Gesundheitswesen 2013; 75 - A278
DOI: 10.1055/s-0033-1354221

Physiotherapie bei schwerstkranken und sterbenden Patienten – Ergebnisse einer bundesweiten Befragung auf Palliativstationen

K Woitha 1, A Wuensch 1, G Mueller-Mundt 1, S Volsek 2, N Schneider 1
  • 1Institut für Epidemiologie, Sozialmedizin und Gesundheitssystemforschung, Medizinische Hochschule Hannover, Hannover
  • 2Zentrale Einrichtung Physiotherapie und Physikalische Therapie, Kiel

Einleitung/Hintergrund: Die Palliativversorgung hat in den letzten Jahren zunehmend an Bedeutung gewonnen. Erweiterte palliative Versorgungskonzepte sehen die gezielte Integration physiotherapeutischer Expertise vor. Neuere Studienbefunde unterstreichen, dass eine frühzeitige palliative Therapie die Lebensqualität und Überlebensdauer schwerkranker Menschen erhöhen kann. Ziel der als Teil eines bundesweiten Surveys zur Physiotherapie in der Hospiz- und Palliativversorgung durchgeführten Befragung unter den Palliativstationen war es, Entwicklungsstand und -erfordernisse der Rolle der Physiotherapie in der klinischen Palliativversorgung aufzuarbeiten. Daten/Methode: Ausgehend von einer qualitativen Vorstudie (Leitfaden-Interviews auf Palliativstationen) wurde ein einrichtungsbezogener Fragebogen zu folgenden Themenschwerpunkten entwickelt: Einschätzung der Bedeutung der Physiotherapie für die Symptomkontrolle, Kooperation und Integration der Physiotherapie in das Versorgungsgeschehen auf deutschen Palliativstationen (jeweils aus Sicht des Leitungspersonals der Palliativstationen). In die im April 2013 eingeleitete postalische Befragung wurden alle in den Datenbanken der Palliativ- und Hospizverbände nachgewiesenen Palliativstationen einbezogen (Vollerhebung, n=266). Entsprechend der explorativen Anlage des Surveys erfolgt die Datenanalyse mittels uni- und bivariater Verfahren der deskriptiven Statistik. Ergebnisse: Bis Anfang Juni 2013 beteiligten sich 133 der 266 Palliativstationen an dem Survey (Rücklaufquote: 50%). Die Fragebögen wurden zu 47% durch Physiotherapeuten des jeweiligen Palliativteams, zu 37% durch leitende Ärzte und zu 14 % durch leitende Pflegekräfte bearbeitet. 69% der Palliativstationen sind in den letzten 10 Jahren eingerichtet worden. Mit 31% dominiert eine fachliche Anbindung an die Onkologie, gefolgt von der Inneren Medizin (22%), Anästhesie (19%) und Geriatrie (8%). Bei 9% handelt es sich um eigenständige Klinikabteilungen. Im Mittel verfügen sie über eine Versorgungskapazität von 8 bis 9 Planbetten (4 bis 42 Betten) und haben 2012 jeweils durchschnittlich 244 Patienten betreut (21 bis 800 Patienten), und zwar zu rund 90 Prozent Menschen mit Tumorerkrankungen. In über 80% der befragten Palliativstationen ist die Physiotherapie mit einer halben Personalstelle eingebunden. Auf 45% der Palliativstationen wird ein übergreifendes Behandlungskonzept von Physiotherapie und Pflege verfolgt. Im Rahmen der Symptomkontrolle wird Physiotherapie besonders bei Ödemen und Immobilität, bei Luftnot und Schmerzen aber auch bei Angstzuständen und Obstipation als hilfreich angesehen. Entsprechend zählen Manuelle Lymphdrainage, Mobilisation, Atemtherapie und Massagen sowie Beratung und Anleitung der Patienten zu den häufigsten physiotherapeutischen Interventionen. Der professionsbezogene Vergleich zeigt, dass insbesondere Pflegekräfte aber auch Ärzte die Potenziale und Rolle der Physiotherapie im Versorgungsgeschehen der Palliativstation jeweils geringer einstufen als Physiotherapeuten. Sichtbar wird zugleich, dass – neben der ärztlichen Indikationsstellung und dem palliativen Basis-Assessment – die gemeinsame Therapieplanung für die Ausgestaltung der Physiotherapie einen herausragende Stellenwert hat. Ein physiotherapeutisches Assessment, eine Evaluation der Maßnahmen und deren systematische Dokumentation erfolgen eher selten. Auch mangelt es vielfach an einem Überleitungsmanagement und Kapazitäten zur Sicherstellung der Weiterführung der Physiotherapie nach der Entlassung der Patienten. Diskussion/Schlussfolgerungen: Die Ergebnisse unterstreichen die Bedeutung der Physiotherapie in der Palliativversorgung. Mit Blick auf den sich im Ergebnis abzeichnenden hohen Integrationsgrad ist allerdings anzunehmen, dass sich vorrangig Palliativstationen mit einen erweiterten Teamansatz an der Befragung beteiligt haben. Deutlich wird ferner, dass aktivierende Therapieansätze, wie sie sich u.a. bei Fatigue bewährt haben, gegenüber passiven Techniken eine untergeordnete Rolle spielen. Entwicklungsbedarf zeigt sich – neben der Etablierung eines physiotherapeutischen Überleitungsmanagements – auf den Ebenen des Assessments, der Evaluation und der Dokumentation.