Gesundheitswesen 2013; 75 - A269
DOI: 10.1055/s-0033-1354215

Moderne Arbeitswelt und Erholung – Abschalten unmöglich?

E Beerheide 1, K Seiler 1, A Goedicke 1
  • 1Landesinstitut für Arbeitsgestaltung des Landes Nordrhein-Westfalen (LIA.NRW), Düsseldorf

Hintergrund: In der schnelllebigen Arbeitswelt von heute treten die Fähigkeit und Möglichkeit zur Erholung häufig in den Hintergrund: obwohl insbesondere erholsamer Schlaf und eine regenerative Pausen- und Freizeitgestaltung den Grundstein für den Erhalt und die Wiederherstellung der körperlichen und psychischen Leistungsfähigkeit und der Gesundheit legen und Müdigkeit, bedingt durch die damit verbundene herabgesetzte physische und psychische Leistungsfähigkeit, eine der Hauptursachen für menschliches Versagen und für schwere Unfälle ist. Aspekte der Erholung und des ausreichenden und gesunden Schlafes sind daher auch für die Arbeitsgestaltung von großer Bedeutung. Fundierte empirische Daten darüber, welchen Stellenwert die Erholung in der Bevölkerung hat, welche Strategien – erfolgreich – eingesetzt werden und welche individuellen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen die Erholung beeinflussen sind rar bzw. oft mit einem engen Betrachtungsfokus. Auch der Einfluss arbeitsbedingter und außerberuflicher Belastungen auf die Erholungskompetenz ist bislang kaum untersucht worden. Methodik: Aus diesem Grund hat das Landesinstitut für Arbeitsgestaltung des Landes Nordrhein-Westfalens (LIA.NRW) eine repräsentative Befragungsstudie durchgeführt, die das Erholungsverhalten und -erleben zum Inhalt hatte (N = 2002). Erfragt wurden sowohl personelle Variablen als auch situative Rahmenbedingungen, die das individuelle Erholungserleben beeinflussen können. Zentrale Gegenstände der Befragung waren Aspekte der Erholungskompetenz (d.h. der Erholungsbereitschaft und -fähigkeit), individuelle Strategien der Regeneration in der Freizeit, Erholungseffekte, Einflüsse der räumlich-zeitlichen Infrastruktur sowie arbeitsbedingte Faktoren. Ergebnisse: Durch die Studie konnte u.a. gezeigt werden, dass 'Gedanken an die Arbeit‘ gemeinsam mit 'Verpflichtungen gegenüber der Familie‘ und der 'körperlichen Verfassung‘ für viele Beschäftigte die größten Erholungshemmnisse darstellen. Dieser Umstand ist bedenkenswert, da die jüngere Forschung belegt, dass die sogenannte Distanzierungsfähigkeit ('abschalten können') einen enormen Einfluss auf die Erholungswirkung hat (Beerheide/Seiler 2013). Weiterhin haben sich neben traditionellen Arbeitsbelastungen auch Beschäftigungsmerkmale und Arbeitsformen als erholungsgefährdend gezeigt, die mit Flexibilisierung und erhöhter Marktorientierung im Zusammenhang stehen und in den letzten Jahren zugenommen haben (Seiler et al. 2013). Es liegt auf der Hand, dass Mobilität, Arbeit beim Kunden vor Ort, Wochenend- und Feiertagsarbeit sowie unregelmäßige Arbeitszeiten damit verbunden sind, sich oft nicht angemessen von der Arbeit zu distanzieren, nicht zur Ruhe zu kommen und nicht gut bzw. ausreichend zu schlafen. Diskussion/Schlussfolgerung: In der gegenwärtigen Diskussion über wachsende psychische Anforderungen und Stress in der Arbeitswelt fällt der Ressource Erholung eine tragende Rolle zu. Umso wichtiger ist es, sich entsprechend mit den limitierenden und fördernden Einflussgrößen und Rahmenbedingungen auseinanderzusetzen – insbesondere vor dem Hintergrund, dass Schlafstörungen und negative Gemütsverfassungen als Frühwarnindikatoren in Bezug auf Erholungschancen und damit für die Gesundheit der Beschäftigten gesehen werden können. Die Fähigkeit, sich angemessen zu distanzieren und 'frei im Kopf‘ für Erholungsaktivitäten zu sein, ist hierbei von besonderer Bedeutung (Krajewski et al. 2011).