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DOI: 10.1055/s-0032-1305069
EX-IN-Ausbildungen: Experienced Involvement – Pro & Kontra
Training Experienced Involvement – Pro & ContraPublikationsverlauf
Publikationsdatum:
28. Juni 2012 (online)
Kontra
Der Bundesverband Psychiatrie-Erfahrener hat vor einiger Zeit sehr kritisch über die EX-IN-Ausbildungen und ihre Umsetzung in Deutschland Stellung bezogen. Ich möchte in meinem Artikel, den ich im Namen des BPE-Vorstands verfasse, grundsätzlich diese Kritik aufrechterhalten.
Wir finden es positiv, wenn das Erfahrungswissen von ehemaligen Psychiatriepatienten (Experten aus Erfahrung) bei der Anwendung von psychiatrischen und psychosozialen Hilfen berücksichtigt wird. Wir sind jedoch der Meinung, dass die jetzige Umsetzung der EX-IN-Bildungsmaßnahmen insgesamt wenig hilfreich ist, um Psychiatrieerfahrenen auf Dauer existenzsichernde Arbeitsplätze zu gewährleisten und noch weniger, um dadurch die Psychiatrie positiv zu verändern.
Vor allem wurde bei der Umsetzung der EX-IN die Selbsthilfe kaum gefragt und berücksichtigt. Viele EX-IN-Teilnehmer und -Absolventen hatten vorher keinen oder kaum Kontakt mit der Selbsthilfe. Sogar durch Egoismus, Konkurrenzdenken und auch Arroganz geprägte Psychiatrieerfahrene werden als EX-IN-Teilnehmer akzeptiert. Sie waren dadurch nicht geeignet und nicht in der Lage, ihre Aufgaben wie beispielsweise Leitung einer Recovery-Gruppe, zu erfüllen und sind danach in eine tiefe Krise abgerutscht.
Meiner Meinung nach wurde den betroffenen Menschen bei EX-IN zu viel versprochen, was zu tiefen Enttäuschungen geführt hat.
Die Finanzierung der EX-IN-Maßnahmen ist nicht gesichert. Die EX-IN-Teilnehmer, die meistens Hartz-IV- und Grundsicherungsempfänger oder Erwerbsunfähigkeitsrentner mit geringer Rente sind, waren meistens gezwungen, selbst Kosten der Maßnahme, Übernachtung und Fahrtkosten zu bestreiten. Lediglich in seltenen Fällen wurden diese Maßnahmen über das persönliche Budget finanziert. Einige sozialpsychiatrische Einrichtungen kaufen sich willfährige Erfahrene mit einer Finanzierung der Ausbildung.
In einigen Bundesländern haben die Gruppen von EX-IN-Anhängern versucht, das Geld aus dem Selbsthilfetopf der Krankenkassen für Finanzierung der EX-IN-Kosten zu verwenden, also zweckentfremdend, weil EX-IN keine Selbsthilfe ist. Die psychiatrischen Kliniken und andere Institutionen waren und sind sehr eingeschränkt und lediglich auf 400-Euro-Basis bereit, EX-IN-Absolventen zu beschäftigen. Von diesem Zuverdienst dürfen Hartz-VI- und Grundsicherungsempfänger lediglich einen kleinen Teil behalten. Die sog. Peerberater, die im Rahmen des Programms „Hamburg als Gesundheitsmetropole“ in jeder psychiatrischen Klinik tätig sind, haben auch einen befristeten Arbeitsvertrag auf Geringfügigkeitsbasis.
Ich persönlich habe mit einer EX-IN-Absolventin ein längeres Gespräch geführt, die sich über unwürdige Behandlung beschwert hat. Bei dem Praktikum in der Klinik, das sie absolviert hat, war es nicht mal geregelt, ob ihr ein Mittagessen zusteht. Deswegen haben die Krankenschwestern ihr vorgeschlagen, dass sie die Reste von den Patientenessen für sie sammeln. Ich möchte damit auch sagen, dass die EX-IN-Absolventen keine feste Zuordnung und eher einen niedrigen Rang in den oft noch streng hierarchisch organisierten Institutionen haben. Wenn aber für die relativ raren Stellen meistens auf Zuverdienstbasis Psychiatrieerfahrene gesucht werden, dann wird doch ein EX-IN-Zertifikat verlangt.
Ich empfinde das aber als Diskriminierung von Menschen, die vergleichbare oder sogar höhere Qualifikation haben, als beispielsweise psychiatrieerfahrene Profis oder auch langjährige Selbsthilfe-Aktivisten. Es hat für mich den Anschein, dass diese Menschen nicht genommen werden, weil sie für die Institutionen oft zu unbequem sind. Stattdessen werden die meistens profihörigen EX-IN-Absolventen genommen trotz mangelnder Selbsthilfeerfahrung und trotz mangelndem Wissen über das psychiatrische und psychosoziale Hilfesystem in Deutschland.
Es gibt sogar einen EX-IN-Absolventen, der bei der Care 4 Schizophrenia-Tochter der Pharmafirma Johnson & Johnson beschäftigt ist (Partner der AOK Niedersachsen bei dem umstrittenen IV-Vertrag). Ich habe ihm, der als Patientenvertreter geführt war und in Wirklichkeit nur sich selbst vertreten hat, bei einer Tagung der BPtK gefragt, warum er bei der Pharmaindustrie arbeitet? Er hat dann ehrlich geantwortet, dass er als Mensch ohne jegliche Berufsausbildung keine Chance auf einen anderen Job gehabt hätte.
Mein Fazit: Als Betroffenenselbsthilfe wollen wir keine Psychiatrieerfahrenen davon abhalten, EX-IN-Maßnahmen zu absolvieren. Wir finden, dass jeder Psychiatrieerfahrene darüber selbst entscheiden muss. Wir wollen lediglich als psychiatriekritische Selbsthilfe die Menschen, die das machen wollen, warnen, sich zu große Hoffnungen auf bessere berufliche Zukunft und Veränderung des psychiatrischen Systems zu machen. Wir vermuten, dass die meisten von ihnen daran scheitern werden und viele dadurch auch in die seelische Krise geraten, die sie überwiegend alleine ohne nennenswerte Hilfen von gut verdienenden EX-IN-Dozenten und -Organisatoren dann bewältigen müssen.