Gesundheitswesen 2013; 75 - A268
DOI: 10.1055/s-0033-1354214

Mechanismen selbstbewerteter Gesundheit: Zum Zusammenhang der Aktivität des Autonomen Nervensystems mit selbstbewerteter Gesundheit und häufig verwendeten Biomarkern

MN Jarczok 1, M Kleber 1, A Loerbroks 2, R Herr 1, K Hoffmann 1, B Schmidt 1, JE Fischer 1, Y Benyamini 3, J Thayer 4
  • 1Mannheimer Institut für Public Health, Medizinische Fakultät Mannheim der Universität Heidelberg, Mannheim
  • 2Institut für Medizinische Soziologie, Düsseldorf
  • 3Tel Aviv University, Tel Aviv
  • 4The Ohio State University, Department of Psychology, Columbus

Hintergrund: Die einfache Frage nach der selbstbewerteten Gesundheit (SBG) korreliert hoch mit Mortalität und Morbidität. Die Betrachtung einer Vielzahl möglicher biologischer Marker (z.B. zum Fettstoffwechsel, Glukosestoffwechsel, Entzündungsstatus oder Blutdruck) in statistischen Modellierungen schwächt den Zusammenhang zwar ab, kann ihn aber nicht aufklären. Der zugrundeliegende biologische Mechanismus des Zusammenhangs von SBG mit Morbidität und Mortalität ist bislang unklar. Ein in diesem Zusammenhang bisher nicht beachteter Marker ist die Variabilität des Herzschlages (HRV), die als Parameter der Funktionalität des autonomen Nervensystems gilt. Dieser nicht invasive, objektive Gesundheitsmarker erlaubt Rückschlüsse über das Ausmaß vagaler Kommunikation zwischen Gehirn und Herz, sowie über die vagale Kontrolle der Peripherie. Ziel der Untersuchung ist es A) festzustellen, ob und in welchem Ausmaß der Biomarker HRV mit der subjektiven Gesundheitseinschätzung zusammenhängt sowie B) die relativen Assoziationsstärken zwischen HRV und anderen Biomarkern bezüglich SBG zu vergleichen. Methode: Insgesamt haben 2509 Arbeitnehmer im Alter zwischen 18 und 65 Jahren an einer medizinischen Untersuchung (Anthropometrische Vermessung, Blutentnahme, Urinabgabe) plus psychosozialem Fragebogen und einer 24-Stunden Pulsmessung während ihrer täglichen Routinetätigkeit teilgenommen (2009 – 2010). Berechnet wurden sowohl Pearsons als auch partielle Korrelationen zwischen der SBG und den einzelnen Biomarkern. Die Korrelationsstärke wurde mittels Olkins Z verglichen. Schlechte SBG („sehr schlecht“ und „schlecht“ vs. „ausgezeichnet“, „sehr gut“ und „gut“) dient in der logistischen Regression als abhängige Variable. Die multiplen linearen und logistischen Modelle wurden adjustiert für Demografie (Alter, Geschlecht), Lebensstil (Rauche, Sport, Alkoholkonsum), Arbeitsstress und Metabolisches Syndrom. Ergebnisse: In allen linearen Modellen war die Korrelation zwischen SBG und Maßen der HRV im Vergleich zu Markern für Entzündung, Fettstoffwechsel und Glukosestoffwechsel signifikant stärker. Die HRV war signifikant negativ mit schlechter SBG assoziiert (z.B. RMSSD odds ratio (OR), 0,63 [95% CI, 0,44 – 0,91] P = 0,01 SDRR OR, 0,71 [95% CI, 0,51 – 0,99] P = 0,046). Schlechte SBG war signifikant positiv mit Entzündungsmarkern (CRP> 5 mg/L, OR, 1,6 [95% CI, 1,00 – 2,55] P = 0,049) und Glukosemarkern (HbA1C > 6,5% OR, 3,13 [95% CI, 1,57 – 6,24] P < 0,001) assoziiert. Es lag keine Assoziation mit Blutdruck- oder Fettstoffwechselmarkern vor. Der Forest Plot in Grafik 1 fast die Ergebnisse der logistischen Regressionen zusammen. Schlussfolgerung: Dies ist die erste Studie, welche einen Zusammenhang zwischen Funktionalität des autonomen Nervensystems und selbstbewerteter Gesundheit aufzeigt. Wir konnten anhand überwiegend gesunder Arbeitnehmer zeigen, dass die Korrelation von SBG und HRV im Vergleich zu SBG und anderen Biomarker die stärkeren Zusammenhänge aufweist. Daraus folgt, dass das Ausmaß der Kommunikation zwischen Gehirn und Körperperipherie (indexiert über die HRV) mit der SBG in Zusammenhang steht. Vier mögliche Erklärungen der Validität von SBG mit Gesundheitsparametern sind bekannt. Erstens, SBG ist inklusiver als andere Biomarker und begründet seine Vorhersagekraft zu einem Teil in der körpereigenen Wahrnehmung die nur dem Individuum zugänglich ist (Intereoception). Zweitens, SBG beeinflusst Gesundheitsverhalten. D.h. man reagiert auf körperinterne und externe (Exteroception) Informationen und passt sein Gesundheitsverhalten entsprechend an. Drittens SBG erfasst die zeitliche Veränderung im Gesundheitsstatus. Viertens SBG stellt Ressourcen dar, die einer Person die Bewältigung von Gesundheitsbedrohungen erlauben. Unsere Studie unterstützt den ersten Erklärungsansatz, da HRV einen Index der Gehirn-Peripheriekommunikation darstellt. Ein niedriger Vagotonus ist mit höherer Morbidität und Mortalität assoziiert und zugleich mit schlechter SBG.