Gesundheitswesen 2013; 75 - A134
DOI: 10.1055/s-0033-1354104

Soziale Ungleichheit in der stationären medizinischen Rehabilitation: Ein systematischer Literaturüberblick

K Hofreuter-Gätgens 1, C Bergelt 1, A Hergert 1, U Koch 1, H Melchior 1, B Pfau-Effinger 2, H Schul 1, B Watzke 1, M Morfeld 3
  • 1Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf, Hamburg
  • 2Universität Hamburg, Hamburg
  • 3Hochschule Magdeburg Stendal, Stendal

Hintergrund: Soziale Ungleichheiten in der gesundheitlichen Versorgung werden seit einigen Jahren in Deutschland kontrovers unter dem Stichwort „Zwei-Klassen-Medizin“ diskutiert (Lauterbach 2007, Tiesmeyer et al. 2008). Bislang fehlt es allerdings an einer systematischen Forschung, um diese Diskussion auf eine rationale Grundlage zu stellen (Knesebeck et al. 2009). Dieses Forschungsdefizit ist insbesondere für die stationäre medizinische Rehabilitation zu verzeichnen (Janßen et al. 2009). Dabei kommt gerade diesem Versorgungssektor angesichts des demographischen Wandels und des damit einhergehenden Anstiegs an chronischen Erkrankungen eine wesentliche Bedeutung zu. Ziel des Beitrags ist es, durch eine gezielte Literaturrecherche Studien zu sozialen Einflüssen (Bildung, Einkommen und berufliche Stellung) im Rehabilitationsprozess und -ergebnis zu identifizieren. Methoden: Es wurde eine systematische Recherche in gängigen Datenbanken (MEDLINE, EMBASE, Psyndex, Psycinfo und Web of Science) durchgeführt, die durch eine gezielte Handsuche in einschlägigen Fachdatenbanken (Dissonline der Nationalbibliothek, thieme-connect.de) und in den Referenzlisten der identifizierten Studien ergänzt wurde. Eingeschlossen wurden seit 1990 publizierte, englisch- und deutschsprachige Studien. Dabei wurde auf eine umfangreiche Syntax zur Verschlagwortung „sozialer Ungleichheit“ zurückgegriffen. In einem weiteren Schritt erfolgte dann eine eingehende Analyse der Treffer, wobei nur solche Publikationen berücksichtigt wurden, die die stationäre medizinische Rehabilitation untersuchen und multivariate Analyseverfahren anwenden. Eine Bewertung der Studienqualität wurde durch eine Checkliste in Anlehnung an Qualitätsanforderungen für Beobachtungsstudien und Studien über prognostische Faktoren vorgenommen (Kahn et al. 2004 Altmann 2001, Eggers et al. 2007). Ergebnisse: Mithilfe der gewählten Suchstrategie konnten 18 Studien identifiziert werden, die soziale Einflüsse im rehabilitativen Behandlungsprozess und -ergebnis untersuchen. Die Qualität der Studien ist als mäßig bis gut einzustufen. Die meisten Studien analysieren einzelne soziale Einflüsse in der Rehabilitation im Rahmen von Prädiktorenanalysen. Während sich die rehabilitative Behandlung insgesamt für alle soziale Schichten als effektiv erweist, bestehen Hinweise dahingehend, dass die unteren Sozialschichten am Ende der Rehabilitation nicht das gleiche gesundheitliche Niveau erreichen, wie die höheren sozialen Schichten. Hinsichtlich der langfristigen Ergebniskriterien wie die Wiedereingliederung in das Erwerbsleben zeigen sich die größten Unterschiede zwischen den Sozialschichten. Die Ergebnisse zum Behandlungsprozess oder zu anderen Ergebniskriterien wie die Symptomverbesserung sind dagegen inkonsistent. Aufgrund des fehlenden theoretischen Hintergrundes in der Mehrzahl der Studien kann keine Bewertung über eine ungleiche gesundheitliche Versorgung in der Rehabilitation vorgenommen werden. Diskussion: Die bisherige Forschung lässt vermuten, dass sich gesundheitliche Ungleichheiten in der Rehabilitation fortsetzen und zwischen den sozialen Schichten unterschiedliche Chancen bestehen, erzielte Rehabilitationseffekte langfristig beizubehalten. Allerdings ist es auf Basis der bisherigen Forschung unklar, inwieweit diese Ungleichheiten auf den rehabilitativen Behandlungsprozess, personale Faktoren oder auf die (beruflichen) Lebensbedingungen der Rehabilitandengruppen zurückgeführt werden können. Es bleibt zu diskutieren, inwiefern die Rehabilitation im Sinne einer Patientenorientierung dazu beitragen kann, bestehende gesundheitliche Ungleichheiten zu reduzieren. Dafür ist weitere, theoriegeleitete Forschung unerlässlich.