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DOI: 10.1055/s-0032-1327756
Handbuch Partizipation und Gesundheit
Publikationsverlauf
Publikationsdatum:
29. Oktober 2012 (online)
[1] Partizipation und Gesundheit, ein Thema mit langer Geschichte und Bezügen zu vielen verwandten Paradigmen und Wirkungsfeldern. Fast hat es den Anschein, dass der Respekt vor der Autonomie des Individuums, seine Beteiligung an den sein Wohl und seine Interessen persönlich berührenden Entscheidungen ihren Weg jetzt auch substanziell in die Lebenswirklichkeit gefunden haben. So mussten Aufklärung und Deutscher Idealismus erst entwickelt, die demokratische Ausprägung des Grundgesetzes und sein Menschenbild verstanden und – auch mithilfe der Nach-Achtundsechziger-Bewegungen – differenzierter gelebt werden. Hinzu kommen die kreativen Impulse aus der Globalisierung und den Herausforderungen der demografischen Entwicklung.
Motivierte Arbeit in gesundem Umfeld ist inzwischen ohne Partizipation ebenso wenig denkbar wie alternsgerechte Lebensumstände in der Gesellschaft und motivierte Compliance im Heilungsprozess. Die von Andreas Kruse herausgearbeitete Anthropologie des Alterns bietet insofern ähnliche Grundlegungen wie die lebensphasenorientierten und mitarbeiterbezogenen Grundsätze des auf Demografiefestigkeit zielenden Personalmanagements und die im vorletzten Jahrzehnt von der Gesundheitspolitik Nordrhein-Westfalens forcierte Bürgerorientierung und Patientenbeteiligung im Gesundheitswesen. Diese Aufzählung ließe sich aus der jüngeren Gesellschaftsentwicklung für viele Settings fortsetzen (z.B. Schule, sozialräumliche Lebensverhältnisse). Solche Rahmenbezüge prägen auch das Thema, dem das Handbuch gewidmet ist.
Fast 25 Jahre Vorlauf der Forschungsgruppe Public Health im WZB bilden den organisatorischen Hintergrund dieses Handbuches, das mit seinen reichhaltigen, qualifizierten Fachbeiträgen u.a. die möglichen Praxisfelder von Partizipation im Gesundheitswesen, ihre vielfältigen Topoi, Zielperspektiven, Methoden, Parameter und Grenzen beleuchtet. Immer klarer gilt es zu betonen, dass Gesundheit auch und vor allem Resultante nicht unmittelbar gesundheitsgewidmeter Verhältnisse und Verhaltens ist und gesundheitsfördernde Wirkungen auch dort ausgelöst werden sollten.
Zeitgemäße Führung in Unternehmen, z.B. die Mitarbeiterqualifikation und innerbetriebliche Bedeutung wertschätzende Bildungsangebote, oder ernst gemeinte gedeihliche Rahmenbedingungen aktiven Alterns in unserer Gesellschaft bewirken mehr Gesundheit als manches Instrument der Gesetzlichen Krankenversicherung. Der vorgelegte Band geht auf beides und vieles mehr ein. Er betrachtet dabei Partizipation vorwiegend als Teilhabe an relevanten Entscheidungen in Situationen, Lebensbereichen bzw. Settings, in denen Gesundheit explizit ein Thema ist.
Das Handbuch gibt in der schieren Fülle lohnender Aspekte Orientierung durch Gliederung in 4 Teile, (1) die Grundlegungen, (2) nichtmedizinische Prävention und Gesundheitsförderung an den Beispielen Arbeitswelt, Stadtteil/Quartier, Schule und Community, (3) Partizipation im Umgang mit Krankheit und (4) Ausblicke.
Das Werk bietet keine Rezeptsammlung, sondern einen bunten, gedankenreichen Strauß, geradezu eine Fundgrube von und für Überlegungen, Begründungen und Erfahrungen zum Stand der Theorie und der Praxis vor allem in Deutschland. Die Komplexität, Fragezeichen und notwendigen Auseinandersetzungen werden nicht verschwiegen. Die Autoren wollen weiteres Handeln und Forschen anregen. Sie zeigen, dass gemessen an immer diversifizierteren Fragen und Methoden mancher Zusammenhang für mehr Gesundheit durch Partizipation weiter ausgeleuchtet werden muss. Sie stehen insoweit für lebendiges, unprätentiöses Denken, das unserer offenen, nach Zukunftsfestigkeit suchenden Gesellschaft gut ansteht und auch Interventionsansätze genauer ausrichten kann.
Das Handbuch ist aber zugleich beredtes Dokument, dass an der Richtungsgebung des Paradigmas der Partizipation für mehr Gesundheit kein ernsthafter Zweifel angebracht ist. Dass die Herausgeber und Autoren mitunter Fragezeichen hinter einzelne Aspekte der theoretischen, praktischen und empirischen Evidenz und ihre Implikationen setzen, belegt indessen ihre wissenschaftliche Seriosität. Wird Diskussions- und Forschungsbedarf offengelegt, gibt das – angesichts vieler ergebnisgetragener Bestätigungen des Ansatzes – Hinweise auf mögliche Vertiefungen und Konsolidierungen, nicht aber Zeichen einer ernsthaften Vulnerabilität des grundlegenden Ansatzes. Die Praxis in Politik und Gesellschaft kann diesen Ansatz ihren Handlungen deshalb ebenso zugrunde legen wie weiterführenden Forschungsimpulsen.
Wen geht dieses Buch an? Wer in der Forschung, aber auch in der Praxis unserer Gesellschaft, in der Politik, in den Unternehmen, den Verwaltungen oder als Angehöriger der Sozial- und Gesundheitsberufe Verantwortung trägt und deshalb wirklich verstehen will, was es mit Partizipation und Gesundheit auf sich hat, kommt um diese sehr qualifizierte Edition nicht herum. Er sollte freilich – weil Querlesen scheitern müsste – eine gewisse Zeit investieren, ganz im Sinne eigener Partizipation und Gesundheit.