Gesundheitswesen 2013; 75 - A2
DOI: 10.1055/s-0033-1337448

Das Münchner Gesundheitsamt als Zentrale kommunaler Gesundheitspolitik in der NS-Zeit

A Christians 1
  • 1Berlin

Bei der geplanten braunen Umgestaltung der deutschen Gesellschaft kam der Gesundheitspolitik eine Schlüsselrolle zu. Sie orientierte sich an erbbiologisch-rassistischen Ordnungsideen, für die das Konstrukt der „Volksgemeinschaft“ das konkrete Handlungsprogramm darstellte. Die Gesundheitsämter waren die hauptsächlichen Funktionsträger dieser Politik. Der Vortrag wird die zentralen Ergebnisse der kürzlich fertiggestellten Regionalstudie vorstellen, die innerhalb des Projekts „Die Münchner Stadtverwaltung im Nationalsozialismus“ entstanden ist. Darin wird das Münchner Gesundheitsamt als zentrale Organisationsstelle der Gesundheitsverwaltung herausgearbeitet. Die Analyse fokussiert auf Zusammenarbeit der Behörde mit anderen städtischen Ämtern und Institutionen, wie Fürsorgeämtern, Krankenhäusern und Polizei.

Für die Zeit bis 1939 wurden die städtischen Netzwerke vor allem hinsichtlich zweier Gesichtspunkte untersucht: Zum einen kann der zunächst zögerliche Auf- und Ausbau des Gesundheitsdienstes nachgezeichnet sowie Planungen, Hemmnisse, Zuständigkeiten und Wirkungsanteile der beteiligten Institutionen ausgelotet werden. Zum anderen werden Kooperationen von Gesundheits- und Fürsorgestellen bei der Ermittlung von potentiellen Erbkranken für eine Zwangssterilisation freigelegt. Neben der Münchner Praxis der NS-Zwangssterilisation steht die öffentliche Gesundheitsverwaltung während des Kriegs im Fokus der Arbeit. Im Ansatz untersucht die Studie die Münchner Gesundheitsinstitutionen in zweifacher Perspektive: einerseits sollen radikaler werdende exklusive Tendenzen und direkte Exklusionen aus der Gesundheitsfürsorge und Verfolgungsmechanismen herauspräpariert werden. Andererseits soll auch der Dienstleistungscharakter der städtischen Einrichtungen beleuchtet und gefragt werden, wie diejenigen Personenkreise der Stadtbevölkerung, auf die sich die „volksgemeinschaftliche“ Gesundheitsförderung bezog, von den Leistungen profitierten.