Gesundheitswesen 2013; 75 - A171
DOI: 10.1055/s-0033-1354136

Kommunale Sozial- und Armutsberichterstattung. Methodik und Perspektiven

HJ Boschek 1
  • 1Ennepe-Ruhr-Kreis, Schwelm

Einleitung: Armut und ihre sozialen und gesundheitlichen Folgen sind ein wichtiges Thema für die kommunale Gesundheits- und Sozialplanung. Allerdings stehen differenzierte Daten zur Einkommensverteilung auf Gemeindeebene nicht zur Routineauswertung zur Verfügung. Eine Armuts- und Sozialberichtserstattung, die sich an internationalen Armutsbegriffen orientiert, ist den Kommunen in der Regel nicht möglich. Hier werden die Möglichkeiten einer kommunalen Berichterstattung beschrieben, die sich aus der Auswertung von Verwaltungsdaten aus dem Sozialbereich ergeben. Methodik: Die benutzte Armutsquote für den Ennepe-Ruhr-Kreis erfasst alle Menschen, die zur Sicherung ihrer Grundbedürfnisse von staatlichen Transferleistungen abhängig sind. Dazu gehören die Beziehenden von Grundsicherung für Arbeitssuchende (SGB II: Arbeitslosengeld II und Sozialgeld), Beziehende Laufender Hilfe zum Lebensunterhalt (außerhalb von Einrichtungen, SGB XII), bei Grundsicherung im Alter und bei dauerhafter Erwerbsminderung (SGB XII) sowie Beziehende von Regelleistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz (AsylblG). Ergebnisse: Mit der Armutsquote wird nur eine Kernarmut beschrieben, dafür stehen die Daten kontinuierlich auf Gemeindeebene zur Verfügung. Eine Differenzierung, besonders für Daten aus dem SGB II, ist möglich nach Geschlecht, nach Staatsangehörigkeit, nach Bedarfsgemeinschaften (Gesamtzahl, Zusammensetzung), Kindern und Jugendlichen (unter 15 und bis 25 Jahren), Zahl der Alleinerziehenden und der erwerbstätigen Menschen, die Ergänzungsleistungen zum Erwerbseinkommen beziehen. Diskussion: Die Daten der Arbeits- und Sozialverwaltung beschreiben primär das Leistungsspektrum der Behörden. Dies zeigt sich beispielsweise an der Erfassung der verschiedenen Leistungsarten. Obwohl für andere Zwecke erhoben, erlaubt die Auswertung dieser Routinedaten ein kontinuierliches Monitoring der Entwicklung einer Kernarmut in den Kommunen. Die Situation bestimmter Gruppen wie Kinder, Alleinerziehende, sogenannte Aufstocker, ältere Menschen und Asylbewerber kann mit wenig Aufwand gut beschrieben werden. Die Geschlechterverteilung bei Armutsverhältnissen können dargestellt werden. So ergeben sich wichtige Hinweise auf die wachsende Altersarmut und die zunehmende Zahl von Menschen mit gesundheitlichen Einschränkungen, die Hilfe zum Lebensunterhalt erhalten. Es bestehen methodische Einschränkungen: Die kleinräumige Datenanalyse einzelner Sozialräume ist ohne weiteren Aufwand nicht möglich. Die Beschränkung auf die Erfassung der Staatsbürgerschaft schränkt die differenzierte Betrachtung von Migrationseffekten ein. Der auf der beschriebenen Methode basierende Armutsbericht des Ennepe-Ruhr-Kreises von 2010 zeigt eine höchst unterschiedliche räumliche Verteilung von Armut, insbesondere die Ausprägung der Kinderarmutsquote. Die Analyse erlaubt eine bessere Planung bestimmter kommunaler Angebote wie „frühe Hilfen im Kindesalter“ oder einer Schuldner- und Wohnberatung. Möglicherweise können die Erkenntnisse aus dem Armutsbericht auch bei der Gestaltung von Bildungsangeboten genutzt werden. In einer zweiten Stufe können die Basisdaten mit den Fakten aus anderen Datenquellen wie der Schuleingangsuntersuchung (qualifiziert durch die Erfassung von Sozialdaten) und etwa der Schuldenstatistik für differenzierte Analysen genutzt werden. Zusammenfassung: Eine kommunale Armuts- und Sozialberichterstattung aus Routinedaten ist mit Einschränkungen möglich. Insbesondere für den Fragenkomplex Migration müssen differenzierte Methoden entwickelt werden. Auf dieser Datenbasis können Interventions- und Präventionsmaßnahmen entwickelt und gesteuert werden. Ansätze bieten hier die Kooperationen in Projekten der „frühen Hilfen“ und die sozialräumliche angepasste Sprachförderung in Kindertagesstätten zur Minimierung von Bildungsnachteilen.