Sprache · Stimme · Gehör 2012; 36(02): 52
DOI: 10.1055/s-0032-1322330
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Therapeutische Interventionen – Wirken übende auditive Maßnahmen in der Therapie von Schulkindern?

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Publication Date:
04 July 2012 (online)

 

Ausgehend davon, dass es keine evidenzbasierten systematischen Reviews zur Wirksamkeit der Therapie von AVWS gibt, hat sich das US-amerikanische Autorenteam um Fey dieser Aufgabe gestellt. Da auditive Maßnahmen auch in der Behandlung von Sprachstörungen eingesetzt werden, untersuchten sie ebenfalls solche bei sprachgestörten Schulkindern.
Lang Speech Hear Serv Sch 2011; 42: 246-264

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Schulkinder mit AVWS und/oder primärer Sprachstörung profitieren wenig von auditiven Therapiemaßnahmen – wobei der Evidenzgrad aktuell noch klein ist.(Quelle: ccvision)

Systematisch durchsuchten die Autoren 28 elektronische Datenbanken mit 9 einschlägigen Schlüsselwörtern zu den Komplexen auditive Verarbeitung und Wahrnehmung, auditive Verarbeitungs- und Wahrnehmungsstörung (AVWS) und auditive Unaufmerksamkeit nach englischsprachigen Studien (Zeitraum 1978-2008), durchgeführt an 6- bis 12-jährigen Schulkindern mit der Diagnose "AVWS" und/oder "primäre Sprachstörung" und publiziert in einem "peer-reviewed" Journal. Die Kinder sollten mit definierten Methoden direkt aktiv behandelt worden sein (d.h. keine passiven Maßnahmen wie bevorzugter Sitzplatz im Klassenraum oder FM-Anlage).

23 Artikel (von 192 vorläufig eingeschlossenen und 160 ausgeschlossenen), in denen 25 Studien berichtet wurden, gingen schlussendlich in die Analyse ein. Sie waren zuvor hinsichtlich ihrer methodischen Qualität nach dem ASHA-Levels-of-Evidence-Schema [The ASHA Leader 2007; 12: 8–9; 24–25] bewertet worden, denn die Aussagekraft (Evidenzgrad) hängt vom Studientyp ab.

Gemäß eines Qualitätsbewertungssystems konnten "exploratorische Studien” maximal 6 und "kontrollierte therapeutische Wirksamkeitsstudien” maximal 7 Punkte erzielen.

Zur Therapie von AVWS mit oder ohne Sprachstörung wurden 6 Studien analysiert, darunter 4 exploratorische. Die Interventionen bestanden aus

  • traditionellen Hörtrainings zur Verbesserung von Verstehen (wie auditive Diskrimination, Verstehen von Sprache in Störlärm),

  • Auditivem Integrationstraining AIT [Am J Audiol 1998; 7: 32–44] zur Stimulierung des Hörsystems und Verbesserung der Hörwahrnehmung auf Basis gefilterter Musik,

  • PC-basierten Programmen wie Fast ForWord (Scientific Learning Corporation, 1998) und Earobics (Cognitive Concepts, 1997) zum Training von Hören, Gedächtnis, phonologischer Bewusstheit und Sprachverarbeitung.

Die Studien erreichten zwischen 1 und 4 Punkte. Es gab nur schwache empirische Evidenz dafür, dass auditive Maßnahmen die Hörverarbeitung verbesserten. Keine Evidenz existierte für positive Auswirkungen dieser Maßnahmen auf Laut- bzw. Schriftsprache.

Auditive Interventionen bei Sprachstörungen (definiert als Leistung von mehr als einer Standardabweichung unter dem Mittelwert in mindestens einem standardisierten Sprachtest) ohne AVWS wurden auf der Basis von 19 Studien analysiert mit

  • traditionellem auditivem Diskriminationstraining (1 exploratorische Studie),

  • dem Fast ForWord-Programm (16 Studien, hiervon 11 exploratorisch),

  • sprachorientierten Methoden mit akustischen Modifikationen (2 Wirksamkeitsstudien).

Es bestand lediglich schwache empirische Evidenz, dass diese Interventionen für verbesserte Sprachperformanz verantwortlich waren. Insgesamt erreichten nur 2 Studien die maximale Punktzahl.

Fazit

Es gibt derzeit wenig empirische Evidenz (Gewissheit), dass Leistungsverbesserungen bei Kindern mit AVWS (mit oder ohne Sprachstörung) bzw. Kindern mit alleiniger Sprachstörung auf auditive Trainings bzw. Sprach-Interventionen mit auditiven Übungen zurückzuführen sind. Insgesamt ist die Evidenzbasis aber noch zu klein, um berechtigt medizinisch wirksame Empfehlungen für Therapeuten abgeben zu können. Interventionen, die sich in Fallstudien als wirksam erwiesen, müssen unbedingt in großen, kontrollierten klinischen und hypothesengeleiteten Studien an homogenen Stichproben getestet werden.

Idealerweise arbeiten hierbei Kliniker und Wissenschaftler zusammen, denn zwischen Theorie und Praxis muss es nachvollziehbare Beziehungen wie wissenschaftliche Störungsmodelle geben.

Prof. Dr. rer. nat. Christiane Kiese-Himmel, Göttingen