Gesundheitswesen 2013; 75 - A182
DOI: 10.1055/s-0033-1354143

Design und erste Ergebnisse einer Untersuchung zur Gestaltung der Transitionsversorgung bei Seltenen Erkrankungen am Beispiel von Patientinnen mit genitalen Fehlbildungen (BMBF Förderkennzeichen 01GY1125)

E Simoes 1, A Kronenthaler 2, MA Rieger 3, KK Rall 4, N Schaeffeler 2, D Gröber-Grätz 5, H Hiltner 4, E Ueding 6, SY Brucker 2
  • 1Universitätsklinikum Tübingen, Tübingen
  • 2Universitätsfrauenklinik, Institut für Frauengesundheitsforschung, Tübingen
  • 3Universität Tübingen, Tübingen
  • 4Institut für Arbeitsmedizin, Sozialmedizin und Versorgungsforschung, Tübingen
  • 5Medizinische Universitätsklinik, Tübingen
  • 6Lehrbereich Allgemeinmedizin, Tübingen

Einleitung: Über vier Millionen Menschen in Deutschland leben mit einer Seltenen Erkrankung. Mehr als 7.000 der 30.000 bekannten Krankheiten zählen zu den Seltenen Erkrankungen. Die Transition in der Gesundheitsversorgung meint die Übergangszeit vom Jugend- ins Erwachsenenalter, in der die Überleitung von jungen Menschen mit speziellem medizinischem Versorgungsbedarf zur Erwachsenenmedizin stattfindet. Bei Seltenen Erkrankungen ist die Transitionsphase in besonderem Maß durch Probleme gekennzeichnet. Zu den Seltenen Erkrankungen zählt auch das Mayer-Rokitansky-Küster-Hauser-Syndrom (MRKH), eine Fehlbildung am weiblichen Genitale, die durch ein kongenitales Fehlen von Uterus, Zervix und oberen zwei Dritteln der Vagina (1: 4000 – 5000 weibliche Lebendgeburten) gekennzeichnet ist. Ziel der Studie ist die Erstellung eines koordinierenden Versorgungs- und Unterstützungsmodells für die Phase des Übergangs von der Kinder- in die Erwachsenenmedizin für junge Mädchen und Frauen mit dieser genitalen Fehlbildung als Beispiel einer Seltenen Erkrankung. Das Modell soll sich orientieren an den Bedarfen und Präferenzen derBetroffenen und ihres Umfelds. Die Forschungsfragen richten sich auf die besonderen Bedarfe an Versorgung und unterstützenden Maßnahmen, die Identifikation von Defiziten und Hindernissen bei der Bereitstellung von medizinischer Versorgung/Betreuung, zusätzlicher Unterstützung und Kommunikation, wie sie von den Patientinnen erlebt bzw. von den Anbietern, Eltern, Partner/-innen und einem erweiterten interessierten Personenkreis wie z.B. Patientenorganisationen wahrgenommen werden. Methodik: Die Untersuchung bezieht über fünf Phasen verschiedene Zielgruppen ein, die ein sich ergänzendes Bild erwarten lassen. Aufgrund der Vielfalt der zu beantwortenden Fragen und der Unterschiedlichkeit der Datenquellen findet ein multimethodischer Ansatz mit qualitativen (u.a. problemzentrierte Leitfadengestützte Interviews, Szenarienentwicklung) und quantitativen Elementen Anwendung. Der Prozess ist partizipativ gestaltet. Das Qualitätskonzept schließt neben Elementen der Qualitätssicherung zum methodischen Vorgehen auch einen wissenschaftlichen Beirat und eine abschließende Kommunikative Validierung (Open Space Technologie) ein. Es erfolgte eine international angelegte strukturierte Recherche zurEvidenz von publizierten Versorgungsmodellen zur Übergangsversorgung, zur Spiegelung der Transition in Leitlinien, zupartizipativem Vorgehen im Forschungsfeld, zur besonderen Situation von Umfeld und speziell Partner_innen der betroffenen jungen Mädchen und Frauen. Ergebnisse: Die Forschungsliteratur zum MRKH-Syndrom zwischen 1960 und 2013 konzentriert sich in verschiedenen Phasen auf die Beschreibung und Definition, Zuschnitt der Therapie, psychische Belastungen und inzwischen die genetischen Ursachen. Die speziellen Problemfelder der Transition unter mehrdimensionalem Einbezug des Umfelds wurden bisher nicht aufgegriffen, in keiner Untersuchung ein partizipativer Ansatz realisiert. Dies bestätigt den fortbestehenden Forschungsbedarf, insbesondere an auf die Betroffenen und ihr Umfeld ausgerichteter Forschung, um aus verschiedenen Perspektiven bedarfsorientierte Eckpunkte zur Versorgungsgestaltung in der Transitionsphase zu erarbeiten. Schlussfolgerung: Wir erwarten Verbesserungen beim Erkennen und Zugang, bei Koordination und Kooperation in der Versorgungskette, wenn aufgezeigt werden kann, wo und welches Verbesserungspotenzial aus unterschiedlichen Blickwinkeln besteht. Außerdem sind erhöhte Chancen auf einen guten Outcome und eine verbesserte Compliance seitens der Jugendlichen bei an ihren Bedürfnissen ausgerichteten Versorgungskonzepten zu erwarten, darüber hinaus eine verbesserte soziale Integration der Betroffenen aus passgerechten Supportleistungen, da auch die Integration in Lebens- und Schul-/Berufswelt Komponenten des Outcome der Transitionsversorgung darstellen. Ein Zusatznutzen ergibt sich für Frauen mit Operationen am weiblichen Genitale und nach Genitalmutilationen, die sich in Teilen vergleichbaren Problemen gegenübergestellt finden, sowie aus der Übertragbarkeit von strukturellen Erkenntnissen auf die Übergangsversorgung bei anderen Seltenen Erkrankungen.