Klinische Neurophysiologie 2013; 44 - P73
DOI: 10.1055/s-0033-1337214

Wo werden Objekte bei Jungen und Alten gelernt? Eine multimodale Imagingstudie

G Seidel 1, J Blessin 2, T Ringer 2, K Schulz 1, 2, A Lorenz 1, O Witte 2, F Hamzei 1, 2
  • 1Moritz Klinik, Neurologie, Bad Klosterlausnitz, Deutschland
  • 2Friedrich-Schiller-Universität, Neurologie, Jena, Deutschland

Einleitung:

Täglich benutzen wir Objekte ohne uns bewusste Gedanken über die Bedeutung (Semantik) oder die Beschaffenheit der Objekte sowie die daraus resultierenden Handlungsabläufe zu machen. Die notwendigen Informationen über die Objekteigenschaften gelangen über den dorsalen (Beschaffenheit) und ventralen (Semantik) visuellen Stream in den präfrontalen Cortex und müssen dort in einem Handlungskonzept integriert werden. Diese Argumentation wurde benutzt, um die beim Betrachten von bekannten Objekten aktivierten prämotorischen Areale zu klären. In dieser Studie soll nun einerseits untersucht werden, welche Areale für die Bildung von der für die Handhabung eines Objektes benötigten Konzeptebene verantwortlich sind. Ferner soll untersucht werden, wie die entsprechenden Areale ihre Interaktionen verändern, wenn die Handlungsebene erreicht ist. Da beispielsweise Schlaganfälle häufig im höheren Alter auftreten und strukturelle Veränderungen zu einer Veränderung der funktionellen Hirnorganisation führen, soll außerdem untersucht werden, ob sich diese „objektbezogene Handlungsebene“ in Abhängigkeit des Alters unterscheidet.

Methode:

20 jungen (mean 26J.) und 25 alten (mean 63J.) Probanden wurden bekannte und unbekannte Objekte zunächst als Bild, danach als Video in der realen Gebrauchssituation präsentiert (Session 1). Danach wurden die unbekannten Objekte ein zweites Mal präsentiert (Session 2). Nach jeder Objektpräsentation wurde ein Urteil hinsichtlich des Bekanntheits- bzw. Verständnisgrades abgegeben. Es folgte eine Analyse u.a. mit der „functional connectivity“ (FC) und „voxel based morphometry“ (VBM) mit SPM8.

Ergebnisse:

Alle Probanden haben die unbekannten Objekte während der 1. Session gelernt. Die Videos der unbekannten Objekte in Session 1 zeigten im Vergleich zu den Videos der unbekannten Objekte in Session 2 eine höhere Aktivierung im pars opercularis (BA44) und pars triangularis (BA45) sowie in SMA links. Bei den alten Probanden war während des Lernens der Handlungsebene eine stärkere FC vor allem zwischen dem parietalen mit dem dorsalen prämotorischen Cortex (parieto-dPMC) nachweisbar, während bei den jungen Probanden sowohl der parieto-dPMC als auch der temporal-ventrale Cortex mit dem prämotorischen Cortex verstärkt interagierten. Hierbei zeigte der Precunues bei jungen Probanden eine stärkere Deaktivation als bei den alten Probanden. Diese kompensierte funktionelle Organisation über dem Precunues ist bedingt durch die deutliche Minderung der grauen Substanz im Temporallappen der Alt-Gruppe.

Diskussion:

Für die Bildung von Objektkonzepten sind BA44 und BA45 als Integrationsstelle von Informationen aus dem dorsalen und ventralen visuellen Stream verantwortlich.

Durch Abnahme von grauer Substanz im Temporallappen bei den alten Probanden kommt es zu einer kompensierten funktionellen Organisation über noch intakte strukturelle Regionen. Hierbei scheint der Precuneus eine zentrale Rolle zu spielen.