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DOI: 10.1055/s-0031-1301133
Steinert T. Nach 200 Jahren Psychiatrie: Sind Fixierungen in Deutschland unvermeidlich? Psychiat Prax 2011; 38: 348–351
Publication History
Publication Date:
13 January 2012 (online)
Die Arbeit hat eine erneute Diskussion in meiner Klinik in Gang gebracht, die ich insbesondere im Rahmen meiner Tätigkeit in der Gewaltprävention sehr begrüße. Im Hinblick auf das erwähnte "britische Modell" möchte ich anführen, dass ich bereits seit Ende 2003 erste Erfahrungen damit erworben habe. Die schmerzfreien Inmobilisierungstechniken hatten schon damals auf mich eine besondere Faszination: ein Instrument nutzen zu können, aggressive Personen zu halten, mit ihnen zu kommunizieren, zu deeskalieren, um sie dann vielleicht nach einer gewissen Zeit wieder loslassen zu können.
Die folgenden Jahre waren in der eigenen und anderen Kliniken jedoch geprägt von massiven Widerständen gegen diese Art des Haltens, was mich dennoch nicht davon abhielt, die Entwicklung der Techniken unter der Obhut von Herr J. M. Fuchs weiterhin voranzutreiben. Leider verstarb Herr Fuchs viel zu früh. Er und eine weitere Verfechterin des schmerzfreien Haltens, Frau Britta Maubach, wurden Opfer des Tsunamis 2004.
Anfänglich vertrat ich die Ansicht, die Techniken machten primär in der Altenpflege bzw. im Kinder-/Jugendbereich Sinn. Aber die Erfahrung zeigte sehr schnell, dass diese Techniken auch in der Akutpsychiatrie durchaus ihre Anwendung finden,wenn intensiv geschult wird.
Kontakte auf internationaler Ebene mit dänischen Trainern, die ebenfalls ausschließlich schmerzfrei arbeiten, bestärkten mich in dieser Ansicht. Ich mache auch heute immer wieder die Erfahrung, dass die schmerzfreien Haltetechniken zwar grundsätzlich angenommen werden, aber viele Pflegende vertreten auch häufig die Einstellung "wir haben keine Zeit, wir müssen auf die Station zurück, lasst uns die Sache schnell regeln, dafür haben wir kein Personal usw.". Es bedarf hier einer ständigen Motivation und Überzeugungsarbeit, dass zunächst immer mit sanften Möglichkeiten gearbeitet werden sollte. Dies könnte sich ändern, wenn eine kontinuierliche Überwachung in der Fixierung wirklich sichergestellt werden muss und solche Haltetechniken damit am Ende Personalressourcen einsparen.
Ein vernünftiges Aggressionsmanagement funktioniert sowieso nur, wenn es von den leitenden Gremien (Pflegedirektion, ärztliche und kaufmännische Leitung) gewünscht und auch mit allen Mitteln in der Hierarchie von "oben nach unten" transportiert und umgesetzt wird. Ansonsten steht man hier auf einem sehr verlorenen Posten!
Trotzdem macht die Art des Haltens in der Anwendung absoluten Sinn, denn letztlich geht es gar nicht sosehr um die immer wieder erwähnten Techniken, sondern hier wird eine Veränderung der Haltung zu dem gewalttätigen, erregten oder selbstgefährdenden Menschen vermittelt. Es ist ein Stück Selbsterfahrung, dass der eigene Aggressionspegel erstaunlich sinkt, wenn man in Rollentrainings in die Position des Betroffenen kommt und am eigenen Leib spürt, dass die Pflegenden selber nicht aggressiv agieren, sondern versuchen zu halten, ohne Schmerzen zuzufügen.
Norbert Pätzold, Viersen
E-Mail: info@agsb-praxis.de