Suchttherapie 2011; 12 - A2
DOI: 10.1055/s-0031-1293180

20 Jahre DGDS/DGS – ein persönlicher Rück- und Ausblick

J Gölz 1
  • 1Praxiszentrum Kaiserdamm, Berlin

1991 wurden in der BRD zwei medizinische Gesellschaften von niedergelassenen Ärzten gegründet: Die DGDS als Vereinigung der substituierenden Ärzte und die DAGNÄ als Vereinigung der HIV-Behandler. Opiatsubstitution bei Heroinabhängigen galt damals noch als eine Art ärztlicher Kunstfehler. Gesetzgeber und Repräsentanten der Ärzteschaft und der Abstinenztherapie wollten diese Therapie mit aller Gewalt eindämmen. Die gleichzeitige gesellschaftliche Angst vor der Ausbreitung der HIV-Epidemie bildete das Gegengewicht, ohne das die Opiatsubstitution sich kaum hätte ausbreiten können. Nicht zufällig war das Thema des ersten suchtmedizinischen Symposiums der DGDS 1992 „Suchterkrankungen und AIDS“.

Die Gründungsmitglieder in Frankfurt waren die Kollegen Ulmer, Grimm (†), Ewig, Zerdick (†), Ullmann, Wetzig, Hellenbrecht (†) und Köhler. Mit jährlichen Kongressen und öffentlichen Stellungnahmen im politischen und gesundheitspolitischen Bereich verlieh die DGDS der heftig umstrittenen und angefeindeten Therapieform eine Stimme. Nach innen bildete die DGDS einen Schutzraum für die isolierten Kollegen jenseits der großstädtischen Ballungsräume, die oft als Einzelkämpfer in überlaufenden Praxen ganze Regionen mit Substitutionstherapie versorgten und dabei ständig Angriffen und Übergriffen von Ärztekammern, KVen und Staatsanwaltschaften ausgesetzt waren. Das Treffen auf den jährlichen Kongressen der DGDS/DGS bot ihnen Unterstützung und Selbstvergewisserung.

Von Beginn an war die DGDS mit einer Flut neuer Richtlinien und betäubungsmittelrechtlicher Vorschriften konfrontiert, die die umstrittene Behandlungsform kanalisieren sollten. Seit 1991 war neben L-Methadon das D-L- Methadon in der BRD verfügbar und wurde vom Gesetzgeber als das einzig zulässige Opiat zur Substitution bestimmt. Die Ärzte hatten jedoch seit 1980 vor allem mit Codein substituiert. Das Codein sollte jetzt nur noch in begründeten Ausnahmefällen eingesetzt werden. Der Kampf gegen diese Bestimmung dominierte und charakterisierte die Aktivitäten der DGDS in den ersten Jahren ihres Bestehens. 1998 hatte sich der Gesetzgeber durchgesetzt. 20 000 codeinsubstituierte Drogenabhängige mussten von Codein auf Methadon umgestellt werden.

Nach dem Ende dieser Auseinandersetzung begann der damalige Vorsitzende Rainer Ullmann eine personelle und thematische Erweiterung der Gesellschaft einzuleiten. Klinische Suchtmediziner und Suchtforscher sollten integriert werden und das Aufgabengebiet der DGDS sollte auch andere Suchtformen umfassen.

1998 war ich Vorsitzender der Methadonkommission und der AIDS-Kommission der KV Berlin. Rainer Ullman bat mich für den Vorstand der DGDS zu kandidieren. Außerdem holte er mit Klaus Behrendt einen renommierten klinischen Repräsentanten in den Vorstand der DGDS. Mit Michael Krausz begleitete ein renommierter Suchtforscher die Umwandlung der DGDS zur DGS. Nach mehreren Mitgliederversammlungen mit heftigen Diskussionen (Befürchtung der Niedergelassenen ihr Gewicht neben den Klinikern und den Forschern zu verlieren) wurde dann der Erweiterung zugestimmt und die DGDS e.V. in DGS e.V. umbenannt. Berlin wurde zum festen Ort des jährlichen Kongresses bestimmt und Michael Krausz initiierte die Herausgabe der Zeitschrift „Suchtherapie“ im Gegenzug zu Buehringers „Sucht“. Sie wurde dann zur Mitgliederzeitschrift der DGS. In der Zeit dieses Umbruchs ereigneten sich auch drogenpolitisch günstige Personalentscheidungen. Während sich die ersten drei Vorsitzenden Albrecht Ulmer, Herbert Elias und Rainer Ullmann mit dem drogenpolitischen Hardliner Eduard Lintner (CSU) als Drogenbeauftragten der Bundesregierung herumschlagen mussten, folgten jetzt mit der rot-grünen Koalition drei Frauen als Drogenbeauftragte, die unseren Forderungen gegenüber offen waren und sie soweit machbar im politischen Rahmen unterstützten: Christa Nickels (Grüne), Marion Caspers-Merk (SPD) und Sabine Bätzing (SPD). Endlich fand die DGS bei den politisch Verantwortlichen ein offenes Ohr.

Das Gewicht der Gesellschaft im Bereich der Suchtforschung wurde prägnanter: einmal durch die starke Beteiligung der DGS-Mitglieder in den beiden Forschungsprojekten COBRA und PREMOS von Prof Wittchen, die die Effekte und Mängel der Substitutionstherapie untersuchten, zum zweiten durch die Heroinstudie von Michael Krausz, die nachwies, dass die Substitution mit Heroin machbar und erfolgreich ist und zum dritten durch die evidenzbasierten Leitlinien der DGS zur HCV- und zur HIV-Behandlung bei Drogenabhängigen, die beide von Markus Backmund organisiert wurden.

Dennoch gelang es der DGS bisher nicht in die Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften (AWMF) aufgenommen zu werden. Im Ablehnungsschreiben wurde darauf verwiesen, dass die DGSucht (eine rein abstinenzbasierte Gesellschaft) die Interessen des Fachgebietes in der AWMF vertrete!

Gesundheitspolitisch ist der größte Erfolg, dass durch die flächenhaften Ausbreitung der Substitutionstherapie Deutschland heute eine der weltweit niedrigsten Neuinfektionsrate mit HIV bei Drogenkonsumenten aufzuweisen hat, da fast alle 8 000 HIV-infizierten IDU substituiert werden oder nach Substitution abstinent leben. Unter den verbleibenden 150 000 aktiven Drogenkonsumenten infizieren sich jährlich nur 100–150 neu mit HIV.

Mit insgesamt 76 000 substituierten Patienten hat sich die Opiatsubstitution inzwischen neben der Abstinenztherapie als gleichwertige Therapieoption etabliert.

Nicht nur die Vorstandsmitglieder sondern viele andere Mitglieder DGS haben sich mit großem Arbeitsaufwand speziellen Aufgaben und Fragen gewidmet. Unter den vielen sollen fünf stellvertretend erwähnt werden:

Joachim Zerdick hat jahrelang die Kongresse der DGDS/DGS organisiert und den Kongressband zusammengestellt und redigiert.

Inge Hoenekopp hat sich viele Jahre um alle rechtlichen Fragen im Zusammenhang mit der Substitution gekümmert und die Mitglieder informiert.

Michael Krausz hat die Öffnung zur Suchtforschung begleitet und für die Gesellschaft die Zeitschrift „Suchttherapie“ gegründet und die ersten Berliner Kongresse organisiert.

Hans-Günther Meyer-Thomson gibt seit Jahren den internetgestützten Rundbrief der DGS heraus. Eine hochinformative Quellensammlung, um die uns andere Gesellschaften beneiden.

Markus Backmund hat den DGS-Leitlinien-Prozess zu HIV und HCV organisiert und hat durch seine langjährige Sparpolitik, die Gesellschaft von einer erheblichen Steuerschuld befreit.

Die DGS hat die Matura erreicht: Sie ist im Ensemble der anderen suchtmedizinischen Gesellschaften der mitgliederstärkste Verband mit einzigartiger Kompetenz auf dem Gebiet der Therapie von Konsumenten illegaler Drogen. Als einzige suchtmedizinische Gesellschaft hat sie niedergelassene Praxis, Klinik und Forschung integriert. Der größte medizinische Erfolg der praktischen Arbeit ihrer Mitglieder ist eine der niedrigsten Neuinfektionsraten mit HIV bei IDU weltweit.

Was bleibt zu tun? Im Bereich der Substitutionsbehandlung ist wieder mehr Verantwortung und Entscheidungsfreiheit bei den behandelnden Ärzten anzusiedeln und nicht bei immer mehr bürokratischen Auflagen und betäubungsmittelrechtlichen Bestimmungen. Die DGS muss eine Brücke bilden zwischen spezialisierter Suchtmedizin und der Primärmedizin. Im Bereich der Primärmedizin muss eine bessere Vernetzung mit Institutionen zur Versorgung der psychiatrischen Komorbidität und der HIV- und HCV-Infektion hergestellt werden. Damit sind Anstrengungen in der Suchtforschung und bei der innovativen Krankenversorgung gefordert. Die DGS sollte weiterhin eine hörbare Stimme bei der Interessenvertretung und der Entstigmatisierung abhängiger Patienten bleiben. Dazu gehört vor allem auf nationaler Ebene die jetzt von den Vereinten Nationen begonnene Deeskalierung des „war on drugs “ zu unterstützen. Viel Arbeit liegt noch vor uns. Stellen wir uns in den nächsten 20 Jahren diesen Herausforderungen.