Z Geburtshilfe Neonatol 2012; 216(05): 199-200
DOI: 10.1055/s-0032-1327685
Editorial
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Hereditäre Thrombophilien und Plazenta-mediierte Schwangerschaftskomplikationen im II./III. Trimenon – „Wasserkopf“ an Assoziations­studien und schmaler „body of evidence“ klinischer Konsequenzen

Hereditary Thrombophilias and Placenta-Mediated Pregnancy Complications in the Second and Third Trimester – Predominance of Association Studies and Small “Body of Evidence” in Terms of Clinical Implications
W. Rath
1   Gynäkologie und Geburtshilfe, Medizinische Fakultät, Universitätsklinikum, Aachen
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Publikationsverlauf

Publikationsdatum:
29. Oktober 2012 (online)

Die Bedeutung hereditärer Thrombophilien für Plazenta-mediierte Schwangerschaftserkrankungen steht seit mehr als 15 Jahren im Fokus der klinischen Forschung. Neben wiederholten Spontanaborten betreffen Präeklampsie, intrauterine Wachstumsrestriktion und vorzeitige Lösung immerhin 1 von 10 Schwangerschaften, stellen eine akute Bedrohung für Mutter und Kind dar und sind in bis zu 75% an der neonatalen Morbidität/Mortalität beteiligt. Der intrauterine Fruchttod bedeutet für betroffene Familien ein oft schwer überwindbares Schicksal.

Die hohe Prävalenz hereditärer Thrombophilien bei Plazenta-mediierten Schwangerschaftskomplikationen, publiziert in Studien des letzten Millenniums, legte die Vermutung von deren pathogenetischer Bedeutung bei diesen Erkrankungen nahe, auch wenn bis zu 22% der Frauen mit unkomplizierten Schwangerschaften mindestens einen thrombophilen Defekt aufweisen.

Inzwischen ist bekannt, dass die lokale Gerinnungsaktivierung mit gesteigerter Bildung von Thrombin einen direkten Einfluss auf das Trophoblast-Zellwachstum, die Trophoblast-Differenzierung und -Invasivität hat. Hereditäre Thrombophilien könnten daher im Sinne eines „second hit“ bei gestörter Plazentation die lokale Gerinnungsaktivierung verstärken oder sie beschleunigen und so zur plazentaren Ischämie beitragen.

Der anfänglichen Euphorie aus retrospektiven case-control Studien bis 2004, die eine Assozia­tion hereditärer Thrombophilien mit Plazenta-mediierten Schwangerschaftskomplikationen ergaben, ist die Ernüchterung aus prospektiven Kohortenstudien gefolgt, die zu konträren Ergebnissen kamen. Während die TREATS-Studie 2006 (Metaanalyse aus case-control Studien bis 2003) eine Risikoerhöhung für Schwangerschaftskomplikationen bei Thrombophilien aufzeigte, erbrachte eine Metaanalyse unter Einschluss von 10 prospektiven Kohortenstudien bis 02/2010 kein erhöhtes absolutes Risiko für „pregnancy loss“, Präeklampsie, intrauterine Wachstumsre­striktion <10. Perzentile und vorzeitige Plazentalösung bei Faktor V-Leiden- und Prothrombinmutation.

Die Gründe für diese diskrepante Datenlage sind vielfältig und vor allem auf die unterschiedlichen Definitionen der Schwangerschaftskomplikationen, die fehlende Berücksichtigung anderer pathologisch relevanter Risikofaktoren und confoundern (z. B. ethnische Unterschiede, Schweregrad der Erkrankungen) sowie auf methodologische Unterschiede im Studiendesign zurückzuführen. Bekannte Schwächen von case-control Studien sind der Selektions- und Publikations­bias, von Kohortenstudien die unzureichende Fall­zahl mit inadäquater statistischer Power, um auch schwache Assoziationen aufzudecken.

Entsprechend der höheren Prävalenz wurden in Studien die Faktor V-Leiden- und Prothrombinmutation sowie der MTHFR Polymorphismus weitaus häufiger untersucht als die selteneren, aber thrombogenetisch potenteren angeborenen Inhibitor-Mangelzustände, deren Bedeutung deshalb bisher unklar ist. Unklar ist auch die Bedeutung kombinierter thrombophiler Defekte auf Plazenta-mediierte Schwangerschaftskomplika­tionen. Darüber hinaus erschweren die niedrige Prävalenz der Schwangerschaftskomplikationen (z. B. early-onset Präeklampsie ca. 0,5%, vorzeitige Plazentalösung ca. 1%) die Rekrutierung von Pa­tientinnen in Studien.

Der direkte Nachweis eines kausalen pathogenetischen Zusammenhangs zwischen Thrombophilien und Schwangerschaftskomplikationen zu führen, dürfte eine „mission impossible“ sein.

Klinische Konsequenz dieses Dilemmas sind uneinheitliche Empfehlungen zur Thrombophilie-Diagnostik in Leitlinien und Konsensus-Statements. Während die Evidenz-basierte Leitlinie des American College of Chest Physicians (2009) nur die Bestimmung von Antiphospholipid-Antikörpern (in der aktuellen Fassung der Leitlinie von 2012 nicht mehr erwähnt), nicht aber die hereditärer Thrombophilien empfahl, kam der Konsensus-Report der „Pregnancy and Thrombosis Working Group“ (2007) zu anderen Empfehlungen, nämlich der Durchführung einer kompletten Diagnostik auf hereditäre Thrombophilien. Der unzureichenden Evidenz aus der Literatur Rechnung tragend empfahl das jüngste Practice Bulletin des American College of Obstetricians & Gynecologists, publiziert 2011, keine Diagnostik auf hereditäre Thrombophilien bei Plazenta-mediierten Schwangerschaftserkrankungen und auch keine Behandlung.

Die klinische Praxis sieht aber anders aus: wie eine Fragebogenanalyse 2009 aus England zeigte, führen mehr als 2/3 der befragten geburtshilflichen Abteilungen mindestens einen Screening-Test auf hereditäre Thrombophilien bei diesen Schwangerschaftskomplikationen durch, wobei allerdings völlig unterschiedliche Thrombophilien untersucht werden. Folgt man den ACOG-Empfehlungen, so ließen sich erhebliche Kosten einsparen und vor allem Frauen mit positivem Testergebnis psychologische Belastungen ersparen. Auch im Hinblick auf eine Prävention in Folgeschwangerschaften darf vor dem Hintergrund aktueller Studien bezweifelt werden, ob das Vorliegen einer hereditären Thrombophilie von „therapeutischer“ Relevanz ist. So konnte in 3 vor kurzem publizierten randomisierten, kontrollierten Studien gezeigt werden, dass niedermolekulares Heparin (in Kombination mit Aspirin nach vorangegangener early-onset Präeklampsie) bei Frauen nach vorangegangenen Plazenta-mediierten Schwangerschaftskomplikationen auch ohne Vorliegen hereditärer Thrombophilien die Gesamtmorbidität in Folgeschwangerschaften senkt. Diese Senkung der Gesamtmorbidität war in 2 dieser Studien (Gris et al. 2010, 2011) auf eine signifikante Senkung des Wiederholungsrisikos für (schwere) Prä­eklampsien zurückzuführen.

In der bisher einzigen prospektiven, randomisierten Studie bei Frauen mit hereditären Thrombophilien und vorangegangener early-onset Präeklampsie führte die Kombination aus Dalteparin und Aspirin (80 mg/Tag) im Vergleich zu Aspirin allein zu einer signifikanten Senkung des Wiederholungsrisikos für diese Komplikation von 8,7% auf 0 in Folgeschwangerschaften, das Wiederholungsrisiko für Präeklampsie unabhängig vom Gestationsalter unterschied sich in den beiden Gruppen nicht signifikant.

Aus diesen Untersuchungen darf zumindest vermutet werden, dass niedermolekulares Heparin in diesen Fällen unabhängig vom Vorliegen hereditärer Thrombophilien wirksam ist. Randomisierte Präventionsstudien bei Frauen mit und ohne hereditäre Thrombophilien liegen bisher nicht vor und dürften auch schwierig durchführbar sein.

In diesem Zusammenhang gewinnen neue Erkenntnisse aus In-vitro-Studien an Bedeutung, die für Heparin eine nicht-antikoagulatorische Potenz mit positiven Wirkungen auf die Trophoblast-Invasion/-Proliferation und die plazentare Angiogenese sowie anti-inflammatorische Effekte zeigen konnten.

Letztlich sind hereditäre Thrombophilien nur ein Stein unklarer Größe in einem komplexen Mosaik aus zahlreichen pathogenetischen Risikofaktoren für Plazenta-mediierte Schwangerschaftskomplikationen, deren klinische Relevanz im Hinblick auf deren Prävention unwahrscheinlich ist. Unabhängig davon ist es dringend notwendig, den Präventionsansatz mit niedermolekularem Heparin nach Plazenta-mediierten Schwangerschaftskomplikationen in großen randomisierten Multizenterstudien zu evaluieren mit dem Ziel, betroffenen Frauen mehr Hoffnung und mehr Sicherheit auf ein effektives Behandlungskonzept zu geben. Die Ergebnisse der „Thrombophilia in Pregnancy Prophylaxis Study“ 2014 darf daher mit Spannung erwartet werden.

Literatur beim Verfasser