Z Geburtshilfe Neonatol 2012; 216(05): 233-234
DOI: 10.1055/s-0032-1323728
Laudatio
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Professor emer. Dr. Hans Versmold zum 75. Geburtstag

E. Mildenberger
1   Neonatologie, Zentrum für Kinder- und Jugendmedizin, Universitätsmedizin der Johannes Gutenberg-Universität Mainz, Mainz
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Publikationsverlauf

Publikationsdatum:
29. Oktober 2012 (online)

Herr Professor emer. Dr. Hans T. Versmold feierte am 18.5.2012 seinen 75. Geburtstag. Wir, einige Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aus seiner Berliner Zeit als Lehrstuhlinhaber für Kinderheilkunde und Leiter der Kinderklink mit Schwerpunkt Neonatologie der Universitätsklinik Benjamin Franklin der Freien Universität Berlin (heute Charité – Universitätsmedizin Berlin, Campus Benjamin Franklin), gratulieren sehr herzlich und möchten unseren Dank und unsere Hochachtung zum Ausdruck bringen.

1937 in Gotha geboren, studierte Prof. Versmold – wie sein Vater Dr. Heinrich Versmold – Humanmedizin. Nach dem Staatsexamen 1962 in München folgte 1965–1967 ein DFG-gefördertes Forschungsstipendiat in der Biochemie. Ab 1967 war er wissenschaftlicher Assistent, ab 1971 Facharzt, dann Oberarzt der Universitätskinderklinik München. Hier begegnete er seinem verehrten Lehrer Prof. Klaus Riegel. 1975 folgte die Habilitation an der Universität München und 1977–1978 eine Gastprofessur am renommierten Cardiovascular Research Institute in San Fransisco. 1980–1990 leitete Prof. Versmold die Neugeborenenabteilung im Klinikum Großhadern in München.

1978–1979 war Prof. Versmold Council Member der European Society for Paediatric Research, 1984 im Präsidium der Deutschen Gesellschaft für Perinatalmedizin und 1985–1989 Vorsitzender der Deutsch Österreichischen Gesellschaft für Neonatologie und Pädiatrische Intensivmedizin, deren Ehrenmitglied er seit 2003 ist. 1993–1999 war er Fachgutachter der DFG. 1991 erhielt Prof. Versmold den Maternité-Preis der Deutschen Gesellschaft für Perinatale Medizin.

1990 hatte Prof. Versmold den Ruf auf eine C4-Professur für Kinderheilkunde an der Freien Universität Berlin angenommen und war bis zur seiner Emeritierung 2003 Direktor der Kinderklinik im Klinikum Benjamin Franklin. Der Start in Berlin fiel in die Zeit nach dem Mauerfall, als sich Deutschland vereinigte und Berlin mühsam aus seinem Dornröschenschlaf als Insel erwachte. Es mag ein Kulturschock für Prof. Versmold und seine Frau gewesen sein, der nur durch Visionen und die Annehmlichkeiten eines sehr kurzen Weges zwischen Wohnort und Klinik (Prof. Versmold und seine Frau wurden nur wenige Schritte vom Klinikum wohnhaft) erträglich wurde.

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Professor emer. Dr. Hans Versmold (Quelle: Silke Grote).

Zukunftsvisionen betrafen wahrscheinlich nicht nur den Standort Berlin, sondern auch die neu gegründete, mehr als 20 Jahre geplante und erwartete Kinderklinik (so lange hatte das erste Großklinikum Deutschlands trotz der vorhandenen Abteilungen für Geburtshilfe und Kinderchirurgie auf eine Kinderklinik warten müssen) sowie ein hoch motiviertes und junges Team von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. Die Neonatologie wurde durch Umbauten in den Kreißsaal integriert. Das war die äußere Grundlage für eine innere Einstellung, die den Alltag durchdrang: „Kooperation zum Wohle der Patienten statt Konkurrenz“ – vielleicht ein heimlicher Wahlspruch von Prof. Versmold. Ausgesprochen hat er ihn nie, aber vorgelebt. All die Jahre wurde eine intensive, sich gegenseitig bereichernde und erfolgreiche Zusammenarbeit zwischen den Geburtshelferinnen und Geburtshelfern und den Kinderärztinnen und Kinderärzten und Hebammen und Kinderkrankenschwestern und -pflegern gepflegt. Der kontinuierliche direkte Dialog auf allen Ebenen, respektvoll, freundlich, kollegial, fachlich und gelegentlich kritisch konstruktiv wurde jeder jungen Ärztin und jedem jungen Arzt als Vorbild in die Wiege gelegt. Qualitätssteigernd wirkte sich der zusätzliche formale Informationsaustausch auf den monatlichen rückblickenden Perinatalkonferenzen aus – bis heute keine Selbstverständlichkeit in Perinatalzentren. Letalitätskonferenzen waren anspruchsvolle Lehr– und Lernveranstaltungen, die ein sensibles Fehlermanagement mühelos integrierten. Alle sehr unreifen Frühgeborenen und andere Risikoneugeborene wurden in Kooperation mit dem Bezirksamt Steglitz in der Beratungsstelle für Risikokinder bis zum Alter von 5 Jahren entwicklungsneurologisch nachuntersucht. Perinatal- und Neonatalerhebungen, die von Prof. Versmold geprägt wurden, sind inzwischen für alle Kliniken verbindlich zur Förderung von Transparenz und Qualität eingeführt worden. Die Schlagwörter Kooperation, Teamwork, Fehlermanagement, Transparenz, Qualität sind heute in aller Munde. Herr Prof. Versmold hatte sie seinerzeit längst mit Leben gefüllt und in den klinischen Alltag integriert.

Wir erlebten Prof. Versmold als kritischen Wissenschaftler und hochkompetenten, über alle Maßen engagierten klinischen Lehrer. Beispielsweise nahm er sich mitunter eine Stunde Zeit, um einem einzelnen jungen Mitarbeiter die physiologischen Grundlagen des Sauerstofftransportes nahe zu bringen. Sich um die jüngsten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter am intensivsten zu kümmern, war sein Konzept, das mutig und weitgehend einzigartig war. Seine lebhafte Freude an der Vermittlung von Wissen zeigte sich auch in den Vorlesungen, im studentischen Unterricht, vor allem jedoch in den täglichen klinischen Visiten, die dadurch gelegentlich etwas länger ausfallen konnten. Sein Unterricht gründete sich auf ­umfassende Kenntnisse der (Patho)physiologie. Immer wurden Schlussfolgerungen mit wissenschaftlichen Forschungsergebnissen auf höchstem Niveau untermauert. Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter wurden stringent in die Denkweise der Evidenz basierten Medizin eingeführt. Ergänzt um Erfahrung und Kompetenz wurde diese in Kurzfassung im klinikeigenen Leitfaden („Rosaroter Oberarzt“) für den klinischen Alltag niedergeschrieben. Jener war Pfeiler der klinischen Versorgung – denn Prof. Versmold setzte auf Selbstständigkeit und Eigenverantwortung. Das war für alle jungen Ärztinnen und Ärzte eine große Herausforderung, die sie manchmal knapp an den Rand der eigenen Überforderung brachte, zumal Prof. Versmold in der klinischen Versorgung kompromisslos auf Qualität setzte. Die Pflegenden, die als gleichberechtigte Team-Mitglieder ihrerseits Pflegestandards entwickelten und mit den Ärztinnen und Ärzten gemeinsame Vorträge auf den jährlichen Pflegesymposien hielten, hatten sich ebenso den hohen Qualitätsansprüchen zu stellen.

Wer so Tag für Tag durch die Versmoldschen Herausforderungen der Visiten ging, war beeindruckt von der mitfühlenden Herzlichkeit gegenüber Eltern und erstaunt über seine Freude und Leichtigkeit beim Feiern. Das jährliche Frühgeborenenfest wurde von Groß und Klein, von Eltern und Personal gleichermaßen geschätzt. Der Höhepunkt des Jahres war das Sommerfest in Haus und Garten Versmold, zu dem das ganze Team und Kooperationspartner geladen waren. Die Weihnachtswanderungen durch den Glienicker Volkspark mit Essen in Nikolskoe und nächtlichem Heimweg mit Fackelbeleuchtung erfreuen sich bis heute großer Beliebtheit.

Prof. Versmold hat uns als Hochschullehrer und Mensch nachhaltig beeindruckt. Für uns war und ist eine seiner allergrößten Stärken, seine Kompetenz und Hingabe in der Vermittlung seines gigantischen Wissensschatzes an die jüngere Generation. Es ist uns in tiefster Erinnerung eingegraben, wie er uns beibrachte, analytisch, exakt und penibel an Probleme heranzugehen. Sie gut zu durchdenken und abzuwägen anstatt in einen breiten, blinden Aktionismus zu verfallen. Seine Leitgedanken – fast Leitlinien – des kinderärztlichen Berufes begleiten uns bis heute in der täglichen Arbeit, gleichgültig in welche Richtung diese heute ausgerichtet ist: seine Diktion prägt unser heutiges Tun und Denken.

PD Dr. Andreas van Baalen, Dr. Marius Bartsch, Dr. Johannes Graulich, Dr. Gabriele Kewitz, Prof. Dr. Eva Mildenberger, Dr. Gaby Stegmann-Wössner, Dr. Christine Wieland