Gesundheitswesen 2012; 74 - A24
DOI: 10.1055/s-0032-1322010

Evaluation der Aufklärungsinitiative „Verrückt? Na und!“

S Corrieri 1, I Conrad 1, D Heider 1, SG Riedel-Heller 1
  • 1Universität Leipzig, Medizinische Fakultät

Hintergrund: Ziel ist die Evaluation der Aufklärungsinitiative (AI) „Verrückt? Na und!“ des Vereins Irrsinnig Menschlich. Die AI soll Heranwachsende, Eltern, Lehrer und Multiplikatoren für das Thema seelische Gesundheit sensibilisieren und Stigmatisierung abbauen. Im Zentrum stehen Materialien und Aktivitäten zur Wissensvermittlung und dem Kennenlernen von „Experten in eigener Sache“, um Resilienz und die Prävention psychischer Krankheit zu fördern. Die Initiative unterstützt bundesweit Netzwerke und kommunale Akteure in ihren Aktivitäten zur Förderung der psychischen Gesundheit junger Menschen.

Daten und Methoden: Im Rahmen eines longitudinalen Designs wurden Schüler der 7. und 9. (Mittelschule) bzw. 10. (Gymnasium) Klassen, unterteilt in eine Interventions- und eine Kontrollgruppe, zu drei Zeitpunkten schriftlich befragt. Dabei wurden der Wunsch nach sozialer Distanz gegenüber psychisch Kranken und das Hilfesuchverhalten in psychischen Krisen erfasst. Weiter wurden Fokusgruppen zur Wirkung von Info-Pocket-Guides mit Kindern und Jugendlichen verschiedener Altersgruppen, differenziert nach Geschlecht und Schultyp durchgeführt. Hierbei handelt es sich um kleine Flyer, die einen Überblick zu verschiedenen Themen der psychischen Gesundheit bieten (u.a. Depression, Angst). Außerdem wurden Multiplikatoren in sechs teilnehmenden Städten zu drei Zeitpunkten nach ihren Erfahrungen zur Arbeit mit den Maßnahmen der AI schriftlich befragt.

Ergebnisse: Die qualitative Befragung der SchülerInnen zeigte, dass die Info-Pocket-Guides eine ansprechend gestaltete, handliche und akzeptierte Informationsquelle für SchülerInnen verschiedener Altersstufen und Schulformen darstellen. Alle Befragten sahen einen Wert für Angehörige oder Freunde, vor allem zwecks Schaffung von Bewusstsein für psychische Erkrankungen. Deutlich wurde jedoch auch, dass die Materialien, obwohl sie eine gute Ergänzung im Maßnahmenkatalog darstellen, eine direkte, persönliche Hilfestellung allenfalls ergänzen können. Die Auswertung der quantitativen Befragung ergab, dass Jungen mehr Vorurteile gegenüber psychisch Kranken zeigten als die befragten Mädchen, die ihrerseits mehr Empathie im Bereich des Hilfesuchverhaltens vorwiesen. Dasselbe gilt für Mittelschulen im Vergleich mit Gymnasien. Außerdem zeigte die Befragung, dass bereits das Lesen bzw. sich informieren über psychische Krankheiten dazu führt, den Wunsch nach sozialer Distanz zu psychisch Kranken und Vorurteile statistisch signifikant zu senken. Ebenfalls wird eine positive Entwicklung im Bereich des Hilfesuchverhaltens abgebildet. Verstärkt wird dies zusätzlich durch die Tatsache, jemanden zu kennen, der psychisch erkrankt ist: Eine noch deutlichere Senkung von Vorurteilen ist erkennbar. Hieraus ergibt sich eine erfolgversprechende Prognose für die Maßnahmen der AI. Die Befragung der Multiplikatoren zeigte, dass sich die Erwartungen an die AI trotz der beruflichen, sozialen, gesundheitlichen und regionalen Unterschiede der Befragten in ihrem Kern glichen. Trotz personeller und finanzieller Ressourcenknappheit kann ein positiver Ausblick konstatiert werden, da die fortschreitende Vernetzung und der kontinuierliche Ausbau des Angebots die Zufriedenheit und Bereitschaft der Beteiligten widerspiegeln, die Maßnahmen der AI auch weiterhin zu nutzen.

Schlussfolgerungen: Insgesamt zeigt die Evaluation der AI „Verrückt? Na und!“ ein positives Bild. Die Einbettung der Materialien in einen Gesamtkontext, also eine Kombination aus sensibilisierender Wissensvermittlung und der Forcierung persönlichen Kontakts mit „Experten in eigener Sache“ erscheint besonders erfolgversprechend, um Stigmatisierung abzubauen. Die konkrete Ausgestaltung der Projekte sollte unter Berücksichtigung der erhobenen geschlechts- und schultypspezifischen Voraussetzungen und dem Grad der bereits erfolgten Sensibilisierung erfolgen, um gezielt Resilienz zu stärken. Die Zufriedenheit der Multiplikatoren lässt zudem eine überregionale Implementierbarkeit der AI vermuten.