Geburtshilfe Frauenheilkd 2011; 71 - B16
DOI: 10.1055/s-0031-1295384

Stammzellen (SZ) und Regeneration des Endometriums – was wissen wir wirklich?

M Götte 1
  • 1Münster

Zellen, die im undifferenzierten Zustand unbegrenzt teilungsfähig sind, und die das Potential haben, sich zu spezialisierten Zellen zu differenzieren. Stammzellen zeigen die Fähigkeit zur Selbsterneuerung und ein asymmetrisches Teilungsverhalten. Dabei gibt es eine gewissen Hierarchie von Stammzellen: Embryonale Stammzellen sind pluripotent [totipotent]. Eine Differenzierung in Zellen aller 3 Keimblätter (Endoderm, Ectoderm, Mesoderm) [und der extraembryonalen Gewebe (Trophoblast, Placenta)] ist möglich. Nachteile der Verwendung für wissenschaftliche Zwecke liegen in der ethischen Kontroverse, aber auch in der Teratombildung in vivo. Adulte Stammzellen (z.B. neurale SZ, mesenchymale SZ, hämatopoietische SZ) sind multipotent (Differenzierung zu unterschiedlichen Zelltypen einer ‚Lineage') oder unipotent (Differenzierung zu einem Zelltyp). Nachteil: sie haben ein eingeschränktes Differenzierungspotential; iPS sind induzierte pluripotente Stammzellen, also somatische Zellen oder adulte Stammzellen, die z.B. durch Manipulation (Expression von OCT4, SOX2, c-Myc und Klf4) in pluripotente Zellen mit embryonalen Stammzelleigenschaften umgewandelt werden.

Während der reproduktiven Phase der Frau unterliegt das Endometrium ständigen Zyklen von Wachstum, Differenzierung, Desquamation und Regeneration. Neueste Forschungsergebnisse deuten darauf hin, dass eine Stammzellaktivität die Grundlage dieser enormen regenerativen Kapazität darstellen könnte. So zeigen ungefähr 2% der Zellen des menschlichen Endometriums den ‚side population'-Phänotyp, der auf der Expression von Multidrug-Resistance-Proteinen beruht, und einen Surrogatmarker der Stammzellaktivität darstellt. Weitere Hinweise auf eine endometriale Stammzellaktivität liefert der Expressionsnachweis Stammzelltypischer Gene, wie der pluripotenzassoziierten Transkriptionsfaktoren OCT-4, SOX2, NANOG und KLF4, mesenchymaler Stammzellmarker (CD73, CD90, CD 105, CD146), sowie charakteristischer Marker endothelialer Progenitorzellen (CD31, CD34, CD144). Isolierte endometriale Stammzellen konnten hierbei in vitro und in Zelltypen unterschiedlicher 'lineages' (osteogen, adipogen, chondrogen, myogen) differenziert werden. In Xenograft-Studien warten diese Zellen in der Lage, Endometriumgewebe aufzubauen. Transplantationsexperimente haben gezeigt, dass zumindest ein Teil der endometrialen Stammzellen ihren Ursprung im Knochenmark hat. Obwohl der vermutete Hauptsitz endometrialer Stammzellen das Stratum basale ist, können endometriale Stammzellen auch wenig invasiv aus oberflächlichen Endometriumschichten im Rahmen routinediagnostischer Methoden sowie aus Menstruationsblut isoliert werden, was neue therapeutische Möglichkeiten eröffnet. Die nachgewiesene Fehlregulation der Stammzellaktivität bei proliferativen Erkrankungen des Endometriums wie der Endometriose und dem Endometriumkarzinom legen die induzierte Differenzierung dieser Zellen als therapeutischen Ansatz, sowie die Nutzung von Stammzellmarkern als prognostische oder diagnostische Marker nahe. Die hohe Expression von Pluripotenzfaktoren im Endometrium ermöglicht hierbei eine effiziente Umwandlung endometrialer Stromazellen in induzierte pluripotente Stammzellen. Diese Untersuchungen bilden die Grundlage weiterer therapeutischer Ansätze, wie die gezielte in vitro Differenzierung endometrialer Stammzellen zu dopaminergen Neuronen oder Insulinproduzierenden Zellen, welche in Tiermodellen der Parkinson-Krankheit und des Diabetes bereits viel versprechende Erfolge zeigen konnten.

Wesentliche Untersuchungen widmen sich der Herkunft endometrialer Stammzellen aus dem Knochenmark. Es konnte gezeigt werden, dass: a) Knochenmarktransplantationen zwischen humanen Spendern und Empfängern unterschiedlicher HLA-Signatur die Fähigkeit von Knochenmarkstammzellen, Endometriumgewebe in vivo zu regenerieren, zeigen; b) Knochenmarktransplantate männlicher Spender erzeugten im Endometrium weiblicher Rezipienten Drüsenzellen, die Y-Chromosomen enthielten; c) Zigarettenrauch hemmt die Rekrutierung von Knochenmarkstammzellen zum Endometrium im Mausmodell. In aktuellen Untersuchungen wurde Musashi-1 als ein Markerkandidat endometrialer SZ charakterisiert. Es wird von neuronalen SZ und epithelialen Progenitorzellen in Darm, Magen, Brustdrüse, Epidermis und Haarfollikeln exprimiert. Der Verlust von Musashi-1 führt zur Differenzierung von SZ der Keimbahn.

Neuere Untersuchung der Expression des Pluripotenzassoziierten Transkriptionsfaktors Sox-2 im Endometrium zeigten: a) Sox-2 (SRY (sex determining region Y)-Box2) ist für die Erhaltung des Selbsterneuerungspotentials in undifferenzierten embryonalen Stammzellen essentiell; b) Sox-2 reguliert zusammen mit anderen Transkriptionsfaktoren (OCT-4, nanog) Zelldetermination, Differenzierung und Proliferation, und c) somatische Zellen oder adulte SZ werden können durch Manipulation der Expression von Sox-2, OCT-4,c-Myc und Klf4 in pluripotente Zellen mit embryonalen SZ-Eigenschaften umgewandelt werden – es handelt sich um induzierte pluripotente SZ (iPS). Als Quelle von SZ wurde auch Menstruationsblut untersucht, wobei belegt werden konnte: a) durch den hormonell regulierten Vorgang der Menstruation gelangen endometriale SZ ins Menstruationsblut, d.h. es liegt eine nichtinvasiv- gewinnbare Quelle adulter SZ vor; b) Nachweis von SZ-Markerexpression (CD29, CD73, CD90, CD105, OCT4, SSEA-4, c-Kit, TERT) und c) Kultivierung für >68 Populationsverdoppelungen ohne Chromosomenaberrationen ist möglich. Dadurch rücken zwei wesentliche Erkrankungen in den Blickpunkt – die Endometriose und das Endometriumkarzinom. Die Rationale für die Erforschung des möglichen Zusammenhanges von SZ und Endometriose liegt in: a) dem monoklonalen Ursprung einiger Endometrioseläsionen; b) dem Fakt, dass sich aus Endometrioseläsionen isolierte Zellklone lassen in vitro in Langzeitkultur halten lassen; c) dass Progenitorzellen mit hohem Differenzierungspotential aus Menstruationsblut isoliert (retrograde Menstruatrion!) wurden; d) dass die erhöhte Expression der SZ-Marker Msi-1, Oct-4 und c-kit in Endometriosegewebe beschrieben wurde; e) dass ektope endometriale MSCs invasives Verhalten in vitro und in vivo (Nackmausmodell) zeigen. Beim Endometriumkarzinom ist bekannt: a) das Konzept der „Cancer stem cell”, denn ebenso wie Stammzellen zeigen Tumorzellen ein hohes proliferatives Potential und ein hohes Maß an Plastizität; b) in adulten Stammzellen aktive Signaltransduktionswege (Wnt/ß-Catenin, PTEN) sind häufig beim Endometriumkarzinom fehlreguliert; c) erhöhte Telomeraseexpression und -aktivität beim Endometriumkarzinom; d) klonogene Zellen aus humanen Endometriumkarzinomen exprimieren Stammzellmarker (SOX2, nanog, BMI-1) und erzeugen Tumore in Nacktmäusen; d) aus humanen Endometriumkarzinomzellen isolierte SP-Zellen generieren in Nacktmäusen aggressivere, schneller wachsende Tumore als nicht-SP-Zellen; e) CD133+ ist ein unabhängiger prognostischer Faktor beim Endometriumkarzinom und korreliert mit einem schlechteren Gesamtüberleben. Im Hinblick auf ein mögliches therapeutisches Potential wurde gezeigt, dass endometriale SZ zur Erzeugung von iPS besser geeignet sind als neonatale Hautfibroblasten. Die Verwendung aus Menstruationsblut isolierter Stammzellen scheint möglich, da die Differenzierung von MeSZ zu spontan kontraktilen Cardiomyozyten gezeigt wurde. Weitere zukunftsweisende therapeutische Ansätze sind in der in vitro Generierung von Neuronen aus endometrialen SZ zur experimentellen Parkinson-Therapie zu sehen. Mesenchymale Stammzellen des Endometriums (CD146+, CD90+, PDGFR+) wurden in vitro zu dopaminergen Neuronen differenziert. Die differenzierten Zellen zeigten neuronale Morphologie (pyramidale Zellkörper, Axone, Dendriten) und exprimierten neurale Marker (u.a. Nestin). Ausserdem wurde in einem Parkinson-Tiermodell gezeigt, dass die Zellen zum Ort der Läsion migrierten, anwuchsen, differenzierten und die Dopamin-Konzentration erhöhten.

Ähnliche Befunde liefert aktuell die in vitro Generierung Insulinproduzierender Zellen aus endometrialen SZ zur experimentellen Diabetes-Therapie. Stammzellen des Endometriums (OCT4+, Nanog+, Nestin+) wurden in vitro zu Glucoseresponsiven Insulinproduzierenden Zellen differenziert. Entsprechende Genexpressionsanalysen zeigten die Ähnlichkeit der differenzierten Zellen zu Inselzellen des Pankreas. In einem (Streptozotocin-) Diabetes-Tiermodell wuchsen die Zellen an, und erhöhten die Insulin-Konzentration im Blut auf Kontrollwerte. Zusammenfassung und Ausblick: Im Endometrium lassen sich adulte Stammzellen nachweisen, die typische Marker mesenchymaler und möglicherweise endothelialer Progenitorzellen aufweisen. Das Knochenmark ist eine mögliche Quelle dieser Stammzellen. Adulte Stammzellen mit den Kennzeichen mesenchymaler Stammzellen können aus Endometriumbiopsien im Rahmen einer Routinediagnostik, und aus Menstruationsblut gewonnen werden. Aufgrund der erhöhten Expression von Pluripotenzmarkern eignen sich endometriale Zellen besonders gut zur Generation von iPS und für therapeutische Anwendungen (bislang nur im Tiermodell). Die Expression von Stammzellmarkern (Msi1, SOX2, CD133) ist bei Endometriose und/oder Endometriumkarzinom erhöht. SZ-Marker können das diagnostische Repertoire erweitern. Die induzierte Differenzierung endometrialer SZ stellt eine neue therapeutische Strategie dar.

Literaturempfehlungen

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