Z Orthop Unfall 2013; 151(1): 74-79
DOI: 10.1055/s-0032-1328194
Varia
Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Unsicherheit bei der radiologischen Achsbestimmung proximaler Humerusfrakturen

Uncertainty in the Radiological Evaluation of Deformity in Proximal Humerus Fractures
O. Ackermann
1   Orthopädie und Unfallchirurgie, Sana-Klinikum Duisburg, Klinik der Sana-Gruppe
,
M. Levine
2   Fakultät Mathematik, Universität Duisburg-Essen, Essen
,
K. Eckert
3   Klinik für Kinderchirurgie, Elisabeth-Krankenhaus Essen
,
C. Rülander
1   Orthopädie und Unfallchirurgie, Sana-Klinikum Duisburg, Klinik der Sana-Gruppe
,
M. Stanjek
1   Orthopädie und Unfallchirurgie, Sana-Klinikum Duisburg, Klinik der Sana-Gruppe
,
C. von Schulze Pellengahr
4   Orthopädische Universitätsklinik im St. Josef Hospital, Kliniken der Ruhruniversität Bochum
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Publication Date:
19 February 2013 (online)

Zusammenfassung

Einleitung: Die korrekte Bestimmung der Achsabweichung proximaler Humerusfrakturen ist essenziell für eine rationale Therapie, insbesondere im Wachstumsalter. Aufgrund der Frakturschmerzen gelingt die korrekte Einstellung der Standardröntgenprojektionen oft nicht und kann, im Gegensatz zur Bildgebung an anderen Gelenken, anhand der Röntgenbilder nur unzureichend geprüft werden. Auch bei korrekten Projektionsebenen kann die Richtung der maximalen Achsabweichung noch 45° von beiden Projektionen abweichen und damit eine korrekte Messung der Achsabweichung unmöglich machen. Ziel dieser Untersuchung war es, die Fehlerquellen bei der Bestimmung der Achsabweichung zu objektivieren und damit Ansatzpunkte zur Verbesserung zu identifizieren. Methodik: Im Rahmen einer 3-stufigen Untersuchung wurde zunächst in Zusammenarbeit mit der Fakultät für Mathematik der Universität Duisburg-Essen ein mathematisches Modell zur Abschätzung des Projektionsfehlers bei Rotation und Verkippung entwickelt. Das mathematische Modell wurde dann mit einem Frakturphantom in der Praxis überprüft, indem mit einem 120° gebogenen Draht, der einer Frakturabkippung von 60° entspricht, Röntgenaufnahmen in verschiedenen Rotations- und Kippwinkeln sowie Kombinationen daraus angefertigt und mit den mit o. g. Modell berechneten Werten verglichen wurden. Im Anschluss wurden 2 erfahrenen unfallchirurgischen und 3 erfahrenen radiologischen Fachärzten in zufälliger Reihenfolge Serien von Bildwandleraufnahmen einer unverletzten rechten Schulter in verschiedenen Rotations- und Ante-/Retroversionsstellungen präsentiert und die Einschätzung zu Rotation und Kippung abgefragt, um zu prüfen, ob eine Fehlprojektion anhand der Röntgenaufnahmen sicher erkannt werden kann. Ergebnisse: Resultat der theoretischen Vorüberlegungen war eine mathematische Funktion, mit der sich aus Rotation und Kippung und Achsabweichung direkt die Projektion der Achsabweichung auf den Röntgenfilm berechnen lässt. Im Rahmen der praktischen Prüfung dieser Werte fand sich eine mittlere Abweichung der berechneten von den im Röntgenbild gemessenen Werten von 0,5° (0–1,2°). Bei der Beurteilung der Röntgenbilder in verschiedenen Rotations- und Kippstellungen waren nur 2 von 50 (4 %) Einschätzungen korrekt, in weiteren 28 Fällen (56 %) war die Tendenz bei der Beurteilung Außen-/Innenrotation korrekt, das Ausmaß der Fehlstellung wurde um durchschnittlich 19,6° (0–60°) falsch eingeschätzt. Bei der Ante-/Retroversion war die Tendenz in 9 Fällen (18 %) korrekt mit einer mittleren Fehleinschätzung um 23° (0–50°). In 7 Fällen (14 %) war die Tendenz in beiden Achsen korrekt, in 11 Fällen (22 %) war in mindestens 1 der beiden Einschätzungen keine Aussage möglich („n. m.“), in weiteren 8 Fällen (16 %) wurde zwar eine Tendenz angegeben, es war aber keine Aussage zur Quantifizierung möglich. Diskussion: Unsere Ergebnisse zeigen, dass die Rotation und Kippung des Humerus auf dem Röntgenbild einen entscheidenden Einfluss auf die Achsbestimmung hat, im Röntgenbild aber nicht mit ausreichender Sicherheit bestimmt werden kann. Diese Problematik ist klinisch relevant, da die reelle Möglichkeit einer Fehlprojektion besteht, in unserer Stichprobe bis 27,8°. Die Problematik ist besonders am wachsenden Skelett relevant, sodass hier neue Ansätze zur sicheren Bestimmung der Achsabweichung notwendig erscheinen.

Abstract

Introduction: The accurate measurement of the deformity of proximal humerus fractures is essential for a proper treatment, particularly in the growing bone. Due to the local pain the correct projection in standard X-rays is difficult to achieve and, in contrast to other joints, cannot be verified in the X-ray. Even with the correct projections a mismeasurement can occur when the rotation is 45° to both planes. The aim of this study was to objectify the error sources and reveal starting points for an improvement. Material and Methods: In a three-step study we initially developed a mathemathical formula in cooperation with the faculty of mathematics of the University of Duisburg-Essen. This formula was proved with X-ray imaging of a steel rod which was bent 120°, simulating a 60° deformity. X-ray images with different rotation and tilt were taken and compared with the values calculated with the above-mentioned formula. In the third step X-rays of a healthy shoulder in different rotation and tilt positions were presented to 2 orthopaedic and 3 radiological consultants. The aim was to determine the direction and amount of rotation and tilt. Results: The first theoretical step resulted in a mathematical formula which describes the optical deformation based on real deformation, tilt and rotation. The evaluation showed a mean difference of 0.5° (0–1.2°) between the calculated and the measured values. In the third step, evaluation of the X-rays of a shoulder showed that two in 50 (4 %) of the values were correct, in additional 28 cases (56 %) the tendency of the direction of the rotation was correct, the extent of the rotation was missed by 19.6° (0–60°). Ante- and retroversion were evaluated correctly in nine cases (18 %), the extent was missed by a mean of 23° (0–50°). In seven cases (18 %) the tendency for rotation and ante-/retroversion was correct, in 11 cases (22 %) one or both aspects could not be evaluated, in additional 8 cases (16 %) the extent could not be estimated. Discussion: Our results show that rotation and tilt of the proximal humerus cannot be estimated in shoulder X-rays and therefore a reliable measurement of the deformity of proximal humerus fractures is extremely unsafe. This problem is relevant for clinical practice because of the high likeliness of unaccurate projections in shoulder X-ray imaging after trauma. Especially for the growing bone the problem is evident, so that new ways of determining the deformity are mandatory.

 
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