Klin Monbl Augenheilkd 2013; 230(1): 78-79
DOI: 10.1055/s-0032-1328124
Laudatio
Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Professor Dr. med. Dieter Schulte 100 Jahre

Professor Dr. med. Dieter Schulte 100 Years
Cay Christian Lösche
Further Information

Publication History

Publication Date:
23 January 2013 (online)

Zoom Image
Dieter Schulte

Am 8. 1. 2013 vollendete Professor Dr. med. Dieter Schulte, ehemaliger Ordinarius der Universität Greifswald und Chefarzt der Augenklinik Mülheim seinen 100. Geburtstag. Einem Kollegen zum hundertsten Geburtstag gratulieren zu können ist eine Seltenheit und mir, einem seiner Nachfolger an der Mülheimer Augenklinik, eine ganz besondere Freude.

Als Zeitzeuge hat Dieter Schulte in diesen 100 Jahren gravierende Umwälzungen, darunter zwei Weltkriege und die Flucht mit seiner Familie, die schwere Zeit und den Aufbau nach dem Krieg und wesentliche Entwicklungen in der Augenheilkunde miterlebt, über die er lebhaft und mit klarem Verstand zu berichten weiß.

D. Schulte wurde am 8. Januar 1913 als Sohn des Augenarztes Dr. Wilhelm Schulte in Essen geboren. Nach dem Abitur 1931 folgte das Medizinstudium in Marburg, München und Königsberg. In Königsberg begann er 1937 nach Approbation und der Heirat seine augenärztliche Ausbildung bei Rohrschneider, der nach dem Krieg Ordinarius in Münster und später in München war. Der Krieg machte ihn zunächst zum Truppenarzt, ab 1942 wurde er dann als Augenarzt in verschiedenen Kriegslazaretten tätig. 1944 erfolgte die Versetzung zur Habilitation an die Klinik in Königsberg, die damals schon Kriegslazarett war. Er erlebte die Zerstörung von Königsberg durch die Luftangriffe und die Flucht aus Ostpreußen. An eine Habilitation war zunächst nicht mehr zu denken. In Deutschland angekommen, wurde er wieder Truppenarzt und dann an der Oderfront verwundet. So kam er ins Lazarett nach Rostock, das bereits russisch besetzt war. Nach seiner Entlassung wurde er Oberarzt bei Comberg an der Universitäts-Augenklinik in Rostock und habilitierte sich 1947 dort über das Thema „Gefäßbeobachtung mit Augenspiegel und Spaltlampe“, ein Thema, das er später immer wieder aufgriff und ergänzte. Im Jahre 1949 wurde er zum kommissarischen Leiter der Universitäts-Augenklinik in Greifswald ernannt, 1950 zum Ordinarius und Klinikdirektor.

Die Verhältnisse in der DDR wurden immer unerträglicher. So bewarb er sich um die Nachfolge des 1951 verstorbenen Chefs der Mülheimer Augenklinik Dr. Walter Roggenkämper, wovon man in Greifswald natürlich nichts wissen durfte. Mit ihm bewarben sich damals um diese Stelle 60 Ophthalmologen, darunter 15 Professoren. Als die Wahl auf ihn fiel, verließ Schulte unter schwierigen Bedingungen heimlich die DDR – zunächst ohne Familie, die er später nachholte. Seine Stelle trat er als dritter Chefarzt der Mülheimer Augenklinik 1952 an und war dort bis 1977 aktiv. Es gelang ihm in den 25 Jahren seiner Tätigkeit erfolgreich, die Klinik, die einen Einzugsbereich von der holländischen Grenze bis Arnsberg hatte – die Augenkliniken Krefeld, Duisburg, Hagen und Lüdenscheid gab es noch nicht – zu einem Haus mit 120 Betten auszubauen. Es erfolgte eine Versorgung aller Augenerkrankungen, wobei die in der Industrieregion häufigen perforierenden Augenverletzungen und die Glaukomerkrankungen eine besondere Rolle spielten. Die Augenklinik führte früh die Mikrochirurgie ein, war eine der drei ersten Kliniken, die in Deutschland einen Laser einsetzte. Schulte drängte sehr auf einen Neubau und eine interdisziplinäre Zusammenarbeit mit einem Allgemeinkrankenhaus. So bereitete er mit seinen Planungen den Weg für den Neubau der Klinik, der unter seinem Nachfolger Professor Eckhard Riehm 1985 bezogen werden konnte.

In seinen zahlreichen wissenschaftlichen Schriften und Kongressbeiträgen ist Schulte schwerpunktmäßig immer wieder auf verschiedene Aspekte der okulären Perfusion eingegangen. Sein breites, kritisches Interesse wird aber auch durch Veröffentlichungen zu einem weiten und spannenden Fragenspektrum belegt: Hierzu gehören u. a. Arbeiten zur Refraktionsbestimmung, zu Operationsverfahren des Grauen und Grünen Stares, zu neuroophthalmologischen Aspekten, zu Erkrankungen der Adnexe bis hin zu gutachterlichen Fragestellungen.

Als Lehrer hat er zahlreiche Augenärzte ausgebildet, die, wie auf einer Feier zu Ehren seines 90. Geburtstages zu sehen war, mit großer Hochachtung und Verehrung zu ihrem Mentor stehen. Bei den niedergelassenen Augenärzten war er mit seinem Wissen und als Persönlichkeit anerkannt. Die von Meyer-Schwickerath und ihm initiierten Klinischen Nachmittage der Mülheimer und Essener Augenklinken wurden rege besucht. Von dem Verein der Rheinisch-Westfälischen Augenärzte wurde ihm die Ehrenmitgliedschaft verliehen. Auch nach seinem Ausscheiden aus der Klinik war er bis in sein 10. Lebensjahrzehnt regelmäßiger Teilnehmer an lokalen Fortbildungsveranstaltungen, bei denen er häufig mit seinen nie belehrenden, immer aber zum Nachdenken anregenden Fragen, den Blick auf das Wesentliche lenkte.

Das rege, wache Interesse, das Dieter Schulte bis zu seinem 100. Geburtstag so kennzeichnet, betraf dabei nicht nur die Augenheilkunde. Mit seiner breiten Allgemeinbildung, den vielen Reisen und den Erfahrungen seines langen Lebens, ist er ein souveräner, interessanter und äußerst liebenswerter Gesprächspartner. Er war stets geistig agil und darüber hinaus sehr sportlich, ritt bis er 80 war, fuhr mit der Enkelin noch bis zum 92. Lebensjahr Ski und als in den letzten Jahren das Fahrradfahren wegen der möglichen Folgen eines Sturzes zu gefährlich erschien, wurde ein Elektrorad angeschafft. Leider kann es jetzt wegen einer Rückenerkrankung nicht mehr genutzt werden.

Einen besonderen Stellenwert hatte immer die Familie. Bis vor wenigen Jahren war es ihm vergönnt, seine liebe Frau stets an seiner Seite zu haben. Beide konnten die Kinder und später die Enkelkinder und zuletzt zehn Urenkel aufwachsen sehen. In vielen Gesprächen mit Herrn Prof. Schulte klingt immer wieder die Freude mit, dass die Augenheilkunde in der Familie Schulte jetzt in der vierten Generation praktiziert wird; nach seiner Tochter trat auch seine Enkelin in die Fußstapfen des Großvaters.

Zu seinem 100. Geburtstag möchte ich mit den besten Glückwünschen die Worte von Prof. Waubke aus seiner Laudatio zum 90. Geburtstag wiederholen: „Sie können auf ein schönes, erfülltes und erfolgreiches Leben zurückschauen, dessen Wege gesäumt sind von dankbaren Patienten, vielen Ihnen verbundenen ehemaligen Assistentinnen und Assistenten, Ihren ehemaligen Schwestern und vielen anderen Menschen, die stolz darauf sind, sich Ihre Freunde nennen zu dürfen.“

Cay Christian Lösche