Anästhesiol Intensivmed Notfallmed Schmerzther 2013; 48(4): 205-206
DOI: 10.1055/s-0033-1343751
Editorial
© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Der Notfallsanitäter kommt –was geht?

Jan-Thorsten Gräsner
,
Berthold Bein
,
Jens Scholz
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Publikationsverlauf

Publikationsdatum:
30. April 2013 (online)

Mit der Verabschiedung des Notfallsanitätergesetzes zur Einführung eines neuen Berufsbildes im nicht ärztlichen Rettungsdienst in Deutschland haben Bundestag und Bundesrat im März 2013 den Weg zu einer verbesserten Ausbildung geschaffen [1]. Bessere Ausbildung führt zu höherer Qualität in der Patientenversorgung und ist daher prinzipiell zu begrüßen. Die 3-jährige Ausbildung zum Notfallsanitäter schafft erstmals anderen medizinischen Assistenzberufen vergleichbare Rahmenbedingungen. Die beruflichen Optionen für Absolventen dieser Ausbildung sind vielfältig und schaffen künftig hoffentlich die gewünschte Durchlässigkeit zu anderen Bereichen der medizinischen Versorgung.

Anästhesisten und andere an der Notfallmedizin beteiligte Fachdisziplinen begrüßen die erweiterte Handlungskompetenz der neu geschaffenen Notfallsanitäter. Sie wird die Qualität des bewährten kombinierten Systems aus Notärzten gemeinsam mit Rettungsdienstfachpersonal weiter steigern. Die Überlegenheit dieses dualen Versorgungssystems in Deutschland gegenüber den in anderen Ländern ausschließlich mit Rettungsdienstfachpersonal agierenden Systemen [2] zeigt sich bei Reanimationen z. B. messbar in einer bis zu 5-fach höheren Langzeitüberlebensrate [3] sowie auch in anderen dualen Rettungs- und Notarztsystemen [4] [5] [6] [7]. Die Tatsache, dass Paramedicssysteme wie in den USA immer häufiger Notärzte auch präklinisch einsetzen, unterstreicht die Vorteile des in Deutschland etablierten Systems.

Wenn der Notfallsanitäter kommt – was geht hierfür? Betrachtet man die aktuellen Diskussionen über einen vermeintlichen Mangel an Notärzten in Deutschland, so werden aus verschiedenen Richtungen Vorschläge lanciert, Notärzte durch die neu geschaffenen Notfallsanitäter zu ersetzen und in ein quasi notarztfreies System zu wechseln. Das Gesetz enthält trotz kritischer Anmerkungen vonseiten unterschiedlicher Fachgesellschaften wie auch der Deutschen Gesellschaft für Anästhesiologie und Intensivmedizin (DGAI) und des Berufsverbandes Deutscher Anästhesisten (BDA) Formulierungen, die in diese Richtung weisen [8].

Hervorgehoben seien hierbei unspezifische Ausführungen zur eigenständigen Durchführung invasiver Maßnahmen, für deren Anwendung bereits die Erwartung (und Abwehr) von „wesentlichen Folgeschäden“ ausreichen soll. Hier muss natürlich auch das Risiko wesentlicher Folgeschäden gerade durch unsachgemäße invasive Maßnahmen bedacht werden.

Darüber hinaus sollen Notfallsanitäter bis zum Beginn einer weiteren ärztlichen Versorgung – und hier ist nicht ausschließlich der hinzugerufene Notarzt gemeint – die alleinige Behandlung des Patienten übernehmen. Ein unmittelbarer Transport in die Klinik ohne Diagnostik und Behandlung des Patienten vor Ort durch den Notarzt könnte die Folge sein. Dies ist – aus mehreren Gründen – ein Weg in die falsche Richtung.

Kompetenzergänzung statt Substitution sichert künftig eine noch bessere Versorgungsqualität für unsere Notfallpatienten. Vergleichbar dem eingespielten Team aus Anästhesist und Anästhesiefachpflegekraft oder Intensivmediziner und Intensivfachpflegekraft ergänzen sich die vorhandenen Qualifikationen und Kompetenzen zum Wohl des Patienten. Trotz 3 Jahren Aus- und 2 Jahren einer sehr anspruchsvollen Fachweiterbildung ist eine Delegation ärztlicher Leistungen, wie z. B. eigenständige Indikationsstellung, Medikamentenauswahl oder Einleitung und Durchführung einer Intubationsnarkose, an Fachpflegekräfte in Deutschland nicht zulässig und ein „Ersatz“ des Arztes durch Pflegekräfte nach fortgesetzter Rechtsprechung nicht möglich.

Die jetzt aufgekommene Diskussion über die Zulässigkeit invasiver Maßnahmen im Zusammenhang mit der Einführung des Notfallsanitäters schadet einer vertrauensvollen interprofessionellen Zusammenarbeit mehr als sie in der Praxis einem Patienten helfen wird. In der präklinischen Notfallmedizin werden 25 % aller Rettungsdiensteinsätze gemeinsam von Notarzt- und Rettungsdienst abgewickelt. Das bedeutet im Umkehrschluss, dass bei den übrigen 75 % der Einsätze keine Indikation zu invasiven Maßnahmen bestand [9].

Wie wichtig Ausbildung und ständiges Training für die Beherrschung von Notfallsituationen mittels invasiver Maßnahmen ist, kann exemplarisch am Beispiel der Intubation dargestellt werden: Mehr als 100 selbständig durchgeführte Intubationen insgesamt und mind. 10 Intubationen pro Jahr werden nach aktueller Studienlage als Minimum für die sichere Durchführung dieser Maßnahme angesehen [10]. Legt man die Einsatzzahlen von Rettungsdiensten zugrunde, so kann die notwendige Anzahl an Intubationen zum kontinuierlichen Training in manchen Notarztsystemen nur eingeschränkt und in reinen Rettungssystemen mit deutlich mehr beteiligten Mitarbeitern überhaupt nicht erreicht werden [11].

Über Ausbildungskapazitäten, die das Erlernen invasiver Maßnahmen überhaupt erst ermöglichen, wurde bisher ebenfalls noch nicht ausreichend diskutiert. Auch hier sind die Möglichkeiten aufgrund der nicht steigerungsfähigen Behandlungsfälle im klinischen Umfeld limitiert.

Kostengründe taugen bei etwas genauerer Analyse nicht als Argument für einen Systemwechsel. Mit der Einführung des Berufsbildes des Notfallsanitäters endet die Zeit, in der angehende Rettungsdienstmitarbeiter ihre Ausbildung aus eigener Tasche bezahlen mussten. Bessere Qualifikation muss bessere und auskömmliche finanzielle Kompensation nach sich ziehen. Mehr Kompetenzen bedeutet auch mehr Verantwortung, die sich auch in den Versicherungsprämien niederschlagen wird.

Alles das wird nicht zum Nulltarif zu haben sein, sondern eine erhebliche Kostensteigerung nach sich ziehen. Die Kosten von 5 Euro pro Einwohner und Jahr in Deutschland, welche die notärztliche Versorgung derzeit kostet, werden hierbei sogar deutlich überschritten werden [4]. Notfallsanitäter sind kein Mittel zur Kostenersparnis und sollten dies auch nicht sein. Qualität kostet Geld!

Was ändert sich also mit dem Notfallsanitätergesetz? Vorbei die Zeit, die qualifizierten Rettungsassistenten vonseiten der Berufsausbildung nur eine limitierte Anerkennung verschafft hat. Es geht – über einen längeren Zeitraum bis zum kompletten Berufseinstieg von neu ausgebildeten und nicht übergeleiteten Notfallsanitätern – in die richtige Richtung zu einer besseren beruflichen Qualifikation eines wichtigen Partners in der notfallmedizinischen Versorgung. Es geht gemeinsam weiter zum Wohl der Notfallpatienten.

Die vertrauensvolle Zusammenarbeit von ärztlichem und nicht ärztlichem Rettungsdienstpersonal hat sich in der Praxis bewährt. Folgt man den Ideen des Notfallsanitätergesetzes, so sind die Ärztlichen Leiter Rettungsdienst und die ärztlichen Leitungen von Rettungsdienstschulen künftig noch mehr in der Verantwortung, gemeinsam mit den Rettungsdienstträgern für eine hoch qualifizierte Aus- und Weiterbildung des Rettungsdienstpersonals zu sorgen. Dies ist nicht nur für die Sicherheit der Patientenversorgung, sondern auch für die Handlungssicherheit der künftigen Notfallsanitäter von großer Bedeutung.

Das Notfallsanitätergesetz hat die gesetzlichen Hürden genommen. Soll es ein Erfolg gleichermaßen für Rettungsdienstmitarbeiter, Notärzte und Patienten werden, sind gemeinsame Anstrengungen bei der Umsetzung und der Steigerung der jetzt schon vorhandenen Qualität notwendig.

Notfallsanitäter – was geht? Eine Menge „geht“ gemeinsam, nichts gegeneinander.

Jan-Thorsten Gräsner, Berthold Bein ,Jens Scholz

Herausgeber

G. Geldner, Ludwigsburg

T. Hachenberg, Magdeburg

W. Koppert, Hannover

C. Krier, Stuttgart

G. Marx, Aachen

N. Roewer, Würzburg

J. Scholz, Kiel

C. Spies, Berlin

H. Van Aken, Münster

H. Wulf, Marburg

K. Zacharowski, Frankfurt/Main

Experten-Panel

B. Bein, Kiel

E. Biermann, Nürnberg

J. Biscoping, Karlsruhe

B. Böttiger, Köln

M. Bucher, Halle

H. Bürkle, Freiburg

B. Dirks, Ulm

V. von Dossow, München

L. Eberhart, Marburg

U. Ebmeyer, Magdeburg

M. Fischer, Göppingen

W. Gogarten, München

J. Graf, Frankfurt/Main

S. Grond, Detmold

U. Kaisers, Leipzig

C. Kill, Marburg

U. Klein, Nordhausen

S. Kozek-Langenecker, Wien

P. Kranke, Würzburg

L. Lampl, Ulm

J. Martin, Göppingen

A. Meißner, Soest

C. Nau, Erlangen

J. Pfefferkorn, Stuttgart

P. Rosenberger, Tübingen

M. Schäfer, Berlin

T. Schnider, St. Gallen

T. Schürholz, Aachen

U. Schwemmer, Neumarkt

T. Standl, Solingen

F. Stüber, Bern

R. Sümpelmann, Hannover

M. Tramèr, Genf

K. Ulsenheimer, München

T. Volk, Homburg/Saar

A. Walther, Stuttgart

F. Wappler, Köln

E. Weis, Nürnberg

Organschaften

Deutsche Gesellschaft für Anästhesiologie und Intensivmedizin

Österreichische Gesellschaft für Anaesthesiologie, Reanimation und Intensivmedizin

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Ergänzendes Material