Gesundheitswesen 2013; 75 - A126
DOI: 10.1055/s-0033-1354100

Erhebung der Inanspruchnahme medizinischer Leistungen durch Primär- oder Sekundärdaten: Gibt es einen Königsweg?

E Swart 1
  • 1Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg, Magdeburg

Hintergrund: Die Erhebung der Inanspruchnahme medizinischer Leistungen gehört zum festen Fragenkatalog zahlreicher epidemiologischer Studien. Gleichwohl hat sich hier noch kein Standardmodul herausgebildet, die Ergebnisse unterscheiden sich demnach je nach eingesetztem Instrument. Auch die Validität erinnerungsgestützter Selbstangaben über einen Zeitraum von zwölf Monaten ist unklar. Insofern bietet sich die Erfassung der Inanspruchnahme über GKV-Routinedaten an, die ein vollständiges Bild der Inanspruchnahme liefern. Allerdings fehlen in Sekundärdaten zahlreiche soziodemographische und sozioökonomische Angaben zu Determinanten der Inanspruchnahme. Material und Methode: Die Arbeitsgruppe Versorgungsforschung der Deutschen Gesellschaft für Medizinische Soziologie (DGMS) gibt ein Buch zu Theorie, Methoden und Ergebnissen der Inanspruchnahmeforschung heraus. Darin werden in zwei separaten Kapiteln die Chancen wie die Limitationen der Erhebung der Inanspruchnahme über die direkte Befragung von Studienteilnehmern (Primärdaten) und über Sekundärdaten (GKV-Daten) dargestellt. In diesem Beitrag erfolgt eine vergleichende Gegenüberstellung der beiden methodischen Zugänge und eine Diskussion der Chancen, die in einem Datenlinkage von Primär- und Sekundärdaten zur Inanspruchnahme liegen. Ergebnisse: Weder Primärdaten noch Sekundärdaten zeigen ein vollständiges Bild der Inanspruchnahme medizinischer Leistungen und seiner Determinanten. In Primärdaten liegen in der Regel eine Vielzahl soziodemographischer und sozioökonomischer Variablen vor, ebenso Angaben zum individuellen gesundheitsverhalten und Risikofaktoren. Beispiele liefern die bevölkerungsrepräsentativen Surveys des Robert-Koch-Instituts. Die Angaben zur Inanspruchnahme beschränken sich dagegen meist auf die Zahl der ambulanten Kontakte, ggf. differenziert nach Fachrichtung der behandelnden Ärzte, und der Krankenhausaufenthalte, ergänzt um Fragen zu präventive Leistungen und Art verordneter Medikamente. In den Routinedaten der GKV, deren Nutzung sich in den letzten Jahren im Rahmen der Versorgungsforschung etabliert, lässt sich dagegen die Inanspruchnahme versichertenbezogen, sektorübergreifend und längsschnittlich abbilden. Gegenüber den Primärdaten enthalten Sekundärdaten auch detaillierte Angaben zu abgerechneten ambulanten Leistungen (EBM-Katalog), zu Details von Medikamentenverordnungen (ATC kodiert) und zu operativen Eingriffen (OPS-Katalog). Auch die Verknüpfung von Leistungen mit Diagnosen möglich. Dagegen fehlen weitgehend soziodemographische und sozioökonomische Angaben zum Versicherten. Diskussion: (GKV-)Sekundärdaten bieten sich zur Abbildung des reinen Inanspruchnahmegeschehens an. Sie sind vollständig im Sinne aller zu Lasten der GKV abgerechneten Leistungen. Nicht erfasst werden dagegen selbst finanzierte (IGeL-)Leistungen oder frei verkäufliche Medikamente. Ebenso wenig stehen in gleichem Umfang Daten der PKV für eine wissenschaftliche Nutzung bereit. Insofern kann können Primärdaten zur Inanspruchnahme systematische Lücken in der GKV-Daten schließen. Zusätzlich können nur über Primärdaten wesentliche Determinanten des Andersen-Modells erfasst werden, in dem die Determinanten der Inanspruchnahme in die Kategorien „Predisposing Characteristics“, „Enabling Resources“ und „Need“ zusammengefasst werden. Insofern bietet sich für eine umfassende Analyse der Inanspruchnahme ein individuelles Datenlinkage von Primär- und Sekundärdaten an.