Rofo 2013; 185 - WS407_1
DOI: 10.1055/s-0033-1346184

Definition aus epidemiologischer Sicht

H Junkermann 1, N Becker 2
  • 1Universitätsfrauenklinik, Sektion Senologische Diagnostik, Heidelberg
  • 2Deutsches Krebsforschungszentrum, Epidemiologie von Krebserkrankungen, Heidelberg

Überdiagnose ist die Diagnose von Karzinomen, die während eines Screeningprogramms entdeckt werden und während der verbleibenden Lebenszeit eines Menschen ohne Früherkennung nicht entdeckt worden wären.

Ab Beginn des Screenings werden in der gescreenten Bevölkerung mehr Karzinome entdeckt als in einer ungescreenten Vergleichsgruppe. Nach Beendigung des Screenings werden vorübergehend weniger Karzinome in der gescreenten Bevölkerung entdeckt. Falls der screeningbedingte Anstieg nicht vollständig kompensiert wird und die Zahl der Erkrankten in der gescreenten Bevölkerung dauerhaft erhöht bleibt, liegt Überdiagnose vor.

Überdiagnose ist die schwerwiegendste Nebenwirkung eines Früherkennungsprogramms. Der Arzt kann nicht feststellen, ob ein früh entdeckter Krebs in der verbleibenden Lebenszeit symptomatisch geworden wäre. Überdiagnostizierte Krebsfälle werden deshalb wie andere Krebse behandelt.

Eine Studie, die zwei vollständig vergleichbare Populationen, von denen eine 20 Jahre lang am Mammografiescreening teilnimmt, bis an ihr Lebensende beobachtet, liegt nicht vor. Nicht randomisierte Beobachtungsstudien des Mammografiescreenings wurden mit Überdiagnosen von bis zu 50% publiziert. Eine methodische Analyse der aus europäischen Screeningprogrammen publizierten Studien durch die EUROSCREEN-Gruppe ergab jedoch, dass bei einer angemessenen Berücksichtigung von Trends in der Hintergrundinzidenz und der Diagnosevorverlegung die Überdiagnose nur 1 – 10% beträgt. Eine unabhängige Gruppe britischer Wissenschaftler hat aus drei randomisierten Studien mit einer Nachbeobachtungszeit von mindestens 6 Jahren eine Überdiagnose von 10,7% errechnet.

Überdiagnose kommt beim Mammografiescreening vor. Die Bestimmung des Ausmaßes ist schwierig und mit Unsicherheiten behaftet, die bei der Bewertung der Ergebnisse berücksichtigt werden müssen.

Lernziele:

  • Bedeutung von Überdiagnose für die Nutzen-Schaden-Bilanz

  • Probleme bei der Messung von Überdiagnose

Korrespondierender Autor: Junkermann H

Universitätsfrauenklinik, Sektion Senologische Diagnostik, Voßstrasse 9, 69115 Heidelberg

E-Mail: hans.junkermann@med.uni-heidelberg.de