Z Geburtshilfe Neonatol 2011; 215 - FV05_01
DOI: 10.1055/s-0031-1293234

Der Hebammenkreißsaal – Ein klinisches Versorgungskonzept zur Förderung der physiologischen Geburt

NH Bauer 1, BA Schücking 2, H Pohlabeln 3, F zu Sayn-Wittgenstein 4
  • 1Hochschule für Gesundheit Bochum, Bochum
  • 2Universität Leipzig, Leipzig
  • 3Bremer Institut für Präventionsforschung und Sozialmedizin (BIPS), Bremen
  • 4Hochschule Osnabrück, Osnabrück

Ziel: Nach den Kriterien der WHO (1996) sollten circa 70 bis 80% aller Schwangeren bei Geburtsbeginn als ‚Low-Risk‘ einzustufen sein. Faktisch steigen die Ratender geburtshilflichen Interventionen und der Kaiserschnitte weltweit aber kontinuierlich.In Deutschland erfahren nur 8,2% aller Low-Risk-Frauen in der Klinik keine invasivenInterventionen während der Geburt (Schwarz 2008). Im Jahr 2008 betrug die Kaiserschnittrate 30,8% (BQS 2009b).

Methodik: Die vorliegende Arbeit untersucht das Versorgungskonzept Hebammenkreißsaal anhand einer prospektiv kontrollierten Studie. Gesunde Schwangere werden im klinischen Setting in der Schwangerschaft und während der Geburt ausschließlich von Hebammen betreut. Primäre Endpunkte der Studie sind das maternale und kindliche Outcome, medizinische und hebammengeburtshilfliche Interventionen, das Stillverhalten sowie das physische und das psychische Wohlbefinden nach der Geburt. Ferner wird die Einstellung der Frauen zu relevanten Aspekten der erfahrenen Betreuung während der Geburtexplorativ untersucht. Die Geburtsverläufe von 238 Schwangeren, die entweder den Hebammenkreißsaal oder das übliche Kreißsaalmodell einer Klinik in der Zeit von 01/2005 bis 07/2006 gewählt haben, wurden dokumentiert. Acht Wochen nach der Geburt wurden die Studienteilnehmerinnen schriftlich befragt (Rücklaufquote 83,2%).

Ergebnis: Es zeigen sich signifikante Ergebnisse hinsichtlich einer höheren Rate an Spontangeburten, einer niedrigeren Rate an Kaiserschnitten, weniger medizinischen Interventionen sowie häufiger eingesetzten hebammengeburtshilflichen Maßnahmen. Es wurde eine größere Mobilität der Gebärenden und eine höhere Stillrate nach sieben Tagen und acht Wochen in der hebammengeleiteten Gruppe gemessen.

Schlussfolgerung: Hebammen, die im klinischen Setting gesunde Schwangere und Gebärende eigenverantwortlich betreuen, fördern damit die Möglichkeiten einer physiologischen Geburt. Ihre Betreuung besitzt positive Auswirkungen auf die Gesundheit und das Wohlbefindenvon Mutter und Kind.

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