Gesundheitswesen 2013; 75 - A152
DOI: 10.1055/s-0033-1354120

Einschränkung der Teilhabe am Arbeitsleben bei Erwerbstätigen mit chronisch entzündlicher Darmerkrankung

J Langbrandtner 1, A Hüppe 2, H Raspe 1
  • 1Universität zu Lübeck, Seniorprofessur für Bevölkerungsmedizin, Lübeck
  • 2Universität zu Lübeck, Institut für Sozialmedizin und Epidemiologie, Lübeck

Hintergrund: Chronisch entzündliche Darmerkrankungen (CED) gehören zu den multifokalen Krankheitsbildern und gehen oft mit vielfältigen und erheblichen Aktivitäts- und Teilhabeeinschränkungen einher [1]. Die Datenlage zu Einschränkungen der Erwerbsfähigkeit gilt als unzureichend [2,3]. In einer niederländischen Fall-Kontrollstudie berichteten CED-Betroffene 19 Arbeitsunfähigkeits (AU)-Tage im vergangenen Jahr (Md = 3), gesunde Kontrollpersonen gaben im Schnitt 12 AU-Tage (Md = 0) an [4]. In vergleichbarer Weise erinnern in einem Survey unserer Arbeitsgruppe aus dem Jahr 2005 Erwerbstätige mit CED im Mittel 20 AU-Tage im zurückliegenden Jahr [1]. Unklar ist, welche soziodemografischen und krankheitsspezifischen Parameter mit der passageren Einschränkung der Erwerbsfähigkeit assoziiert sind. Methodik: Versicherte der Techniker Krankenkasse (TK) mit mind. zwei AU-Diagnosen und/oder mind. zwei Krankenhausdiagnosen (ICD-10 K50 ‚Morbus Crohn‘, K51 ‚Colitis ulcerosa‘) wurden zur Teilnahme an einer randomisierten kontrollierten Studie eingeladen. Ziel war die Prüfung der Wirksamkeit einer proaktiven individualisierten Patienteninformation. Die Teilnehmer erhielten einen Assessment-Fragebogen, der somatische und psychosoziale Problemfelder, Daten zur Inanspruchnahme sowie als primäre Zielgrößen gesundheitsbezogene Lebensqualität und erlebte Einschränkung der sozialen Teilhabe erfasste. Nach der Randomisierung erhielt die Interventionsgruppe (IG) eine schriftliche Rückmeldung über ihr persönliches Problemprofil zusammen mit individuellen Versorgungsempfehlungen (Kontrollgruppe KG usual care). Zur 12-Monats-Katamnese bearbeiteten alle Teilnehmer einen zweiten Fragebogen. Von der TK wurden Daten zu den AU-Tagen ein Jahr vor und nach Studieneinschluss zur Verfügung gestellt (sekundäre Zielgröße). Die hier vorgestellten Analysen fokussieren auf die AU-Tage von mindestens halbtags arbeitenden Versicherten beider Gruppen. Es wurden univariate (Chi2-Test, t-Test) wie multivariate (logistische Regression, Methode: Einschluss) Berechnungen zu den AU-Tagen im Jahr nach Studieneinschluss durchgeführt. Ergebnisse: 337 der 462 Studienteilnehmer sind zu Studienbeginn in Vollzeit oder Teilzeit beschäftigt (IG 164, KG 173). Sie sind im Mittel 41 Jahre alt, 50% sind Frauen, 50% haben Morbus Crohn, die mittlere Erkrankungsdauer liegt bei 13 Jahren. Im Mittel sind die Erwerbstätigen im Jahr nach Studieneinschluss 25 Tage (SD 46 Md = 11 alle Diagnosen) arbeitsunfähig gemeldet (CED-Diagnosen: MW 8 AU-Tage, SD 30 Md = 0). 77% (alle Diagnosen) bzw. 33% (CED-Diagnosen) aller Studienteilnehmer waren mindestens einmal krankgeschrieben. Unterschiede in der AU zwischen IG und KG zeigten sich nicht (kein Interventionseffekt). Die AU-Tage waren weder mit Geschlecht, Alter, Schulbildung noch mit der Diagnose assoziiert. Ein hoch signifikanter Zusammenhang zeigte sich hinsichtlich der Krankheitsaktivität und des -verlaufs (mehr AU-Tage bei höherer Aktivität und schwererem Verlauf). Multivariat erwiesen sich für das Auftreten CED-bedingter AU-Tage (mindestens ein AU-Fall) das Ausmaß der Komorbidität (OR = 1,7), die Einnahme von Biologika (OR = 3,2) sowie das Auftreten von AU-Tagen im Vorjahr (OR = 3,5) als signifikante Prädiktoren (Nagelkerkes R2= 0,24). Diskussion: Die mittlere Anzahl von AU-Tagen der an der Studie teilnehmenden TK-Versicherten mit CED liegt mit 25 Tagen deutlich über dem mittleren Wert der TK-Versichertengesamtgruppe (2012: 14 Tage je Versicherten [5]). Dies ergänzt die Beobachtung, dass unter erwerbstätigen CED-Erkrankten die Gefährdung der Erwerbstätigkeit als häufigstes Problemfeld identifiziert wurde [6]. Für CED-Betroffene mit komplexerem Krankheitsbild könnten daher verstärkt Leistungen der medizinisch-beruflichen Rehabilitation in Betracht gezogen werden.