Gesundheitswesen 2013; 75 - A115
DOI: 10.1055/s-0033-1354092

Die veränderte Arbeitswelt als Herausforderung für die Gesundheit! Arbeitsbedingungen als Determinanten des Gesundheitsverhaltens hochgebildeter Frauen und Männer

L Hünefeld 1
  • 1Goethe-Universität Frankfurt a.M.

Die Arbeitswelt hat sich in den letzten 60 Jahren grundlegend strukturell verändert. Mit zu den zentralsten Veränderungen zählen die Flexibilisierung und Entgrenzung von Arbeitszeiten und Beschäftigungsformen (Pongratz & Voß 2000). Dies bedeutet vor allem einen Rückgang des traditionellen Normalarbeitsverhältnisses und eine Zunahme von flexiblen und prekären Arbeitsformen, die mit hohen Leistungs- und Qualifikationsanforderungen einhergehen. Die Entgrenzung der Arbeit zeigt sich neben anderen Bereichen vor allem in den Folgenden: 1. Zeitlich durch verschiedene Arbeitszeitregelungen wie Gleitzeit, Arbeiten am Wochenende oder Arbeiten auf Abruf, 2. räumlich, da immer mehr räumliche Mobilität von den Beschäftigten gefordert wird, aber auch das Arbeiten von Zuhause für Erwerbstätige häufiger zur Normalität wird und 3. bezüglich der Arbeitsinhalte und Qualifikationen. So reichen einmal erworbene Fähigkeiten nicht aus, ein lebenslanges Lernen ist gefordert und zunehmend werden überfachliche Qualifikationen gefordert. Dies führt auf Seiten der Beschäftigten vor allem zu erhöhten Leistungsanforderungen und zur verstärkten Selbstorganisation und -kontrolle (Minssen 2006). Eine zentrale Frage, die sich hier stellt, ist ob erwerbstätige Personen angesichts entgrenzter und flexibilisierter Arbeit noch in der Lage sind, sich gesundheitsförderlich zu verhalten. Aus diesem Grund gehe ich der Frage nach, wie sich Arbeitsbedingungen, die durch hohe zeitliche Flexibilität sowie hohen Zeit- und Leistungsdruck gekennzeichnet sind, auf die Ausübung von gesundheitsrelevantem Verhalten auswirken. Bereits zahlreiche Studien haben sich mit der Verknüpfung von Arbeit und Gesundheit unter Einbezug der beschrieben Veränderungen befasst und konnten negative Konsequenzen von Arbeitsbedingungen wie flexibilisierten Arbeitszeiten, Zeit- und Leistungsdruck sowie psychosozialem Stress auf den Gesundheitszustand nachweisen (Siegrist & Dragano 2006 Kuhn 2006 Badura & Schröder 2010). Unter der Annahme, dass das Gesundheitsverhalten eine zentrale vermittelnde Instanz zwischen den Arbeitsbedingungen und dem Gesundheitszustand ist (Hurrelmann 2010), gehe ich davon aus, dass die Arbeitsbedingungen sich nicht nur direkt auf den Gesundheitszustand von Personen auswirken, sondern diese gleichermaßen die Ausgangsbedingungen zur Ausführung von gesundheitsbezogenen Verhaltensweisen darstellen. Bei meiner Untersuchung handelt es sich um eine explorative Studie, deren Datenbasis eine Zufallsstichprobe von hochgebildeten erwerbstätigen Personen im Alter von 25 – 55 Jahren aus dem SoSci-Panel (N = 712) bildet. Die Daten wurden anhand eines Onlinefragebogens erhoben. Mittels binärlogistischer Regressionen konnten bislang Frauen und Männer, die Zeit- und Leistungsdruck, regelmäßigen Überstunden und lange Arbeitszeiten ausgesetzt sind, als Risikogruppen für riskantes Gesundheitsverhalten ermittelt werden. So weisen Personen mit diesen Arbeitsbedingungen eine bis zu 3mal so hohe Wahrscheinlichkeit auf, sich ungesund zu ernähren und lassen zusätzlich häufiger Mahlzeiten berufsbedingt ausfallen als Beschäftigte ohne diese Bedingungen. Ebenfalls gehen diese Personen seltener sportlichen Aktivitäten nach. Dies spiegelt sich auch in einem erhöhten BMI wieder. Interessanterweise zeigt sich für die Inanspruchnahme von Vorsorgemaßnahmen wie Krebsvorsorge, gesundheitsförderliche Maßnahmen oder Gesundheitscheck kein Effekt der Arbeitsbedingungen. Hier sind eher familienbezogene Merkmale wir Partner- und Elternschaft für Frauen und Männer relevant. Die vorläufigen Ergebnisse zeigen, dass es sich beim Gesundheitsverhaltens um einen komplexen Untersuchungsgegenstand handelt, der von einer Vielzahl von Faktoren abhängig ist. Weiterhin liefern sie erste Anhaltspunkte für den negativen Effekt von beschriebenen Arbeitsbedingungen auf die Ausübung von gesundheitsförderlichen Verhaltensweisen. Dies sollte in die aktuelle Debatte, wie die Arbeitswelt gesünder gestaltet werden kann, mit aufgenommen werden.