Gesundheitswesen 2013; 75 - A141
DOI: 10.1055/s-0033-1354110

Pflegerisiko und Pflegekosten im ersten Jahr nach einem Schlaganfall. Analyse auf Grundlage von Routinedaten einer gesetzlichen Krankenkasse in Deutschland

S Schnitzer 1, M Kohler 1, D Peschke 2, A Kuhlmey 1, L Schenk 1
  • 1Charité, Institut für Medizinische Soziologie
  • 2Technische Universität Berlin. Fachgebiet Strukturentwicklung und Qualitätsmanagement im Gesundheitswesen

Hintergrund: Mit der wachsenden Anzahl älterer Menschen in den Industrienationen wird davon ausgegangen, dass die Prävalenz der Schlaganfall-Patienten steigt. Schlaganfall ist eine Hauptursache von chronischer Behinderung und Pflegebedürftigkeit im Erwachsenenalter. Trotz dieser Kenntnisse existieren nur wenige Studien, die das Pflegerisiko nach einem Schlaganfall untersuchen. Darüber hinaus ist Pflegebedürftigkeit infolge eines Schlaganfalls mit hohen Kosten assoziiert, die längerfristig den größten Effekt auf die mit einem Schlaganfall assoziierten Gesamtkosten aufweisen. Die Datenlage zu den Pflegekosten nach einem Schlaganfallereignis ist defizitär, detaillierte Analysen zum Kostenverlauf und zu Einflussfaktoren auf Pflegekosten sind kaum vorhanden. Im vorliegenden Beitrag werden das Pflegerisiko und die Pflegekosten im ersten Jahr nach einem Schlaganfall untersucht. Methoden: Die Untersuchung beruht auf Routinedaten einer gesetzlichen Krankenkasse in Deutschland mit ca. 1 Million Versicherten. Die Analysen schließen alle akutstationären Aufenthalte zwischen dem 01.01.2007 und dem 31.12.2007 mit den Hauptdiagnosen ischämischer Schlaganfall (ICD-10-GM: I63), hämorragischer Schlaganfall (ICD-10-GM: I60, I61) sowie transitorische Attacken (G45) in die Stichprobenziehung ein (N = 4464). Ab Initialereignis wurden die Daten der Versicherten für ein Jahr erfasst. Der Eintritt in Pflegebedürftigkeit wird anhand von Cox-Regressionen ermittelt. Die Berechnung des Pflegerisikos und der Pflegekosten erfolgt mithilfe von Verallgemeinerten Linearen Modellen. Als unabhängige Variablen gehen Schlaganfalldiagnose (TIA, Ischämie, Blutung), Schlaganfall im Vorjahr, Geschlechtszugehörigkeit, Alter, Ost-West-Zugehörigkeit und geriatrietypische Multimorbidität in die Analysen ein. Ergebnisse: Von 3.526 Patienten, die im ersten Jahr nach einem Schlaganfall überleben, werden 17,5% infolge des Initialereignisses pflegebedürftig. Nach einem Jahr ist die Hälfte der ältesten Patientengruppe pflegebedürftig, während nur 5% der jüngsten Altersgruppe pflegebedürftig werden. Hervorzuheben ist das Ergebnis, dass das Pflegerisiko zwar erwartungsgemäß hoch signifikant mit dem Alter der Patienten assoziiert ist (p < 0,001) – bei den Pflegekosten spielt das Alter jedoch keine Rolle mehr (p = 0,24). Auch Geschlechtszugehörigkeit oder eine Schlaganfall-Diagnose im Vorjahr beeinflussen die Pflegekosten nicht. Entscheidend ist hier der Krankheitszustand: Die stärksten Zusammenhänge mit Pflegekosten bestehen zwischen einer Pflegebedürftigkeit, die bereits vor dem Initialereignis im Beobachtungszeitraum bestand (p < 0,001) und dem Vorhandensein von geriatrietypischer Multimorbidität (p < 0,001). Geriatrietypische Multimorbidität weist – neben Schlaganfalldiagnose und Alter – auch den stärksten Zusammenhang mit dem Pflegerisiko infolge eines Schlaganfallereignisses auf. Diskussion: Die Ergebnisse verdeutlichen Implikationen für die medizinische Praxis: Während Alter und Geschlechtszugehörigkeit keine Ansatzpunkte für Prävention bieten, können Verlauf und Ausmaß von geriatrietypischen Morbiditäten potentiell beeinflusst werden. Medizinische Leistungserbringer sind gefordert, rehabilitative Maßnahmen zur Reduzierung schlaganfallassoziierter Komorbiditäten zu verstärken, mit der Zielsetzung das Pflegerisiko und die Pflegekosten infolge eines Schlaganfalls zu senken. Weitere Studien sind notwendig, um die geriatrietypischen Morbiditäten genauer zu untersuchen.