Gesundheitswesen 2012; 74 - A132
DOI: 10.1055/s-0032-1322118

Effizienz des deutschen Gesundheitssystems: Data Envelopment Analysis auf Bundesländerebene unter Berücksichtigung des individuellen Gesundheitsverhaltens und von Gesundheitssystemstrukturen

S Wagenmann 1
  • 1Dossenheim

Hintergrund: Es besteht weitgehend Einigkeit darüber, dass im deutschen Gesundheitssystem Effizienzreserven bestehen. Die tatsächliche Schwierigkeit besteht darin, diese Ineffizienzen zu quantifizieren und zuzuordnen. Für Deutschland existieren vergleichsweise wenige Studien, die sich überwiegend auf internationale Vergleiche oder Krankenhausbetriebsvergleiche beziehen. Vor diesem Hintergrund ist es das Ziel des vorliegenden Papiers, die Effizienzpotentiale des deutschen Gesundheitswesens auf Bundesländerebene zu ermitteln, ihre Gründe eingehender zu untersuchen und durch den Ländervergleich und den Einbezug von Strukturvariablen insbesondere auch Hinweise zu Möglichkeiten der Effizienzverbesserung zu erhalten.

Methoden: In der ersten Phase werden die Effizienzwerte auf Bundesländerebene durch die Data Envelopment Analysis (DEA) bestimmt. Als Inputs (Ressourceneinsatz im Gesundheitswesen) gehen die an der vertragsärztlichen Versorgung teilnehmenden Ärzte, die aufgestellten Krankenhausbetten, das Krankenhauspersonal sowie die medizinisch-technischen Großgeräte in die Analyse ein. Als Outputs (Gesundheitszustand der Bevölkerung) gehen in die Analyse die Lebenserwartung, die Säuglingssterblichkeit sowie die verlorenen Lebensjahre ein. Um das Outcomespektrum der Gesundheitsversorgung vollständig wiederzuspiegeln werden in zwei weiteren DEA Modellen neben den objektiven Indikatoren zur Gesundheit auch subjektive Indikatoren berücksichtigt (selbstbewerteter Gesundheitszustand, Zufriedenheit mit der Gesundheitsversorgung). In der zweiten Phase werden die Effizienzwerte auf verschiedene exogene Faktoren regressiert. Dieses Vorgehen erlaubt es, die Wirkung von Rahmenbedingungen auf die Effizienz in der Bereitstellung von Gesundheitsleistungen auf Bundesländerebene zu untersuchen. Als abhängige Variable werden die berechneten Effizienzwerte der einzelnen Bundesländer definiert. Als Faktoren, die noch nicht in der Effizienzanalyse berücksichtigt wurden gehen als Strukturvariablen die Hausarztdichte, IV-Veträge sowie der Anteil privater Krankenhausbetten als Umfeldvariablen der Anteil der alten Bevölkerung, die Bevölkerungsdichte, die Schulbildung, das BIP sowie die Arbeitslosenquote und als Variablen des individuellen Gesundheitsverhaltens der Anteil Übergewichtiger und der Anteil regelmäßiger Raucher ein. Der Argumentation von MacDonald (2009) folgend wird eine Kleinste Quadrate Schätzung durchgeführt.

Ergebnisse: Die Ergebnisse zeigen, dass Ineffizienzen vorliegen: Die Effizienzwerte lagen je nach Modell und Jahr zwischen 0,608 und 0,735. Die Effizienzgrenze bildeten in allen Modellen u.a. Baden-Württemberg und Brandenburg. Die Bundesländer Bremen und das Saarland wiesen hingegen durchgehend die größten Effizienzreserven auf. Die Regressionsergebnisse zeigen, dass die Arztstruktur die Integrierten Versorgung sowie der Anteil der privaten Krankenhausbetten einen positiven Einfluss auf die Effizienz haben. Einen signifikant negativen Einfluss auf die Effizienz haben der Anteil der alten Bevölkerung, Übergewicht und Rauchen. Es kann gezeigt werden, dass tatsächlich Effizienzreserven im deutschen Gesundheitssystem bestehen. Insbesondere lässt sich zeigen, dass die Strukturvariablen Arztstruktur, IV-Verträge sowie private Krankenhäuser einen Einfluss auf die Effizienz haben. Dieser Einfluss wurde in dieser Art bisher noch in keiner Studie untersucht. Es muss jedoch angemerkt werden, dass die Aussagekraft aufgrund der kleinen Grundgesamtheit (n=16 Bundesländer) leider, trotz Korrekturmechanismen wie bootstrapping und Datenpooling, grundsätzlich eingeschränkt ist. Wünschenswert wäre insbesondere eine kleinräumigere Untersuchung auf Kreisebene anstatt auf Bundesländerebene. Dies würde zum einen die Qualität der Analyse aufgrund der größeren Grundgesamtheit (n=402) verbessern. Zum anderen könnten so detaillierte Hinweise, wo genau Ressourcen eingespart/umverteilt werden müssten und wo die Anpassung von Strukturen zu den größten Verbesserungen führen würde, geliefert werden. Leider ist aktuell eine solche Untersuchung aus Gründen der fehlenden Bereitstellung von öffentlich zugänglichen Daten auf Kreisebene für einige der verwendeten Indikatoren nicht möglich.

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