurden erhebliche Einschränkungen oder ein aufgehobenes Leistungsvermögen festgestellt. Eine medizinische oder teilweise medizinische Begründung der Gutachten wurde bei mehr als vier Fünftel der Gutachten bestätigt. Die multiplen Problemlagen der begutachteten Personen, die soziale, medizinische und nicht selten auch kulturelle Aspekte umfassen, sind in der Gutachtensituation deutlich spürbar. Angesichts fehlender Lösungen der sozialen Probleme bleiben die Gutachter – reduziert auf medizinische Aspekte – in diesem Spannungsfeld mit Unbehagen zurück.

Abstract

On the basis of § 8 SGB II (Sozialgesetzbuch II), the local public health office of Bremen provides expert reports concerning the ability to work. The clients are district branches (job centres) of the Bremen employment office. The experts raised the question to what extent these expert reports were medically well-founded. Against this background, the expert reports were recorded and analysed for a period of 6 months. Socio-demographic characteristics, medical diagnoses and prognoses, experts’ reports regarding the ability to work, as well as the medical justification of the reports were all taken into consideration. The sex ratio and ethnic profile of people included in the study were representative of welfare recipients in Bremen as a whole. Compared with the German population as a whole, the people examined had distinctly less education and professional training. Factors indicating social impacts were found more often among women. Medical diag­noses were strikingly different compared with data from the health insurance companies. More than two thirds of the people examined had considerable restrictions or were considered unable to work. More than four fifths of the expert reports could be justified for medical reasons. The life situations of the people examined were characterised by numerous problems which included medical, social and frequently also cultural aspects, and were taken into account in the experts’ reports. In view of the inability to solve the existing social problems, the experts continue, from a medical perspective, to be concerned in this area of tension.

 
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