Diabetologie und Stoffwechsel 2012; 7 - P_140
DOI: 10.1055/s-0032-1314637

Diagnostisches Vorgehen bei V.a. Insulin-Purging im Rahmen einer Essstörung bei Patienten mit Typ-1 Diabetes – Eine Fallvorstellung

C Tsioli 1, N Datz 1, K Schnell 1, B Götz 1, T Danne 1, O Kordonouri 1
  • 1Auf der Bult Zentrum für Kinder und Jugendliche, Diabetologie, Endokrinologie und klinische Forschung, Hannover, Germany

Hintergrund: Hypoglykämien stellen die häufigste akute Komplikation bei Kindern und Jugendlichen mit Typ-1 Diabetes (T1DM) dar. Wir beschreiben den Fall einer jungen Patientin mit rezidivierenden Hypoglykämien und geringer werdendem Insulinbedarf.

Fallvorstellung: Bei unserer 15-jährigen Patientin wurde im Alter von 11 Jahren ein T1DM diagnostiziert. Die Therapie erfolgte mit einer intensivierten konventionellen Insulintherapie (ICT). Der Insulintagesbedarf betrug im Mittel zwischen 0,6–0,8 E/kgKG. Der HbA1c lag im Durchschnitt bei 7,3%. Nach 3,5 Jahren Diabetesdauer beschrieb die Patientin vermehrt Hypoglykämien vor allem morgens mit notwendiger Reduktion der Insulindosis (Insulintagesbedarf 0,2 E/kgKG). Außerdem fiel eine Gewichtsabnahme von insgesamt 7,2kg in den letzten 6 Monaten auf. Zur Kontrolle der Glukosewerte erhielt sie eine kontinuierliche Glukosemessung (CGMS, iPro™2) über 6 Tage. In der Sensoraufzeichnung zeigten sich Hyperglykämien ohne Blutzuckerabfälle. Bei V.a. Insulin-Purging erfolgte die stationäre Aufnahme zur weiteren Diagnostik.

Ergebnisse: Zur Insulinbedarfsermittlung erfolgte eine 24-stündige intravenöse Insulinzufuhr. Der Insulinbedarf lag bei 27 E/Tag, entsprechend 0,58 E/kgKG/Tag. Nach Umstellung auf ICT kam es unter stationären Bedingungen erneut zu rezidivierenden Hypoglykämien. Erst nach deutlicher Reduktion des Prandialinsulins und Absetzen des Basalinsulins zur Nacht kam es letztendlich zur Stabilisierung der Werte.

Eine organische Ursache der Gewichtsabnahme konnte ausgeschlossen werden, insbesondere ein M. Addison. Im Rahmen einer Hypoglykämie (Blutglukose 78mg/dl), war das C-Peptid erniedrigt (0,4 ug/l), die Insulinkonzentration hingegen deutlich erhöht (39,9 uU/ml). Die diabetes-spezifischen Antikörper gegen GAD und IA2 waren positiv, so dass die Diagnose Typ-1 Diabetes mellitus gesichert wurde.

Zusammenfassung: Die Patientin hat sich selbst Insulin verabreicht, damit die empfohlene Insulindosis nach unten angepasst wird und sie die Legitimation zum Insulineinsparen (Insulin Purging) hat. Unter ‚Insulin-Purging‘ wird die bewusste Reduktion der zu injizierenden Insulindosis zwecks Gewichtsreduktion verstanden.

Insulin-Purging ist weniger Ausdruck einer unzureichenden Compliance als viel mehr einer Essstörung und birgt neben der Gewichtsreduktion die Gefahr von akuter und chronischer Hyperglykämie und deren Folgen wie diabetische Ketoazidose und Folgeerkrankungen.

Schlussfolgerung: Bei unklaren Blutzuckerschwankungen, Insulinbedarfsreduktion, HbA1c-Anstieg und Gewichtsabnahme sollte unbedingt an Insulin-Purging gedacht und die entsprechende Diagnostik veranlasst werden.