Neonatologie Scan 2012; 01(01): 10-11
DOI: 10.1055/s-0032-1310126
Diskussion
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Postoperative Analgesie bei Neugeborenen: Kein Vorteil für Tramadol gegenüber Fentanyl

Fentanyl ist eines der am häufigsten zur Schmerzbehandlung bei kritisch kranken Neugeborenen eingesetzten stark wirksamen Opioide. Rascher Schmerzlinderung stehen Nebenwirkungen wie Atemdepression, Harnverhalt, Darmlähmung und Abhängigkeit gegenüber. Tramadol ist ein schwächeres Opioid. In einer prospektiven randomisierten Studie verglichen de Alencar et al. beide Wirkstoffe bezüglich ihrer Effektivität in der postoperativen Analgesie von Neugeborenen.
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Publication Date:
23 August 2012 (online)

Arch Dis Child Fetal Neonatal Ed 2012; 97: F24 – F29

Studienpopulation bildeten 160 Neugeborene (Alter < 28 Tage), die an einer pädiatrischen Überweisungsklinik im Nordosten Brasiliens einem operativen Eingriff unterzogen wurden. Zur Schmerzbekämpfung erhielten sie in den ersten 72 h postoperativ entweder Fentanyl (1 – 2 µg/kg/h intravenös) oder Tramadol (0,1 – 0,2 mg/kg/h intravenös). Primärer Studienendpunkt war die Zeit zwischen Operationsende und Extubation. Die sekundären Prüfziele umfassten die Zeit bis zur vollständigen enteralen Ernährung (100 ml/kg), die Evaluierung der postoperativen Schmerzen durch Fremdbeobachtung mittels CRIES (erfasst die 5 Parameter „crying“, „requires oxygen“, „increased vital signs“, „expression“, „sleeplessness“) und NFCS (Neonatal Facial Coding System; erfasst 10 Mimik-Items) sowie die Schmerz- und/oder Opioid-assoziierten Nebenwirkungen. Es erfolgte eine Stratifizierung nach Geschlecht und Größe des operativen Eingriffs.

Das Geburtsgewicht der Neugeborenen betrug im Mittel 2924 g, das Gestationsalter 37,6 Wochen. Zum Operationszeitpunkt waren die Babys im Schnitt 199 h alt. Häufigste Operationsindikation waren Fehlbildungen des Gastrointestinaltraktes (n = 85) und des Zentralnervensystems (n = 34).

Nach Beendigung eines kleineren chirurgischen Eingriffs blieben Neugeborene der Fentanyl-Gruppe noch 0,08 Tage und diejenigen der Tramadol-Gruppe noch 0,1 Tag intubiert. Nach einer großen Operation dauerte es in beiden Studienarmen 4 Tage bis zur Extubation. Bis die Säuglinge vollständig enteral ernährt werden konnten, vergingen im Fentanylarm 2 Tage und im Tramadolarm 1 Tag, wenn eine kleinere Operation erfolgt war. Nach einem großen Eingriff war nach 13 bzw. 11 Tagen eine vollständige enterale Ernährung möglich. Alle Studiengruppen verzeichneten nach 3 Tagen eine ähnlich signifikante Besserung der Schmerz-Scores. Lediglich Babys, die nach einer großen Operation Tramadol bekamen, hatten tendenziell höhere CRIES-Scores. Auch hinsichtlich Krankenhausmortalität und Nebenwirkungsprofil zeigten sich keine gravierenden Gruppenunterschiede, mit einer Ausnahme: Bei Neugeborenen, die nach einem kleineren Eingriff Tramadol bekamen, trat häufiger eine Bradykardie auf.

Fazit Unabhängig von der Größe das chirurgischen Eingriffs bewirkt Tramadol bei Neugeborenen in den ersten 3 postoperativen Tagen eine ebenso effektive Schmerzbekämpfung wie Fentanyl, verkürzt aber weder die postoperative Beatmungszeit noch die Zeit bis zur vollständigen enteralen Ernährung.

Renate Ronge, Münster

1. Kommentar

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Prof. Gerhard Jorch

Zentrum für Kinderheilkunde,

Universitätsklinikum Magdeburg

Leipziger Str. 44

39120 Magdeburg

Die ausreichende und lückenlose Vermeidung und Behandlung postoperativer Schmerzen bei Neugeborenen ist anerkannter internationaler Standard. Sie ist nicht nur aus humanitären Gründen geboten, sondern auch, weil Schmerzen nachweislich direkt und indirekt den kurz-, mittel- und langfristigen Behandlungserfolg schmälern.

Morphin und seine Derivate werden seit langem bevorzugt für diesen Zweck eingesetzt, obwohl gravierende Nebenwirkungen bekannt sind. Diese betreffen u. a. so wichtige Funktionen wie den Atemantrieb und die Darmmotilität. Das Morphinderivat Fentanyl ist verhältnismäßig gut steuerbar und wird deshalb häufig eingesetzt. Tramadol ist ein schwaches Opioid mit geringerer Depression des Atemantriebs und der Darmmotilität – mindestens bei Erwachsenen.

Diese von Mitarbeitern dreier Kliniken in Brasilien durchgeführte Studie untersuchte bei 160 Neugeborenen in den ersten 72 Stunden nach einem chirurgischen Eingriff die analgetische Wirksamkeit, den Zeitpunkt der Extubation und den Zeitbedarf für den Nahrungsaufbau. Die Schmerzbehandlung erfolgte randomisiert und blind mit Fentanyl 1 bzw. 2 ug/kg/h i.v. oder Tramadol 0,1 bzw. 0,2 mg/kg/h i.v. , wobei die jeweils niedrigere Dosis für Frühgeborene und die höhere für Reifgeborene galt.

Weitere solcher systematischen Studien mit anderen Wirkstoffkandidaten sind wünschenswert.

Das Spektrum der durchgeführten Eingriffe und der Gesundheitszustand vor der Operation waren in diesem Kollektiv überwiegend Reifgeborener oder später Frühgeborener sehr unterschiedlich. Über den gesamten Untersuchungszeitraum hinweg wurden im Ergebnis die CRIES-Werte unter 3,5 bzw. die NFCS-Werte unter 1,5 gehalten. Der Extubationszeitpunkt zwischen den beiden Behandlungsgruppen Fentanyl versus Tramadol unterschied sich nicht signifikant: 1,8 – 21,8 versus 2,0 – 72,0 Stunden nach leichteren Operationen bzw. 36 – 156 versus 48 – 192 Stunden nach schwereren Operationen. Auch der Nahrungsaufbau gelang in beiden Behandlungsgruppen gleichschnell. Als Nebenkriterien wurde die Häufigkeit anderer Opioidnebenwirkungen wie Bradykardien, arterielle Hypotension, Apnoen, Bronchospasmen, Anfälle, Erbrechen, Blasenhochstand, erfasst. Auch hier gab es keine Unterschiede.

Offenbar korrelieren der erwünschte Effekt (Analgesie) und die Nebenwirkungen bei beiden Wirkstoffen doch stärker als von den Anwendern auf der Suche nach einem Analgetikum mit idealem Profil gewünscht. Weitere solcher systematischen Studien mit anderen Wirkstoffkandidaten sind wünschenswert. Jedoch sollte auch das klinische Optimierungspotential nicht unterschätzt werden, welches darin liegt, das individuelle Dosisregime und die Randbedingungen zu optimieren. Pflegerische Exzellenz und vorausschauende Operationsplanung sind ergänzend analgetisch wirksam.

E-Mail: gerhard.jorch@med.ovgu.de


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2. Kommentar

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PD Dr. Mathias Nelle

Universitätsklinik für Kinderheilkunde

Inselspital, Universitätsspital Bern

3010 Bern

Schweiz

Die Autoren der sehr interessanten Arbeit stellen eine prospektive randomisierte Studie bei operierten Neugeborenen (Gewicht 2924 g ± 702; Gestationsalter 37,6 SSW ± 2,2) innerhalb der ersten 28 Lebenstage vor, mit dem Ziel, die Wirkung und Nebenwirkungen der peri- bzw. postoperativen Analgesie mit Tramadol (0,1 – 0,2 mg/kg/h i. v.) im Vergleich zu Fentanyl (1 – 2 µg/kg/h i. v.) zu untersuchen.

Die Verwendung von Tramadol im Vergleich zu Fentanyl wird je nach Klinik sehr unterschiedlich gehandhabt. Aufgrund der bisher wenig gut untersuchten Gruppe der Neugeborenen und fehlenden Daten hierzu, wird die Anwendung von Tramadol teilweise kontrovers diskutiert und in der klinischen Praxis oft unterschiedlich gehandhabt. Von der Fragestellung, Design, Studienaufbau, Ergebnissen und Konklusion ist abzuleiten, dass es sich um eine sehr gut ausgearbeitete und durchdachte wissenschaftliche Arbeit handelt, die einen wertvollen Beitrag zu diesem wichtigen Thema leistet.

Bezogen auf wichtige klinische Parameter wie Beatmungsdauer, konnte für Tramadol keine Reduktion der Beatmungszeit gefunden werden.

Die Studie zeigt klar, dass bei der postoperativen Versorgung von Neugeborenen mit kleineren und größeren chirurgischen Eingriffen Tramadol gleich effektiv in der postoperativen Schmerzbehandlung, wie Fentanyl war. Bezogen auf wichtige klinische Parameter wie Beatmungsdauer, konnte für Tramadol keine Reduktion der Beatmungszeit gefunden werden. In Bezug auf andere Parameter, wie Störung der Atemregulation, Apnoen, Re-Intubationsrate, Nahrungsverträglichkeit und Blasenfunktion, fanden sich keine Unterschiede. Das sind sehr wichtige und relevante Informationen für den Kliniker in der Praxis. Zusammenfassend zeigte die Studie keinen Vorteil von Tramadol gegenüber Fentanyl in der Wirksamkeit der postoperativen Schmerzbehandlung. Beide Gruppen zeigten gleiche Schmerz-Scores innerhalb der ersten 72 Stunden nach Operation. Die mittleren postoperativen Beatmungszeiten waren für Tramadol nicht kürzer. Es fanden sich keine Nachteile von Fentanyl bezogen auf die für das Medikament bekannten Nebenwirkungen wie Harnverhalt, gastrointestinale Motilitätsstörungen und Stuhlpassage im Gruppenvergleich. Der volle Nahrungsaufbau postoperativ wurde in beiden Gruppen zur gleichen Zeit erreicht.


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Fazit

Tramadol, wie auch Fentanyl können im Bereich der neonatalen Intensivmedizin und Anästhesie bei Neugeborenen, bei einem überschaubaren Nebenwirkungsprofil, gleichwertig zur postoperativen Schmerzbehandlung nach kleineren und größeren chirurgischen Eingriffen eingesetzt werden.

E-Mail: mathias.nelle@insel.ch


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