Zahnmedizin up2date 2012; 6(4): 347-373
DOI: 10.1055/s-0032-1314992
Kraniomandibuläre Dysfunktion
Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Untersuchung und Behandlung von Patienten mit Funktionsbeschwerden im Kausystem – ein skandinavisches Modell

Maja Gnauck
,
Martti Helkimo
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Publikationsverlauf

Publikationsdatum:
08. August 2012 (online)

Einleitung

Heute geht man davon aus, dass Funktionsstörungen im Kausystem ein sehr häufig auftretendes und manchmal schwerwiegendes Gesundheitsproblem sind. Dies mit Hinblick auf die manchmal schwere Schmerzproblematik und Funktionseinschränkungen, die diese mit sich bringen können. In mehreren Studien hat man zeigen können, dass die Symptome die Lebensqualität deutlich beeinflussen. Die meisten Forscher sind heute der Ansicht, dass Funktionsstörungen und Schmerzen eher mit Allgemeinerkrankungen, psychosozialen Gesundheitsfaktoren und Überbelastung in Zusammenhang stehen als einzig mit lokalen Faktoren der Zähne und der Okklusion [1]–[5].

Das Ziel des vorliegenden Artikels ist es, Techniken und Vorgehensweisen für die Untersuchung und Behandlung von Patienten mit Symptomen einer Funktionsstörung im Kausystem zu präsentieren. Diese sollen durch einige klinische Fälle illustriert werden.

Da dieser Beitrag von der in der schwedischen Zahnmedizin und zu großen Teilen im übrigen Skandinavien angewandten Praxis ausgeht, möchten wir in der Einführung eine kurze Zusammenfassung der Stellung und des Ansehens des Fachgebiets Funktionsdiagnostik und -therapie in Schweden geben. Der Artikel ist in erster Linie für die Patientenbetreuung durch den Allgemeinzahnarzt konzipiert.

Interessierte und gut ausgebildete Allgemeinzahnärzte können die Mehrzahl der Patienten mit TMD mit reversiblen Behandlungsmaßnahmen in der eigenen Praxis behandeln [6].

Funktionsdiagnostik in Schweden

Dieses Fachgebiet, das sich mit Okklusion und Funktionsstörungen beschäftigt, wird seit Langem an den zahnmedizinischen Fakultäten in Schweden unterrichtet: zu Beginn unter der Bezeichnung „Okklusionsanalyse mit Parodonto-Prothetik“, wobei die Okklusion stark im Fokus stand. Später änderte man die Bezeichnung in „Klinische Gebissphysiologie“, alternativ „Klinische orale Physiologie“, um zu verdeutlichen, dass sich der Blick auf Ätiologie und Behandlung erweitert hatte.

1993 wurde die Stellung des Fachgebiets gestärkt und es wurde als eine der 8 zahnmedizinischen Fachrichtungen mit Fachzahnarztausbildung (3 Jahre, Vollzeit) anerkannt (www.socialstyrelsen.se/sosfs/1993-4) [7].

Fachzahnarztausbildung

Die Ausbildung erfolgt an den 4 zahnmedizinischen Fakultäten des Landes sowie am Zahnärztlichen Institut in Jönköping. Heute gibt es Fachzahnärzte für Funktionsdiagnostik und -therapie in den meisten Provinzen, in denen es Fachzahnarztabteilungen gibt. Dorthin können Zahnärzte und Ärzte bei Bedarf Patienten mit Beschwerden überweisen, die mehr umfassende Diagnostik und besondere Behandlungsmaßnahmen erfordern, die nicht immer von Allgemeinzahnärzten oder Medizinern angeboten werden. In Schweden hat der Zahnarzt kein unbegrenztes Verschreibungsrecht für Pharmaka, weshalb Fachzahnärzte für Funktionsdiagnostik und -therapie eine enge Zusammenarbeit mit Ärzten, vor allem Hals-Nasen-Ohrenärzten, Rheumatologen und Schmerzärzten, etabliert haben. Man arbeitet auch eng und häufig mit Physiotherapeuten zusammen, gelegentlich auch mit Psychologen, vor allem mit solchen, die auf kognitive Verhaltenstherapie spezialisiert sind.

1995 wurde die Schwedische Gesellschaft für Funktionsdiagnostik und -therapie (Swedish Academy of Temporomandibular Disorders) gegründet. Sie arrangiert jährliche Konferenzen für Fachzahnärzte und andere am Fachgebiet Interessierte.


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Nationale Richtlinien

Im Jahre 2011 hat die Gesellschaft auf Wunsch des Gesundheitsministeriums sogenannte nationale Richtlinien für die Behandlung von Patienten mit Schmerzen und Funktionsstörungen im Kausystem erarbeitet. Jede bekannte Therapie wurde in diesem Text von einer Expertengruppe mit Hinblick auf den aktuellen wissenschaftlichen Stand und die Evidenz der jeweiligen Studien eingeschätzt. Die bewerteten Therapien wurden anschließend in einer Rangfolge sortiert, um dem praktisch tätigen Zahnarzt die bestmögliche Grundlage für seine Therapiewahl zu geben (www.socialstyrelsen.se/tandvardsriktlinjer).


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Nomenklatur

Die Zustände, die im Folgenden diskutiert werden, sind unter der Bezeichnung „Funktionsstörungen des Kausystems“ zusammengefasst. Früher verwendete man oft die Bezeichnung „Kiefergelenksbeschwerden“ und „mandibuläre Dysfunktion“. Später waren „Craniomandibular disorders, CMD“ und „Temporomandibular disorders, TMD“ dominierend in der englischsprachigen Literatur [8]. Der Begriff „TMD-pain/TMD-Schmerz“ tritt immer häufiger in der Literatur auf. Dies verdeutlicht, dass diejenigen, die diesen Begriff verwenden, den Zustand vordergründig als eine orofaziale Schmerzproblematik definieren möchten, die immer in Übereinstimmung mit einer biopsychosozialen Sichtweise behandelt werden soll [9]. Dies steht im Gegensatz zur ursprünglichen Definition. Hier sah man den Zustand vordergründig als eine muskuloskelettale Funktionsstörung, vereint mit einem dorthin verlegten Schmerz, welcher in erster Linie in Übereinstimmung mit der orthopädisch-medizinischen und zahnärztlichen Sichtweise behandelt werden sollte [10]. In Skandinavien ist schon seit Langem eine neuromuskuläre Sichtweise vorherrschend [12]. In diesem Konzept müssen mit Hinsicht auf die Heterogenität des Patientenmaterials immer psychosoziale, medizinische und zahnmedizinische Faktoren hinsichtlich Symptombild, Ätiologie und Behandlung beachtet werden [11].

Merke: In diesem Artikel wird TMD als Synonym für Funktionsstörung des Kausystems verwendet.

In früheren Ausgaben der Zahnmedizin up2date sind mehrere interessante und grundlegende Artikel über Funktionsstörungen im Kausystem publiziert worden. Aus diesen und vielen anderen Publikationen geht hervor, dass dieses zahnmedizinische Gebiet außerordentlich umstritten ist und dass trotz qualitativ hochwertiger und umfassender Studien ernsthafter Forscher große Unterschiede bestehen, was die Sicht auf Ätiologie und Behandlung von TMD, aber auch Symptomkriterien, Diagnosemethoden und Definitionen des Zustands betrifft [13], [14].

Artikel über TMD in der Zahnmedizin up2date
  • Bildgebende CMD-Diagnostik 1/2007

  • Identifikation funktionsgestörter Patienten 2/2008

  • Okklusionsschienen und ihre Indikationen 3/2009

  • Physiotherapie und medikamentöse Therapie bei CMD 1/2010

  • Orale Parafunktionen und Abrasion der Zähne 2/2012


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Fallbeispiele online

 
  • Literatur

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  • 2 Gesch D, Bernhardt O, Kocher T et al. Association of malocclusion and functional occlusion with signs of temporomandibular disorders in adults: results of the population-based study of health in Pomerania. Angle Orthod 2004; 74: 512-520
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