JuKiP - Ihr Fachmagazin für Gesundheits- und Kinderkrankenpflege 2013; 02(01): 4-5
DOI: 10.1055/s-0033-1333848
Kolumne
Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Ach du liebe Zeit!

Heidi Günther
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Publication Date:
05 February 2013 (online)

… Es ist nicht zu wenig Zeit, die wir haben, sondern es ist zu viel Zeit, die wir nicht nutzen

(Lucius Annaeus Seneca – römischer Philosoph, 54 v. Chr.)

Wenn ich als Kind ein bevorstehendes Ereignis wie Weihnachten, Geburtstag oder Ferien nicht abwarten konnte, hat meine Mutter mich immer mit dem Satz „Nichts ist vergänglicher als die Zeit“ beruhigt. Und recht hatte sie.

Große Geister haben schon über das Phänomen Zeit nachgedacht. Jetzt auch noch ich. Es stimmt: Man kann sie nicht aufhalten, nicht verkürzen, nicht umdrehen, nicht beschleunigen, nicht zurückholen. Sie verläuft immer in eine Richtung. Sie ist eine Form unseres Daseins, mit der wir zurechtkommen müssen – ob wir wollen oder nicht. Es sei denn, man versucht sich mit ihr auf der Grundlage der Einsteinschen Relativitätstheorie, der modernen physikalisch-mathematischen Theorie des Raums und der Zeit, anzulegen. Was der normale Mensch nicht tut – und ich schon gar nicht.

Für unseren Alltag bleibt nur, sich ab und an daran zu erinnern, sorgsam mit ihr umzugehen. Sie gut zu nutzen. Sie nicht zu vergeuden, um nichts bereuen zu müssen.

Im Privatleben sollte sich jeder genug Zeit für seine Familie und Freunde, aber auch für sich selbst nehmen. Um auch genügend Zeit für die Kinder zu haben, haben in Deutschland junge Eltern sogar einen Rechtsanspruch auf Zeit – die Elternzeit.

Es besteht für jeden von uns die Möglichkeit auf begrenzte Arbeitsfreistellung für die Pflege von Angehörigen – die Pflegezeit.

Ein immerwährendes Thema in unserem Beruf ist der Zeitdruck während der Arbeit. Laut einschlägigen Untersuchungen ist das Arbeiten unter Zeitdruck ein Hauptbelastungsfaktor in den Pflegeberufen. Jeder von uns kennt doch Situationen, in denen man nicht weiß, was man zuerst machen soll. Ein Patient soll aus dem OP abgeholt werden, ein anderer klingelt nach der Schwester, weil er Schmerzen hat, der Arzt will Visite machen, Angehörige haben Fragen, dann klingelt noch ständig das Telefon und nebenbei muss auch noch der ganz normale Stationsalltag laufen.

Jeder von uns kennt auch die Ursachen unseres Zeitdrucks, und es ist nicht immer nur die „dünne“ Personaldecke. Oft ist es auch der Mangel an Arbeitsorganisation und schlechter Informationsaustausch. Auch die Veränderungen in der Gesellschaft und im Gesundheitswesen in den letzten Jahren haben Anteil – so die viel höhere Patientenfluktuation durch die kürzere Verweildauer.

Ich glaube, dass es auch wichtig ist, dass wir uns Zeit füreinander nehmen. Abläufe besprechen, Fragen klären und Absprachen treffen. Jungen Kolleginnen und Kollegen Erfahrungen weitergeben und beraten.

Leider ist es so, dass scheinbar schlechte Organisation und unser häufiges Gestresst- und Genervtsein von den auch anspruchsvoller gewordenen Patienten und deren Angehörigen sehr aufmerksam wahrgenommen werden und oft einen starken Eindruck hinterlassen.

Ältere Patienten erwähnen dann sehr gern die gute alte Zeit – in der die Schwester und der Arzt noch Zeit hatten. Eins tröstet mich: Irgendwann ist unsere Zeit auch die gute alte Zeit und vieles, was wir erlebt haben, werden auch wir etwas verklärt wiedergeben – und haben den Zeitdruck wahrscheinlich als gar nicht so schlimm in Erinnerung.

Ihre Heidi Günther