Gesundheitswesen 2013; 75 - A33
DOI: 10.1055/s-0033-1354025

Indikatoren sowie Gründe für und gegen eine Mitgliedschaft in Selbsthilfegruppen bei Patienten mit chronischer Polyarthritis

K Mattukat 1, C Matthes 1, W Mau 1
  • 1Institut für Rehabilitationsmedizin, Medizinische Fakultät der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, Halle

Hintergrund: Die Diagnose „chronische Polyarthritis (cP)“ bedeutet eine tiefgreifende Veränderung des alltäglichen Lebens der betroffenen Person, da sie häufig vielfältige Einschränkungen mit sich bringt [1]. Nach der ersten Aufklärung durch den behandelnden (Fach)Arzt sind Selbsthilfegruppen wichtige Anlaufstellen für weiterführende Beratung und Information. Dennoch werden sie bisher wenig genutzt [2]. Einflussfaktoren der Inanspruchnahme von Selbsthilfegruppen bei Patienten mit cP wurden bisher nicht untersucht [3]. Dieser Beitrag stellt entsprechende Ergebnisse einer Befragung von cP-Patienten über rheumatologische Schwerpunktpraxen sowie während rheumatologischer Rehabilitation vor. Methodik: Von den befragten 679 cP-Patienten wurden 307 (45%) in zwei stationären Rehabilitationskliniken und 372 (55%) deutschlandweit in neun rheumatologischen Schwerpunktpraxen akquiriert. Stichprobe: 75% Frauen Alter M = 53 (± 12) Jahre (20 bis 87 Jahre), Krankheitsdauer M = 9 (± 9) Jahre (0 bis 48 Jahre). Analysiert wurden univariate und multivariate Indikatoren für die Mitgliedschaft in einer Selbsthilfegruppe sowie Gründe gegen eine Mitgliedschaft. Ergebnisse: Von den Befragten waren 13,7% Patienten Mitglied in einer Selbsthilfegruppe, davon 88% in der Deutschen Rheuma-Liga. Frauen (15,9%) waren häufiger Mitglieder als Männer (7,2% p < 0,01). Mitglieder hatten gegenüber Nicht-Mitgliedern eine längere Krankheitsdauer (p < 0,01), eine geringere Funktionskapazität (FFbH p < 0,01) und gesundheitsbezogene Lebensqualität (p < 0,01). Mitglieder berichteten häufiger einen Behinderungsgrad (GdB), darunter häufiger eine Schwerbehinderung (p < 0,001), und weitere chronische Erkrankungen (p < 0,01). Sie waren seltener berufstätig (u.a. seltener ganztags beschäftigt) und häufiger EM-berentet (p < 0,05). Mitglieder nahmen eher Cortison (p < 0,05) und langfristig wirksame Antirheumatika (Basistherapie) ein (p < 0,01). Zusätzlich waren sie in ihrer Freizeit sportlich aktiver (p < 0,01). Keine Unterschiede zeigten sich hinsichtlich Alter, Sozialstatus (inkl. berufliche Stellung, Schulabschluss), Ort der Akquise (Klinik vs. Praxis) und der Einnahme von Schmerzmedikamenten. Nach Kontrolle der o.g. Faktoren (zzgl. Alter und Sozialstatus) in einer multiplen logistischen Regression blieben Frauen (p < 0,05), anerkannter Behinderungsgrad (p < 0,01) und Einnahme von Antirheumatika (p < 0,05) signifikante Indikatoren einer Selbsthilfegruppen-Mitgliedschaft. Die Gründe gegen eine Mitgliedschaft wurden nur in der Praxisbefragung erhoben (n = 271): Der überwiegende Teil (44,6%) äußerte kein Interesse/Bedarf, 17,7% kannten die Möglichkeit bisher nicht, 15,1% hatten noch keine passende Gruppe gefunden, 10,7% wollten nicht mit Kranken zusammentreffen, 9,6% war eine Mitgliedschaft zu teuer und 5,9% gaben Zeitmangel als Grund für die Nicht-Mitgliedschaft an. Diskussion: Entsprechend bisheriger Befragungen [2] waren nur etwa 14% der befragten cP-Patienten Mitglieder einer Selbsthilfegruppe. Selbsthilfegruppen erreichen demnach bisher vor allem Frauen. Berufstätige (v.a. Vollbeschäftigte) werden seltener erreicht als bereits berentete Patienten. Der Sozialstatus spielte dagegen keine Rolle. Trotz schwererer körperlicher Beeinträchtigungen und häufigerer Einnahme von Antirheumatika (inkl. Cortison) ist die größere sportliche Freizeitaktivität von Mitgliedern gegenüber Nicht-Mitgliedern bemerkenswert. Gründe gegen eine Mitgliedschaft lagen v.a. in einem weit verbreiteten Desinteresse, mangelndem Wissen zu den bestehenden Möglichkeiten oder einfach keinen passenden Gruppen. Finanzielle Aspekte waren weniger wichtig. Empfehlungen zur Förderung der Inanspruchnahme von Selbsthilfegruppen betreffen v.a. die „Unwissenden“, denen entsprechende Informationen bzgl. Aktivitäten und Angeboten von Selbsthilfegruppen zu vermitteln sind. „Uninteressierte“ und „Suchende“ könnten mit passend(er)en Angeboten gewonnen werden. Ein besonderes Augenmerk mit passenden Angeboten sollte auf bisher schwer erreichbare Gruppen gelenkt werden: Männer, (voll) Berufstätige, körperlich weniger Aktive und Patienten, die erst kürzlich ihre Diagnose mitgeteilt bekommen haben.