Gesundheitswesen 2012; 74 - V49
DOI: 10.1055/s-0032-1307313

Sozialraum und seelische Behinderung

A Rohrmann 1
  • 1Zentrum für Planung und Evaluation Sozialer Dienste (ZPE) der Universität Siegen

Die Behindertenrechtskonvention der Vereinten Nationen versteht Behinderung als „Wechselwirkung zwischen Menschen mit Beeinträchtigungen und einstellungs- und umweltbedingten Barrieren“. Der Sozialraum wird damit bedeutsam für das Verständnis der Ursachen und der Verfestigung von Behinderungen. Er wird zugleich zu einem zentralen Bezugspunkt für die Ausgestaltung einer individuellen Unterstützung. Im professionellen Hilfesystem ist es daher notwendig, eine ‚Raumsensibilität' zu entwickeln.

Der soziale Raum wird in erster Linie durch Macht und Interessen strukturiert. Politische Forderungen, wie die der Gestaltung inklusiver sozialer Räume setzen demgegenüber auf Abstimmungen und Regeln, die in partizipativen Prozessen entwickelt und durch politische Entscheidungen durchgesetzt werden. Bezogen auf Behinderung orientieren sich diese Regeln bislang stark auf die Umsetzung von Barrierefreiheit. Auffällig ist, dass dabei die Beseitigung von Barrieren für Menschen mit Mobilitätsbeeinträchtigungen im Vordergrund steht. Barrieren, die Menschen mit chronisch psychischen Erkrankungen an einer Teilhabe am gesellschaftlichen Leben beeinträchtigen, lassen sich hingegen deutlich schwerer erkennen und überwinden.

Sozialraumorientierung hat in der Sozialen Arbeit eine lange Tradition. Der Ansatz begründet die Dezentralisierung von Sozialen Diensten und den Bezug auf die Lebensbedingungen in abgrenzbaren Wohnquartieren. Bislang werden allerdings in den meisten Projekten, die sich auf die Ausgestaltung von sozialen Nahräumen beziehen (z.B. im Bund-Länder-Programm ‚Soziale Stadt'), die Interessen behinderter Menschen wenig berücksichtigt und soziale Dienste im Bereich der Rehabilitation orientieren sich kaum an sozialen Nahräumen, sondern eher an großflächigen Versorgungsgebieten.

In dem Beitrag sollen die Herausforderungen skizziert werden, die sich aus einem sozialräumlichen Verständnis von Behinderung für die Weiterentwicklung von sozialen Diensten zur Unterstützung von Menschen mit seelischer Behinderung ergeben.