Geburtshilfe Frauenheilkd 2011; 71 - B15
DOI: 10.1055/s-0031-1295383

Hormonersatztherapie und Psyche

I Wiegratz 1
  • 1Frankfurt a.M.

Was ist die Psyche? Das Wort bedeutet altgriechisch soviel wie „Atem“ oder „Hauch“, beschreibt aber auch Seele, Geist, Gemüt, Gefühlsleben, Lebendigkeit, Lebenskraft, Denkvermögen, Verstand und Klugheit. Zu den psychischen Störungen zählen Depressionen, Ängste, Zwänge, Schlafstörungen, Unruhe und Nervosität. Der Einfluss endogener Sexualhormone auf die Psyche ist bekannt. Dazu zählen zyklusabhängige Stimmungsschwankungen, perimenstruelle Exazerbationen von Psychosen, das PMS und die PMDD, aber auch die postpartale Depression und die Depression (Frauen erkranken doppelt so häufig wie Männer). Die frühe iatrogene Menopause ist unbehandelt mit höherem Demenzrisiko verbunden. Frauen haben zwischen der Menarche und der Menopause einen relativen Schutz vor Schizophrenie, wobe auffällt, dass Frauen mit Schizophrenie einen niedrigeren Estrogenspiegel als Frauen ohne Schizophrenie haben.

Estrogene können im Gehirn gebildete werden. So wird gonadalesTestosteron im Gehirn zu Estradiol aromatisiert, was besonders in den Hypothalamuskernen, der Amygdala, der Großhirnrinde, dem Hippokampus und dem Kleinhirn beschrieben wurde. Die Steroidsynthese aus Cholesterin ist im ZNS möglich. So entstehen dort Neurosteroide, wie z.B. Pregnenolon, Pregnanolon oder DHEA.

Die genomische Effekte werden über nukleäre Östrogenrezeptoren realisiert, wobei dieser Effekte durch einen langsamen Wirkeintritt charakterisiert sind und lange anhaltend (Stunden bis Tage), während nichtgenomische Effekte schnelle Wirkung zeigen (Sekunden/Minuten), aber von kurzer Dauer sind (Minuten/Stunden).

Die Wirkungsweise der Sexualsteroide beeinflusst die Hirnfunktionen. So konnte gezeigt werden, dass Estrogene neuro- und psychoprotektive Effekte im Gehirn haben. Beschreiben wurden die Verbesserung des zerebralen Blutflusses, des Glukosemetabolismus des Gehirns, des neuronalen Wachstums und der Myelinisierung.

Sexualsteroide modulieren die Synthese, die Freisetzung, die Rezeptorbindung, die Wiederaufnahme und den Metabolismus von Neurotransmittern. Die Östrogene steigern die Dichte der Serotoninrezeptoren in einigen Hirnregionen (z.B. Hypothalamus, Amygdala). Im Allgemeinen haben Östrogene einen aktivierenden und Gestagene einen inhibierenden, dämpfenden Effekt. An Explantaten von neugeborenen Mäusen in der Organkultur konnte das Wachstum von Neuriten unter Estrogeneinfluss demonstriert werden.

Ein Hormonmangel bewirkt ein erhöhtes Risiko für Kognitionseinschränkung oder Demenz. Dies konnte im Rahmen einer Kohortenstudie bei ovarektomierten Frauen (813 Frauen mit unilateraler Ovarektomie, 676 Frauen mit bilateraler Ovarektomie) vor der natürlichen Menopause geszeigt werden. Die frühe Hormontherapie bis zum Alter von 50 Jahren hatte einen protektiven Effekt auf die Kognition.

Zudem wurde in einer Kohortenstudie (666 Frauen mit bilateraler Ovarektomie vor natürlicher Menopause und 673 Kontrollen) die Langzeitrisiken für Depression und Ängstlichkeit durch bilaterale Ovarektomie aufgezeigt. Die muss besonders bei einer spontanen oder induzierten Menopause berücksichtigt werden, da hier Langzeitrisiken schwer zu beurteilen sind

In der Women's Health Initiative Memory Study wurde den Fragestellungen „Depression“ und „Kognition“ bei älteren Frauen nachgegangen, wobei es sich hier um eine Kohortenstudie mit einem Follow-up von 5,4 Jahre handelte. 8% der Frauen hatten zu Beginn depressive Symptome. 6.376 postmenopausale Frauen (65–79 Jahre) ohne Kognitionseinschränkung wurden untersucht. Es konnte gezeigt werden, dass depressive Symptome Risikofaktoren für spätere Kognitionseinschränkung sind (HR 2,01 [95% KI 1,44–2,80]). Die Problemtik des Einflusses der Hormonersatztherapie auf die Gehirnfunktion im Alter gewinnt an Aktualität. In einer Observations- und Longitudinalstudie konnten protektive Effekte der HRT gezeigt werden, speziell positive Effekte auf das verbale und räumliche Gedächtnis bei älteren postmenopausalen Frauen. Bei Patientinnen mit Ovarektomie in Prämenopause fielt ein signifikant höheres Risiko für eine kognitive Beeinträchtigung oder gar eine Demenz nach 27 Jahren (median) auf.

In einer randomisierten kontrollierte Studien liess sich jedoch kein positiver Effekt der Hormonersatztherapie (Hormone Replacement Therapy) HRT nachweisen, wobei die folgende Ursachen für die Diskrepanz diskutiert werden: Östradiol oder CEE? Applikation – transdermal, oral, i.m.? Unterschiedliche psychometrische Tests? Variierende Zeiten zwischen Menopause und Therapie?

In Tierversuchen wurde an kastrierte Ratten, 3 bzw. 10 Monate nach Kastration eine HRT, erhielten, dass die räumliche Gedächtnisleistung besser bei den Ratten war, die früh substituiert wurden. Klinische Daten zeigen eine Reduktion der Alzheimer Demenz bei „frühem“ Hormontherapiebeginn (Cache County Study), wobei 2–3 Jahre HRT in der Perimenopause einen günstigen Effekt auf Kognition bis zu 15 Jahre später hatten. Der Beginn der Hormontherapie nach dem 60. Lebensjahr bringt keinen kognitiven Nutzen (WHIMS und WHISCA-Studie). Ausserdem wird ein Einfluss einer HRT auf die Alzheimer Demenz vermutet, wobei zunächst die Reduktion des Risikos für die Alzheimer-Demenz durch Östrogene diskutiert wurde. Der günstige Effekt auf die Entwicklung einer Alzheimer Demenz ist biologisch plausibel, denn Östradiol

  • reduziert die Bildung von ß-Amyloid und Hyperphosphorylisierung der Tau-Proteine

  • verbessert die Vaskularisierung

  • fördert das neuronale Wachstum und die Synapsenbildung.

  • verhindert die intrazelluläre Peroxidakkumulation.

  • vermindert die Degeneration hippocampaler Neuronen.

  • wirkt neuroprotektiv bei Ischämie und oxidativem Stress

Allerdings konnten randomisierte Studien bisher keinen günstigen Effekt der Östrogene nachweisen. Die Women's Health Initiative Memory Study (Interventionsstudie) zeigte, dass die Hormontherapie das Risiko für Demenz bei Frauen 65–79 Jahre erhöhte (CEE+MPA=Verdopplung des Risikos; CEE-mono: Zunahme um 50%). Diese Ergebnisse sind nicht auf peri- und „früh“postmenopausale Frauen übertragbar! Frauen, die vor Beginn der WHIMS-Studie mit Hormonen behandelt worden waren, hatten ein niedrigeres Risiko für Demenz als Frauen, die nie Hormone eingenommen haben.

Wichtig ist auch die Frage nach dem Beginn, dem „Timing“ der Hormontherapie und der Beeinflussung des Demenz-Risikos. Der Einfluss der Hormontherapie (HT) auf den regionalen Hirnmetabolismus wurde bei 53 postmenopausalen Frauen (50–65 Jahre) mit erhöhtem Risiko für Alzheimer-Demenz untersucht. Die prospektive, randomisierte Studie lief über 1 Jahr. Die Zeitdauer der endogene Estrogenexposition korrelierte signifikant mit Metabolismus im rechten Frontalhirn. Östradiol verbesserte signifikant das verbale Gedächtnis gegenüber CEE. Regionale, spezifische neuroprotektive Östrogeneffekte wurden beobachtet.

Für die Demenz gibt es präventive Ansätze, die in den S3-Leitlinie Demenzen der DGPPN (2009) herausgearbeitet wurden. Zu den Risikofaktoren zählen Hypertonie, Diabetes mellitus, Hyperlipidämie, Adipositas, Nikotinabusus. Konsequenterweise werden folgende Ansätze empfohlen: a) aktiver Lebensstil mit körperliche Bewegung, aktives geistiges und soziales Leben; b) ausgewogene Ernährung (mediterrane Diät, Konsum von Fisch); c) kein übermäßiger Alkoholgenuss; d) Nikotinverzicht; e) Behandlung von Begleiterkrankungen: Hypertonus, Dyslipidämie, Übergewicht, Diabetes; f) eine Hormontherapie wird zur Prävention der Demenz nicht empfohlen. Der Einfluss der HRT auf die Stimmungist in der Praxis bekannt. Die Wechseljahre sind ein „window of vulnerability“. Das Risiko für depressive Verstimmungen in den Wechseljahren ist im Vergleich zur Prämenopase etwa 30% erhöht und ist bei Frauen mit Depression in der Anamnese etwa 5-fach höher.

In einer randomisierten Studie über den Einfluss von Estradiol auf die Depression bei perimenopausalen Frauen (40–55J.) wurde an 50 Frauen mit Depression verschiedener Schweregrade (DSM IV) unter einer 12-Wochen-Therapie mit 100µg Estradiol transdermal versus Plazebo eine Besserung der Depression bei 68% der Fauen unter ERT, aber auch bei 20% der Frauen unter Plazebo gezeigt. Die signifikante Besserung der Depression durch Estradiol war in ihrem Benefit noch bis 4 Wochen nach Absetzten signifikant. Eine weitere randomisierte Studie untersuchte den Einfluss einer HRT auf Depression bei Frauen in der späten Postmenopause (17 Jahre nach Menopause) und belegte in beiden Gruppen eine signifikante Besserung unter Therapie versus Baseline. Es gab allerdings keinen klinisch signifikanten Unterschied zwischen der Östradiolgabe und Plazebo. Die Responderrate (>50% Besserung) lag bei Östradiolgabe bei 40% und bei Plazebo 44%. MPA hatte keinen Einfluss. Interessante Daten ergab auch der Estrogenentzug auf die Stimmung postmenopausaler Frauen. Untersucht wurden asymptomatische postmenopausale Frauen mit und ohne Depressions-Symptome in der Perimenopause. Nur Frauen, die bereits in der Perimenopause depressive Symptome hatten, zeigten bei Estrogenentzug eine signifikante Zunahme depressiver Symptome. Man vermutet eine „Prädisposition“ bei einigen Frauen.

Zusammenfassung: a) endogene und exogene Sexualhormone haben einen starken Einfluss auf das ZNS; b) die Ergebnisse vieler basiswissenschaftlicher Untersuchungen (Zellkultur, Tierversuche) zeigen neuroprotektive Effekte der Estrogene; c) eine Ovarektomie vor der natürlichen Menopause steigert das Risiko für eine spätere mentale Beeinträchtigung; d) klinische Untersuchungen ergaben widersprüchliche Ergebnisse in Bezug auf die Kognition: Observationsstudien versus RCT: „window of opportunity“? Nutzt die Hormontherapie zur Primärprophylaxe des Kognitionsverlustes? A) vor dem 60. (65.) Lebensjahr wahrscheinlich ja; b) nach dem 60. (65.) Lebensjahr eher nein. Nutzt eine Hormontherapie zur Sekundärprophylaxe des Kognitionsverlusts? Nein. Fasst man die Wirkung der Hormontherapie (HT) auf Kognition und Demenz zusammen, so bleibt festzuhalten: a) eine HT hat keine positive Wirkung auf die Kognition bei älteren postmenopausalen Frauen; b) eine HT soll nicht zur Verringerung kognitiver Beeinträchtigungen bei postmenopausalen Frauen empfohlen werden; c) eine HT zeigt keinen Nutzen in Bezug auf Demenzsymptome bei Frauen mit Alzheimer-Erkrankung; d) eine HT erhöht das Risiko einer Demenz für Frauen im Alter über 65 Jahre; e) eine HT soll zur Verringerung des Risikos einer Demenz nicht empfohlen werden.

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