Zeitschrift für Phytotherapie 2012; 33(4): 155
DOI: 10.1055/s-0032-1329206
Editorial
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Phytotherapie im Alter?

Matthias F. Melzig

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Publication Date:
24 September 2012 (online)

»Gegen das Altern ist kein Kraut gewachsen« - diese Spruchweisheit kennt eigentlich jedermann und stimmt ihr vorbehaltlos los. Stimmt das aber auch? Eine Antwort darauf muss man sicher etwas differenziert geben. Das Altern des Menschen per se ist (gegenwärtig) nicht aufzuhalten, auch wenn uns das die Werbung im Hinblick auf bestimmte Kosmetika einzureden versucht.

Die Suche nach Stoffen, die das Altern aufhalten können und damit ewige Jugend auslösen, ist so alt wie die Geschichte der Menschheit. Bereits im Gilgamesch-Epos, der ältesten schriftlichen Quelle aus altbabylonischer Zeit sucht der Held des Werkes die Pflanze der ewigen Jugend. Er findet sie zwar (auf dem Boden des Meeres), verliert sie aber schnell wieder und sieht ein, dass ewige Jugend nicht sein Lebensglück bedeutet. Obwohl mehr als 4000 Jahre alt, ist diese Erkenntnis bis heute aktuell.

Ewige Jugend ist heute nicht zu erhalten, aber bestimmte Alterserscheinungen und Beschwernisse, die in höherem Lebensalter stärker als in jüngeren Jahren den Organismus belasten, sind dagegen therapierbar, auch mit Phytotherapeutika, die zudem oft eine lange Tradition aufweisen. Für die Erhaltung der geistigen und körperlichen Gesundheit bietet sich ein breites Spektrum von Arzneipflanzen und pflanzlichen Zubereitungen an. Gepaart mit einer gesunden Lebensführung kann man durch pflanzliche Arzneimittel die Begleiterscheinungen des Alterns therapeutisch beeinflussen.

  • Wie eine ganze Reihe klinischer Studien belegt, profitieren demente Patienten von einer medikamentösen Therapie mit Ginkgo biloba, besonders wenn die Behandlung frühzeitig erfolgt und mit kognitivem und körperlichem Training kombiniert wird. Ginkgo-Extrakte erhalten die Gedächtnisleistung und das Lernvermögen; auch Gleichgewichtsstörungen können damit therapiert werden.

  • Dass Weißdorn-Extrakte bei Patienten mit leichter bis mittelschwerer Herzinsuffizienz (NYHAStadien I und II) die Symptome lindern, ist lange bekannt und durch Studien abgesichert. Auch bei Patienten, die über eine körperliche Leistungseinschränkung mit gelegentlicher Luftnot oder unspezifische Herzbeschwerden klagen, zeigen Weißdorn-Präparate eine gute Wirksamkeit bei exzellenter Verträglichkeit.

  • Im Alter nimmt die Anfälligkeit des Bewegungsapparates für Schmerzen zu. Phytotherapeutika leisten als Adjuvanzien in der Schmerztherapie gute Dienste, etwa um die Dosis von Antirheumatika oder von Glucocorticoiden zu reduzieren. Besonders Patienten mit chronischen Rückenschmerzen oder Rheumatiker profitieren von einer zusätzlichen Phytotherapie mit Extraktpräparaten aus Weidenrinde, Brennnesselblättern, Teufelskralle oder einer Extraktkombination aus Eschenrinde, Pappelblättern/-rinde und Echtem Goldrutenkraut.

  • Auch die gutartige Vergrößerung der Prostata (BPH bzw. benigne Prostatahyperplasie) ist eine Erkrankung des höheren Lebensalters, die in den geringgradigen Stadien phytotherapeutisch behandelt werden kann. Dazu steht ein breites Spektrum an Arzneimitteln zur Verfügung, wie Extrakte aus Brennnesselwurzel, Sägepalmenfrüchten, Kürbissamen oder Roggenpollen.

Alle Studien belegen, dass gerade die Verträglichkeit von Phytotherapeutika besonders hoch ist und damit auch die Compliance steigt. Die Akzeptanz und das Vertrauen älterer Patienten in eine phytotherapeutische Behandlung spielen für den Therapieerfolg eine wichtige Rolle. Hierzu möchte ich auf den Beitrag von Thomas Uhrhahn in dieser Ausgabe verweisen, der die Verordnungsweisen von Phytopharmaka in stationären Pflegeeinrichtungen untersucht hat und die Bedeutung der Phytotherapie in der Geriatrie mit ihren spezifischen Indikationen unterstreicht.

Wenn auch kein bestimmtes »Kraut« gegen das Altern oder die Altersbeschwerden gewachsen ist, so gibt es doch, wie exemplarisch dargestellt, eine Reihe von Arzneipflanzen in der traditionellen europäischen Medizin, die für die Leiden des höheren Lebensalters Linderung oder Befreiung bringen. Um von diesem Wissen und Erfahrungsschatz zu profitieren, lohnt es sich, neben der Lektüre dieser Ausgabe unserer Zeitschrift ein wenig im Archiv der Zeitschrift für Phytotherapie zu recherchieren (www.thieme-connect.de/ejournals/toc/phyto) - ein weniger gefahrvolles Unternehmen im Vergleich zum Tauchgang des Gilgamesch, zudem jederzeit wiederholbar und die dabei gewonnenen Einsichten gehen auch nicht verloren!