Gesundheitswesen 2013; 75 - A160
DOI: 10.1055/s-0033-1354127

Lebenslauf, Gesundheit und gesundheitliche Ungleichheit: Eine sozialisationstheoretische Perspektive

M Richter 1, K Hurrelmann 2
  • 1Martin-Luther Universität Halle-Wittenberg, Halle
  • 2Hertie School of Governance

Hintergrund: Einflüsse des Lebenslaufs werden zunehmend als der Schlüssel zu einem besseren Verständnis von Gesundheit und gesundheitlichen Ungleichheiten gesehen. Das Potential einer epidemiologischen Lebenslaufperspektive wurde bislang nur unzureichend ausgeschöpft, da zentrale Konzepte aus anderen Disziplinen selten berücksichtigt wurden. Ziel ist es, das Potential einer breiteren Lebenslaufperspektive auszuloten, welche die Erkenntnisse der psychologischen und soziologischen Lebenslaufforschung integriert und den interdisziplinären Dialog zwischen Epidemiologie und den Sozialwissenschaften fördert. Methoden: Der Vortrag prüft und analysiert zentrale Prinzipien und Konzepte, die in den unterschiedlichen Disziplinen, die sich mit dem Lebenslauf auseinandersetzen, Anwendung finden und schlägt einen theoriegeleiteten Forschungsrahmen vor, der den interdisziplinären Austausch fördert. Er veranschaulicht ebenso, wie eine bio-psycho-soziale Perspektive des Lebenslaufs stärker in die epidemiologische Gesundheitsforschung eingebracht werden kann. Ergebnisse: Wir argumentieren, dass die paradigmatischen Prinzipien der interdisziplinären Lebenslaufforschung (human agency, timing in lives, linked lives und historical context) einen überzeugenden Rahmen für eine umfassende und theoriegeleite Sichtweise auf den Lebenslauf und die ineinander verwobenen Mechanismen bieten. Das 'agency within structure‘ Paradigma, auf welchem diese Prinzipien aufbaue, ist ein essentieller Part der Sozialisationstheorie. Wir stellen heraus, dass die Sozialisationstheorie das Potential hat, als ein theoretisches Bindeglied zwischen der Epidemiologie und den Sozialwissenschaften zu fungieren und einen multikausalen Rahmen bietet, um den Zusammenhang zwischen Sozialstruktur und Gesundheit über den Lebenslauf zu analysieren. Schlussfolgerungen: Um Gesundheit und gesundheitliche Ungleichheiten über den Lebenslauf besser verstehen zu können, ist ein interdisziplinärer Ansatz hilfreich, der theoretische Ideen der soziologischen und psychologischen Lebenslaufforschung aufgreift. Die stärkere Berücksichtigung und Einbindung sozialisationstheoretischer Prinzipien stärkt den Dialog zwischen Sozialwissenschaften und Epidemiologie und hilft den engen biomedizinischen Fokus weiter zu öffnen.