Geburtshilfe Frauenheilkd 2011; 71 - B21
DOI: 10.1055/s-0031-1295389

Hanns-Werner Boschann – ein Berliner Lebenslauf im Zeichen der zytologischen Krebsfrüherkennung

AD Ebert 1
  • 1Berlin-Reinickendorf

Am 22.5.1921 wurde Hanns-Werner Boschann in Berlin als Sohn des Johannes Boschann und seiner Ehefrau Elsbeth, geb. Grey, geboren. Der am 21. Juni 1888 als Sohn des Lehrers Friedrich Boschann geborene Vater stammte aus Großlessen in Schlesien. Johannes Boschann wurde „infolge Mangels an Mitteln“ auch Lehrer, nahm am ersten Weltkrieg teil, wurde 1918 Mittelschullehrer in Berlin-Neukölln, absolvierte noch das Gynmasium und studierte nach der Reifeprüfung in Berlin und Würzburg. Johannes Boschann promovierte an der Bayerischen Julius-Maximillians-Universität Würzburg mit der Arbeit „Die Spontanitätsidee bei J.J. Rousseau“ zum Doktor der Philosophie. Von 1931 bis 1939 besuchte Hanns-Werner das Staatliche Kaiser-Wilhelms-Reformgymnasium zu Berlin-Neukölln und legte dort am 4.3.1939 die Reifeprüfung ab. An der Friedrich-Wilhelm-Universität zu Berlin studierte er mit Unterbrechungen durch den Wehrdienst Medizin und bestand am 2. Februar 1945 die ärztliche Prüfung. Zu seinen Lehrern gehörte die damalige Elite der deutschen Medizin: Sauerbruch, von Eicken, Trendelenburg, Lohmann, Stieve, Georg A. Wagner, Walter Stoeckel, Carl Kaufmann, Frieboes, aber auch die Vertreter der neuen NS-Zeit: de Crinis, Lenz und Zeiss. Am 7. Februar 1945 promovierte Boschann dann unter der Leitung von Professor Paul Caffier an der Universitäts-Frauenklinik Berlin (Direktor: Geheimrat Stoeckel) über das Thema Genitalsarkome, wobei er retrospektiv ca. 39 Jahrgänge von Patientinnenakten auswertete. Caffier sagte damals zu ihm: „...Ich hoffe, Herr Boschann, wir sehen uns in besseren Zeiten wieder...“ Bald darauf wurden Caffier und Prof. W. Breipohl von russischen Soldaten im Bunker der Frauenklinik erschossen. Boschann selbst wurde zuvor in die Studentenkompanie der Luftwaffe in Spandau eingezogen, wo man mit dem bekannten Erfolgt versuchte, die alliierten Luftangriffe abzuwehren. Das Kriegsende gestaltete sich für den jungen Soldaten turbulent. Zunächst nach Halle kommandiert, rief man ihn nach Berlin zurück, um ihn dann als Unterarzt mit ca. 20 anderen Leidensgenossen in die Nähe von Prag zu einem letzten Lehrgang zu entsenden. Oben an der Tafel lernten wir Strategie und Taktik – und unter dem Tisch büffelten wir englische Vokabeln, erinnerte sich Boschann. Seine Einheit lag inzwischen in der Nähe von Wien. Mit einem gültigen Marschbefehl eines Generalarztes der Luftwaffe gelang es ihm sich dorthin durchzuschlagen, so dass er schließlich unverletzt in britische Kriegsgefangenschaft kam. Als Boschann erfuhr, wo seine Frau war, floh er aus dem Lager und machte sich als Pfleger Boschmann auf den Weg nach Berlin. Diese „Tarnung“ war deshalb wichtig, weil es hieß, dass Akademiker und Ärzte an der Sektorengrenze sofort verhaftet wurden. In Berlin angekommen, wurden die Boschanns in einer Schiesserei von displaced persons auf dem Bahnhof fast noch getötet. Doch von nun an ging es im Rahmen der damaligen Möglichkeiten voran. Die chirurgische und internistische Assistentenzeit hatte Boschann bei Prof. Erwin Gohrbandt (Chirurgie) und Prof. Alexander Sturm (Innere Medizin) absolviert. Da Boschann ja Internist werden wollte ging er zum Direktor der I. Innere Klinik in der Charité, Theodor Brugsch, einem der Granden der Berliner Universitätsmedizin. Dieser beriet den jungen Arzt dahingehend, dass die Hälfte seiner zukünftigen Patientin Frauen sein werden, weshalb es Sinn mache, wenn er zunächst in der Frauenklinik etwas lerne – und sich später in der Inneren Klinik melden würde. Die traditionsreiche Charité-Frauenklinik stand damals unter dem kommissarischen Direktorat von Prof. Friedrich Schopohl. Der letzte Ordinarius der Charité-Frauenheilkunde, der Wertheim-Schüler Georg August Wagner, war während der letzten Kriegsmonate nicht mehr aus Garmisch-Partenkirchen, der kleinen Olympiastadt von 1936, an die Charité zurückgekehrt. Ihn vertrat zunächst Prof. Carl Kaufmann, der aber 1945 einem Ruf an die UFK Marburg folgte. An der Klinik arbeiteten heute noch bekannte Assistenten bzw. Oberärzte, so z.B. Heinz Pockrandt (später Direktor der Frauenklinik im Klinikum Berlin-Buch) und Hans Igel (später Nachfolger von Helmut Kraatz auf dem Lehrstuhl der Berliner Universitäts-Frauenklinik). Als Boschann Prof. Schopohl in der Klinik am Alexanderufer kennenlernte, fielen ihm zunächst die Hühner auf, die in einem Schrank im Chefsekretariat lebten und mit frischen Plazenten gut ernährt wurden. Friedrich Schopohl, mit zahlreichen Kindern gesegnet, hatte so immer frische Eier und machte in der Nachkriegshungerzeit so gut es ebend ging aus der Not eine Tugend... Das Verhältnis zu seinem neuen Chef gestaltete sich erfreulich. Arbeit gab es genug. Während an der UFK Artilleriestrasse „wettoperiert“ wurde, feuerte Schopohl den jungen Boschann mit den Wort „Boschann, nun nehmen Sie doch mal ein Kilogramm Strychnin, damit's schneller geht...“ beim Operieren an. Operiert wurde grundsätzlich „nach Wertheim“, wobei dem Ureter große Sorgfalt gewidmet wurde. Insgesamt war H.-W. Boschann vom 1. Oktober 1946 bis 30. September 1951 wissenschaftlicher Assistent (u.a. auch langjähriger Vorlesungsassistent) und zuletzt diensttuender Oberarzt an der Universitäts-Frauenklinik der Charité. Er erhielt 1950 und 1951 einen Lehrauftrag für „Geburtshilfliche Propädeutik“. Ein neuer Ordinarius für Frauenheilkunde und Geburtshilfe wurde nicht berufen. Schopohl verließ die Charité und übernahm die Leitung einer Frauenklinik in Westberlin. Nach Auflösung der Charité-Frauenklinik und ihrer offiziellen Umwandlung in eine interdisziplinäre Geschwulstklinik arbeitete Boschann noch eine Zeit lang als wissenschaftlicher Assistent und Abteilungsarzt der gynäkologischen Station unter dem Direktorat von Prof. Dr. Fritz Gietzelt. Dann ging auch er mit besten Referenzen, denn in der Position eines beigeordneten Gynäkologen in der Geschwulstklinik war es ihm nicht möglich sich fachlich weiterzuentwickeln. Der alte Geheimrat Stoeckel empfahl Boschann schriftlich, doch mal bei Helmut Kraatz anzufragen, ob dieser als neuer Ordinarius der UFK Berlin nicht Verwendung für ihn habe. Doch Boschann stand bereits in Kontakt zu Erich Bracht, der in Neukölln die große, wenn auch stark zerstörte Frauenklinik und ehemalige Berlin-Brandenburgische Hebammenlehranstalt leitete, nachdem Prof. Benno Ottow nach Schweden emigrierte und dort seine zweite Karriere als Zoologe begann. Bracht, ein ehemaliger Oberarzt und kommissarischer Leiter der Charité-Frauenklinik, wollte Boschann als Mitarbeiter haben, aber die Bracht'schen Assistenten wollten keinen „Mann aus dem Osten“. Bracht setzte sich nicht durch, obwohl Boschann Neuköllner war...und keinesfalls aus dem „Osten“, was ja bis dato sowieso keine Rolle spielte. Nach siebenmonatiger Tätigkeit als Hygienearzt am Gesundheitsamt und als Betriebsarzt bei der GASAG wurde Boschann am 11. August 1952 Oberarzt an der geburtshilflich-gynäkologischen Abteilung des Wenckebach-Krankenhauses Berlin-Tempelhof, die damals unter der Leitung des Dirigierenden Arztes Dr. Haacke stand. In der Zeit als Hygiene- und Betriebsarzt hatte Boschann weiterhin regelmäßig Prof. Schopohl in dessen neuem Domizil bei Operationen aller Art kostenlos assistiert. Am 1. Februar 1953 wurde Boschann städtischer Oberarzt an der Frauenklinik der Freien Universität Berlin im Städtischen Krankenhaus Moabit unter dem Direktorat von Professor Dr. E. v. Schubert. Wissenschaftlicher Oberarzt der Klinik wurde Dr. George L. Wied. Beide Jungoberärzte trafen sich umgehend nach ihrer Bestellung und schlossen nicht nur einen „Nichtangriffspakt“, sondern einen Freundschaftspakt, der ein Leben lang hielt. Gemeinsam bauten sie unter Wieds Leitung in Berlin ein bedeutendes Zytologie-Labor auf. Als Wied seine Berufung an die University of Chicago bekannt gab, tobte Professor von Schubert, wobei „Verrat“ und „Vertrauensbruch“ noch die mildesten Vorwürfe waren. Nach dem Weggang von Wied nach Chicago, wo er sich zum „Papanicolaou der Neuzeit“ entwickelte, kam Herbert Lax von der Ostberliner Universitätsklinik in der Artilleriestraße an die UFK Moabit, wo er bis zu seiner Berufung als Ordinarius in der Frauenklinik Berlin-Charlottenburg (Nachfolge Felix v. Mikulicz-Radecki) arbeitete.

In all den schwierigen Jahren hatte Boschann dank der Unterstützung Schopohls, der Nichtbehinderung durch von Schubert, der Förderung durch Lax und vor allem dank der Kooperation mit Wied wissenschaftlich weitergearbeitet. Am 21. Mai 1957 erhielt er an der Freien Universität Berlin die venia legendi für das Fach „Geburtshilfe und Gynäkologie“, nachdem seine Habilitationsschrift „Erweiterung der histologischen und zytologischen Diagnostik am normalen und pathologisch veränderten Portioepithels durch Anwendung topochemischer Methoden“ eingereicht und seine Probevorlesung „Zur Problematik der pränatalen Geschlechtsdiagnose“ vor der Fakultät gehalten hatte. Heute schmunzelnd, aber damals keineswegs erfreut, musste Boschann feststellen, dass man trotz wissenschaftlicher Leistungen immer als „Stellvertreter seines Chefs“ wahrgenommen wurde – und Professor E. v. Schubert, Sohn eines preußischen Militärs, war ein sehr komplexer Chef, der es regelmäßig schaffte, sich mit Kollegen aus nah und fern zu überwerfen. Die „Freude“ in der damaligen Fakultät der FU Berlin über eine Habilitation aus der von Schubert'schen Klinik hielten sich dementsprechend in Grenzen.

Schon zum 1. Dezember 1958 wurde Boschann zum Chefarzt der geburtshilflich-gynäkologischen Abteilung des Städtischen Rudolf-Virchow-Krankenhauses in Berlin-Wedding als Nachfolger von Prof. Dr. G. von Wolff (1954–1958, zuvor Ordinarius in Peking) gewählt. Zu seinen Vorgängern an dieser 1906 gegründeten Klinik zählten Prof. Dr. K. Nordmeyer (1950–1954), Prof. Dr. Max Stickl (1922–1950) sowie der Gründungsdirektor Prof. Dr. A. Koblanck. Sieben Jahre nach der Habilitation wurde Dr. Hanns-Werner Boschann zum außerplanmäßigen Professor für Geburtshilfe und Gynäkologie an der Freien Universität Berlin ernannt. Im Virchow-Klinikum arbeitete Prof. Boschann bis zu seiner Amtsniederlegung am 30.3.1983. Diese Jahre waren durch Kampf und Erfolge, aber auch durch Niederlagen charakterisiert, wobei im Mittelpunkt für Boschann immer die erkrankte Frau stand, der die Klinik und die Wissenschaft zu dienen hatten. Nach dem Neubau hatte das Virchow-Klinikum, durch Architekten Prof. Pölzig entworfen, eine vorbildliche Frauenklinik, die einige neue strukturelle und inhaltliche Neuerungen aufwies: 1. ein zytologischen Labor mit Planstellen für medizinisch-technische Assistentinnen; 2. Einführung der Intubationsnarkose: Assistenten wurden nach „Westdeutschland“ zum Lernen geschickt, da eine selbständige Anästhesie-Abteilung im Virchow-Klinikum erst ab 1.2.1968 gegründet wurde. Bis dahin wurde die Narkose durch die eigenen Assistenzärzte durchgeführt; 3. Einführung der abdominalen Radikaloperation nach Wertheim statt der vaginalen Operation nach Schauta-Stöckel; 4. Einführung der Vakuumextraktion in Berlin; 5. Rooming-in mit erforderlicher Änderung der Zimmer; 6. Einführung neuer perinatologische Methoden (u.a. besondere Sprechstunden für Risikoschwangerschaften, deren stationäre Behandlung sowie monatliche Informationsvorträge für werdende Mütter und Väter); 7. Einführung der obligaten Anwesenheit von Kinderärzten bei den Geburten (in Zusammenarbeit mit Prof. Dr. Wiesner, Kinderklinik Charlottenburg); 8. Schaffung einer neuen Planstelle für einen geburtshilflichen Oberarzt; 9. Etablierung von fünf Stationen im damals neuen Bettenhaus sowie Renovierung der Poliklinik, des Kreissaals und des OP-Traktes. Während Boschanns Klinikleitung vom 1. Dezember 1958 bis zum 31. März 1983 fanden über 32.000 Geburten statt. Ausserdem hielt H.-W. Boschann als Hochschullehrer der Freien Universität Berlin Vorlesungen und hielt Kurse im Rudolf-Virchow-Krankenhaus ab. Das „Virchow” wurde bald akademisches Lehrkrankenhaus der FU Berlin. Damals wurden ständig 8 Studenten auf den Stationen und im Zytolabor mit monatlicher Rotation betreut und ausgebildet. In der Kaiser-Friedrich-Stiftung für die ärztliche Fortbildung beteiligte sich Prof. Boschann jährlich an den Kursen zur Wiedereingliederung praktischer Ärzte & Ärztinnen, die heute noch gehalten werden.

Wichtige klinisch-wissenschaftliche Kooperationen gab es mit dem Lazarett der französischen Besatzungsmacht in West-Berlin, was sehr wichtig war, da das Virchow-Krankenhaus im französischen Sektor Berlins lag. So erfolgten Kaiserschnittgeburten durch Boschann unter Mitnahme eigener Instrumente und der Operationsschwester bei Tag und Nacht. Und natürlich gab es Vorträge für die Kollegen über die Papanicolaou-Zytologie-Technik im US-Militär-Hospital in Berlin-Dahlem. Hanns-Werner Boschanns wissenschaftliches Wirken blieb auch außerhalb Deutschlands nicht unbemerkt. Zahlreiche seiner wissenschaftlichen Arbeiten, sind noch heute lesenswert. Er erhielt die hohen und die höhesten Auszeichnungen auf dem Gebiet der Zytologie: 1964 Maurice Goldblatt Cytology Award (U.S.A.), 1968 Fellow International Academy of Cytology (U.S.A.), 1984 Honorary Fellow of the International Academy of Cytology (U.S.A.), 1978 International Board of Cytopathology (U.S.A.) und 1975–1979 die Präsidentschaft der Deutschen Gesellschaft für Zytologie. Hanns-Werner Boschann war 1970–1973 Vorsitzender der Gesellschaft für Geburtshilfe und Gynäkologie in Berlin (GGGB). 1983 wurde Professor Dr. med. Hanns-Werner Boschann „Für Verdienste um die Einführung der Zytodiagnostik in Berlin“ zum Ehrenmitglied der Gesellschaft für Geburtshilfe und Gynäkologie in Berlin (GGGB) ernannt. Ein Jahr später zog Boschann mit seiner Frau nach Garmisch-Partenkirchen, wo er sich schon zu Zeiten Chrustchows und der berühmt-berüchtigten Kuba-Krise eine kleine Wohnung als „Ausweichquartier“ gekauft hatte. In Garmisch-Partenkirchen feierte H.-W. Boschann seinen 85. Geburtstag, zum dem ihm die GGGB herzlich gratuliert.

Literaturempfehlung

  • Boschann H-W: Klinisch-zytologische Forschung und Praxis in Berlin. In: Naujoks H (Hrsg.): Klinische Zytologie in Deutschland. Frankfurter Beiträge zur Geschichte, Theorie und Ethik der Medizin. Olms Weidmann Verlag, Hildesheim 1986, S. 79–103.

  • Boschann H-W: Praktische Zytologie. De Gruyter Verlag Berlin-New York 1960.

  • Boschann H-W: Gynäkologische Zytodiagnostik für klinik und Praxis. De Gruyter Verlag Berlin-New York 1973.

  • Brandt M: Prof. Dr. med. Erich von Schubert †. Berliner Medizin 1963; 14: 295–296.

  • Lamm D: Hans Igel (+1918) – Wendepunkte. In: David M, Ebert AD (Hrsg.): Geschichte der Berliner Universitäts-Frauenkliniken. De Gruyter Verlag, Berlin-New York 2010, S. 300–304.

  • Scholtes G, Hardt W, Ebert AD: „Man nehme sich ja nicht (zu) ernst„ – Erinnerungen an Herbert Lax (1909–1987). In: David M, Ebert AD (Hrsg.): Geschichte der Berliner Universitäts-Frauenkliniken. De Gruyter Verlag, Berlin-New York 2010, S. 283–299.