Gesundheitswesen 2013; 75 - A136
DOI: 10.1055/s-0033-1354106

Harninkontinenz und erektile Dysfunktion ein Jahr nach der Krankenhausbehandlung von Prostatakrebs – Prävalenz und Determinanten

S Neusser 1
  • 1Institut für Sozialmedizin, Epidemiologie und Gesundheitssystemforschung (ISEG), Witten

Hintergrund: Im Zuge der demographischen Entwicklung stieg in Deutschland die Zahl der Krankenhausaufenthalte mit der Diagnose Prostatakrebs zwischen 1994 und 2010 um 40%. In Abhängigkeit vom Patientenalter und von der Tumorausdehnung stehen verschiedene Therapieverfahren zur Auswahl, die allerdings mit Harninkontinenz und erektilen Dysfunktionen in Verbindung gebracht werden. Am Beispiel von Patienten knapp ein Jahr nach der stationären Behandlung eines Prostatakarzinoms werden die Häufigkeit dieser erkrankungsspezifischen Beschwerden überprüft sowie patienten- und behandlungsspezifische Einflussfaktoren untersucht. Methodik: Die Analyse beruht auf einer 2011 durchgeführten schriftlichen Befragung von 1.165 BARMER GEK-versicherten Männern ein Jahr nach einem Krankenhausaufenthalt mit der Hauptentlassungsdiagnose „Prostatakrebs“ (ICD-C61). Von 901 eingegangen Fragebögen (Bruttorücklauf: 77,3%) waren 825 auswertbar (Nettorücklauf: 70,8%). Mit dem Erhebungsinstrumentarium wurden u.a. Angaben zu Begleiterkrankungen und Komplikationen sowie zur erkrankungsspezifischen Lebensqualität (PSM: Prostataspezifisches Modul mit Scorewerten zwischen 0 und 100, vgl. Bestmann et al. 2006) u.a. mit den Skalen „Harninkontinenz“, „Erektile Dysfunktionen“ und „Sexualität“ erfasst. Ergänzend wurden die in den Abrechnungsdaten dokumentierten Prozeduren (OPS) sowie die Dauer des Krankenhausaufenthalts berücksichtigt. Unter gleichzeitiger Einbeziehung mehrerer Variablen wurden Einflussfaktoren auf die Harninkontinenz und erektile Dysfunktionen ca. ein Jahr nach dem Krankenhausaufenthalt eruiert (logistische Regression). Geschätzt wurde die Wahrscheinlichkeit, dass die Beschwerden ausgeprägter sind als im Median der Befragungsteilnehmer (Harninkontinenz). Für Skalen mit hohen Deckeneffekten (Erektile Dysfunktion, Sexualität) wird die Wahrscheinlichkeit maximaler Beeinträchtigung modelliert. Ergebnisse: Die Männer waren im Mittel 67,6 Jahre alt. Bei 8 von 10 Befragten war eine radikale Prostatektomie durchgeführt worden (bei 63,1% der Patienten während des Index-Aufenthalts und bei 15,2% bei einem späteren Krankenhausaufenthalt). Für die restlichen Männer sind alternative Behandlungen wie partielle Prostatektomie oder Strahlentherapie dokumentiert. Ein Fünftel (20,2%) aller Befragten berichtet von Komplikationen im Zusammenhang mit der Behandlung im Krankenhaus. Zum Befragungszeitpunkt sind die Einschränkungen, die mit den Skalen „Erektile Dysfunktion“ (MW 89,9) und „Sexualität“ (MW 77,6) erfasst werden, besonders ausgeprägt. Der durchschnittliche Scorewert der Skala „Harninkontinenz“ beträgt 28,3. Die multivariate Analyse zeigt, dass sich die Chance auf weniger stark ausgeprägte erektile Dysfunktionen durch ein jüngeres Lebensalter (OR 0,35 bzw. OR 0,53) sowie bestimmte Behandlungsformen erhöht. Insgesamt wirken sich die Brachytherapie (OR 0,25) sowie im Vergleich zu einer herkömmlichen Prostatektomie Gefäß- und nervenschonende Operationstechniken (OR 0,30) protektiv aus. Schlussfolgerungen: Unabhängig von der Therapieform geht die Behandlung eines Prostatakarzinoms oft mit langfristigen Nebenwirkungen einher, die insbesondere die sexuelle Funktionsfähigkeit betreffen. Internationale Längsschnittstudien (Sanda et al. 2008, Smith et al. 2009, Stanford et al. 2000) kommen unter der Verwendung verschiedener Instrumente zu einem vergleichbaren Ergebnis.