Neuroradiologie Scan 2012; 02(04): 228-229
DOI: 10.1055/s-0032-1325743
Diskussion
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Idiopathische intrakranielle Hypertension - enöser Sinus-Stent kann den Druck senken

Das Legen eines venösen Stents in den duralen Sinus bei idiopathischer intrakranieller Hypertension (IIH) wurde bereits von mehreren interventionellen Radiologen beschrieben. Kumpe et al. untersuchten in ihrer Studie, welche klinischen, angiografischen und hämodynamischen Auswirkungen solch eine Maßnahme hat.
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Publication Date:
01 October 2012 (online)

J Neurosurg 2012; 116: 538–548

Die IIH – auch bekannt als Pseudotumor cerebri – findet man überwiegend bei adipösen jungen Frauen. Typische Symptome sind Kopfschmerzen, pulssynchroner Tinnitus und vorübergehende Sehstörungen. In ausgeprägten Fällen kann es auch zu Papillenödem, Visusverlust und Doppelbildern kommen.

Die Therapie ist vor allem auf die Bekämpfung der Symptome und die Erhaltung der Sehkraft ausgerichtet. Dazu tragen Gewichtsverlust und Diuretika bei – in seltenen therapieresistenten Fällen kommen auch operative Eingriffe mit Shunt-Anlage infrage. Bei 30 bis 90 % der IIH-Patienten ist eine lokale Stenose im Abfluss des duralen Sinus nachweisbar. In mehreren Fällen ist ein Behandlung dieser Stenose mit einem Stent beschrieben – es gibt aber bisher wenig Langzeitdaten.

Die Studie umfasste 18 konsekutive IIH-Patienten (12 Frauen 6 Männer), bei denen ein Stent in den Übergang Sinus transversus / sigmoideus gelegt wurde. Alle Patienten hatten ein Papillenödem, sodass die Sehkraft gefährdet war. Vier Patienten waren bereits auf einem Auge blind. Bei 17 Patienten bestand vor dem Eingriff ein erhöhter Öffnungsdruck bei der Lumbalpunktion, und alle wiesen bei der zerebralen Arteriografie Füllungsdefekte im venösen Sinus auf.

Die Stent-Anlage war bei allen Patienten erfolgreich. Der initiale Druck über dem Füllungsdefekt lag zwischen 10,5 und 39 mmHg und wurde durch die Anlage des Stents auf 0–7 mmHg reduziert. Bei 15 von 16 Patienten mit ophthalmologischer Nachkontrolle verschwand das Papillenödem nach dem Eingriff – Kopfschmerzen blieben dagegen bei den meisten Patienten bestehen. 16 Patienten unterzogen sich nach 5–99 Monaten noch einmal einer Angiografie. Hierbei zeigte sich in allen Fällen ein durchgängiger Stent ohne In-Stent-Restenose. Zwei Patienten wiesen erneute Füllungsdefekte oberhalb des Stents auf – bei 1 dieser Patienten wurde aufgrund einer hämodynamischen Verschlechterung ein weiterer Stent gelegt.

Fazit

Für eine Subgruppe von Patienten mit IIH ist die Anlage eines Stents in den Sinus eine sichere und erfolgreiche therapeutische Maßnahme. Dies betrifft Patienten mit nachgewiesener Obstruktion im Sinusabfluss, einem substanziellen Druckgradienten und Papillenödem. Da die Ursache hier im Prinzip bekannt ist, können diese Fälle eigentlich nicht mehr als „idiopathisch“ klassifiziert werden, so die Autoren.

Maria Weiß, Berlin

1. Kommentar

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Dr. Axel Rohr Institut für Neuroradiologie, UKS-H, Campus Kiel Arnold-Heller-Str. 3 24105 Kiel

Der Pseudotumor cerebri ist konservativ oftmals unbefriedigend zu behandeln, und bei Therapieversagern stehen lediglich nebenwirkungsreiche operative Second-Line-Verfahren zur Verfügung. Die Entwicklung und Evaluation alternativer Therapieverfahren ist also ein Muss für diese Gruppe überwiegend junger Patienten.

Die Stent-Angioplastie von Stenosen der Sinus transversi ist derzeit die vielversprechendste Alternative zum Shunt und anderen Operationen. In den letzten Jahren wurde in kleinen Patientenserien über gute Kurzzeitergebnisse und niedrige Komplikationsraten dieses Verfahrens berichtet. Die wichtigen Langzeitergebnisse, die die Frage beantworten sollen, wie dauerhaft der therapeutische Effekt ist und welche Nebenwirkungen zu erwarten sind, standen bislang aus. Insbesondere fürchten zuweisende Kliniker immer wieder gefährliche In-Stent-Thrombosen.

In diesem Licht sind erste Berichte über Langzeitergebnisse wie die von Kumpe et al. ein wichtiger Meilenstein auf dem Weg zu Etablierung des Verfahrens. Es konnte in dieser retrospektiven Analyse gezeigt werden, dass der therapeutische Effekt der Stent-Angioplastie bei den meisten Patienten dauerhaft und mehr als befriedigend ist. Es wurde lediglich über 1 schwerwiegende Akutkomplikation berichtet, was im Einklang mit berichteten niedrigen Komplikationsraten aus anderen Veröffentlichungen steht.

Es gibt eine weitere, retrospektive Analyse von 52 Pseudotumor-Patienten, die mit dem Stent behandelt wurden, deren Ergebnisse im September 2011 im AJNR Am J Neuroradiol veröffentlicht wurden (Ahmed et al.). Diese Ergebnisse konnten in der Diskussion von Kumpe et al. noch nicht berücksichtigt werden, sind aber ähnlich gut. Zum Beispiel bildete sich bei allen Patienten das Papillenödem nach der Stent-Angioplastie zurück. Bei 12 % der Patienten wurde eine Wiederholung der Behandlung aufgrund neu auftretender Symptome und neuer Stenosen notwendig. Bei 3 Patienten gab es klinisch signifikante Komplikationen.

Wichtig zu vermerken ist, dass in beiden Veröffentlichungen jeweils kein einziger Fall einer gefürchteten In-Stent-Thrombose (oder -Restenose) unter einer medikamentösen Thromboseprophylaxe auftrat! Diese Komplikation stellt also nach aktueller Datenlage in den duralen Sinus eine Rarität dar – im Gegensatz zu venösen Stent-Behandlungen in anderen Körperregionen.

Die Frage der Patientenselektion für eine Stent-Angioplastie der venösen Sinus ist noch nicht einheitlich zu beantworten und auch die Frage der genauen Ätiopathogenese der duralen Stenosen ist noch unbeantwortet. Einig sind sich die Autoren darüber, dass Versager unter konservativer Therapie mit nachgeweisenem Druckgradienten über einer Sinusstenose berücksichtigt werden sollten. Der Vergleich mit anderen invasiven Therapien wie der Shunt-Operation oder der Optikusscheidenfensterung aber zeigt: Die venöse Stent-Angioplastie ist erfolgreicher, dauerhafter und hat weniger Komplikationen. Die Zeit ist reif für das „Pseudotumor-Stenting“: Ob als Therapie der 1. Wahl, wie Kumpe et al. schlussfolgern, besser vielleicht als Ausgangspunkt für eine randomisierte Studie, wie Ahmed et al. sie fordern.

Literatur beim Verfasser

E-Mail: a.rohr@neurorad.uni-kiel.de


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2. Kommentar

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Prof. Ullrich Wüllner Klinik und Poliklinik für Neurologie Universitätsklinikum Bonn Sigmund-Freud-Str. 25 53105 Bonn

Bei vielen Patienten mit Pseudotumor cerebri werden z. T. bilaterale Verengungen der Sinus transversus ohne Zeichen einer akuten Thrombose nachgewiesen, die den Druckgradienten vom Subarachnoidalraum zum venösen System – und damit die Liquorresorption – vermindern. Eine endovaskuläre Stent-Angioplastie stellt bei diesen Patienten einen kausal-therapeutischen Ansatz dar.

Die vorgestellte Studie ist eine monozentrische, unverblindete Untersuchung, die 18 Patienten über einen Zeitraum von 11 Monaten bis zu 11 Jahren nachverfolgt. In Analogie zu anderen Stent-basierten Interventionen wurden die Patienten 6 Monate kombiniert mit Acetylsalicylsäure (ASS) und Clopidogrel, danach weiterhin mit ASS behandelt; In-Stent-Stenosen wurden nicht beobachtet. Nur bei 1 Patienten mit einer begleitenden kleinen arteriovenösen Malformation und einer vorangegangenen, nicht erfolgreichen Optikusscheidenfensterung, die eine Amaurose eines Auges nicht verhindern konnte, kam es periprozedural zu einer Subarachnoidalblutung.

Interessanterweise war es ausreichend, einen (unilateralen) Stent zu legen. Dies belegt die Hypothese, dass die bilaterale Stenose der Sinus transversus, wie sie z. B. auch in den Arbeiten von Rohr et al. bei allen Patienten mit vormals vermuteter idiopathischer intrakranieller Hypertension aufgefallen war, notwendig ist, um einen intrakraniellen Druckanstieg zu verursachen. In solchen Fällen sollte nicht von idiopathischer intrakranieller Hypertension, sondern nur von intrakranieller Hypertension gesprochen werden soll (der vermeintlich veraltete Begriff des Pseudotumor cerebri stellt eine nützliche syndromale Beschreibung dar).

Neben der kontinuierlich verbesserten Technik am Zentrum in Colorado ist die sorgfältige Auswahl der Patienten ein wesentlicher Grund für die überwiegend positiven Ergebnisse: 80 % der Patienten zeigten eine anhaltende Besserung. Die Patienten, die bilaterale Füllungsdefekte der Sinus transversus aufweisen und in der (von venös einfach durchzuführenden) Manometrie auch einen Druckgradienten zeigen, sind wahrscheinlich diejenigen, die am meisten von der interventionellen Behandlung profitieren. Andererseits spricht der Nachweis einer Erweiterung der vormals eher längerstreckig eingeengten Sinus nach einer Lumbalpunktion für die eigentliche idiopathische inrakranielle Hypertension und gegen den Stent als 1. Maßnahme. Hier ist zunächst eine konsequente Gewichtsreduktion angezeigt (Sinclair et al. 2010).

Während der Effekt auf den Visus bei allen Patienten über im Mittel > 30 Monate aufrecht erhalten werden konnte und auch die Stauungspapillen in > 90 % rückläufig war, waren die Kopfschmerzen nicht vollständig gebessert, ein Phänomen, das auch aus der Shunt-Literatur bekannt ist (Friedman und Rausch, 2002). Verglichen mit den zur Verfügung stehenden Daten der ventriculo-peritonealen oder lumbo-peritonealen Shunt-Systeme scheinen die bislang vorliegenden Ergebnisse der gestenteten Patienten mit intrakranieller Hypertension aber günstiger.

Literatur beim Verfasser

E-Mail: Ullrich.Wuellner@ukb.uni-bonn.de


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