Der Klinikarzt 2011; 40(S 01): 3
DOI: 10.1055/s-0031-1292569
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© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Vorhofflimmern - nach Jahren der Stagnation jetzt endlich neue, Erfolg versprechende Therapieoptionen

Johannes Brachmann
,
Matthias Leschke
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Publikationsdatum:
04. Oktober 2011 (online)

Vorhofflimmern ist mit einer Prävalenz von 1–2 % in der Bevölkerung die häufigste anhaltende Herzrhythmusstörung und sie nimmt exponentiell mit dem Alter zu. So liegt die Prävalenz in der Altersgruppe der über 75-Jährigen bereits bei 10–12 %. Derzeit leiden 6 Millionen Europäer unter dieser Rhythmusstörung. Wegen der demographischen Entwicklung mit steigender Lebenserwartung und sprunghaftem Anstieg der Bevölkerungsgruppe über 75 Jahre wird sich diese Zahl in den nächsten 40 Jahren verdoppeln. Das lebenslange Risiko eines 40-Jährigen, zu einem bestimmten Zeitpunkt Vorhofflimmern zu entwickeln, liegt bei nahezu 25 %.

Vorhofflimmern ist mit einer signifikanten altersabhängigen Morbidität und Mortalität verknüpft, es erhöht z.B. das Schlaganfallrisiko um das 5-fache und das allgemeine Mortalitätsrisiko um das 1,5-fache. Das Ausmaß von Begleiterkrankungen wie arterielle Hypertonie, Diabetes mellitus und Herzinsuffizienz, wie sie bisher im CHADS2-Score definiert sind, bestimmt das Embolie- bzw. das Schlaganfallrisiko. Wegen der interindividuell sehr unterschiedlichen Beschwerden lässt sich die subjektive Beeinträchtigung bei Patienten mit Vorhofflimmern nur schlecht standardisieren.

Ätiologisch kommen eine Reihe von kardiologischen Grunderkrankungen (z.B. arterielle Hypertonie, koronare Herzkrankheit, Herzklappenerkrankungen, Kardiomyopathien, Perikarditis, Myokarditis, Herzinsuffizienz) aber auch das Schlafapnoe-Syndrom und ferner endokrinologische Ursachen (Hyperthyreose, sowie typische Noxen wie Alkohol- und Drogenmissbrauch) in Betracht. In 15–20 % der Fälle ist keine Ursache eruierbar, dann wird von einem idiopathischen Vorhofflimmern (”lone atrial fibrillation“) gesprochen. Dem derzeit allgemein akzeptierten Pathomechanismus liegt eine erhöhte Arrhythmogenität der Pulmonalvenen bzw. der Übergangszone von den Venen in den linken Vorhof zugrunde.

In der Therapie des Vorhofflimmerns haben unsere bisherigen Konzepte eher enttäuscht. So haben die Antiarrhythmika im Hinblick auf den Erhalt des Sinusrhythmus mit Ausnahme des Amiodarons, bei allerdings einem erheblichen Nebenwirkungspotential von mehr als 20 %, lediglich eine Erfolgsrate von maximal 40 % erbracht. Darüber hinaus hat sich das Konzept des Sinusrhythmuserhalts gegenüber der Frequenzkontrolle nicht als überlegen erwiesen. Viele Patienten lassen sich nicht im Sinusrhythmus halten und wenn, dann auf Kosten von erheblichen Nebenwirkungen, einschließlich proarrhythmogenen Effekten. Dennoch haben Patienten im Sinusrhythmus eine bessere Prognose. Auch die Antikoagulation mit Dioumarinen gestaltete sich wegen der geringen therapeutischen Breite, der diversen Interaktionen, der notwendigen Gerinnungsüberwachung mit einer dennoch häufig nur in 60 % gewährleisteten Einhaltung des therapeutischen Bereiches häufig schwierig.

Nach Jahren der Stagnation in der Therapie des Vorhofflimmerns stehen jetzt neue erfolgversprechende Therapieoptionen zur Verfügung. Der Stellenwert der neuen antiarrhythmischen Substanzen, wie Dronedaron und Vernakalant, muss allerdings erst endgültig validiert werden. Die neuen Antikoagulantien werden als Thrombin- und Faktor-X-Antagonisten als innovative Therapiealternative zu den Dicoumarinen zugelassen werden. Sie werden nach Jahren enttäuschender Entwicklungen das Phenprocoumon möglicherweise teilweise ablösen, da sie effektiver, sicherer und wesentlich einfacher in der Handhabung sind. Die Katheterablation als Pulmonalvenenisolation hat sich bei frühen Stadien des Vorhofflimmerns dank verbesserter interventioneller Techniken als valide und inzwischen erfolgreiche Alternative für symptomatische Patienten erwiesen. Insbesondere Patienten mit paroxysmalem Vorhofflimmern können mit Erfolgsraten von 70–80 % erfolgreich therapiert werden. Neben der katheterinterventionellen Therapie steht erstmals auch eine minimalinvasive endoskopische herzchirurgische Therapie zur Verfügung, die bei Versagen der katheterinterventionellen Eingriffe zukünftig diskutiert werden kann.

Mit den neuen Leitlinien der Europäischen Gesellschaft für Kardiologie (ESC) steht ein aktuelles Update zum Management des Vorhofflimmerns zur Verfügung. Darin ist insbesondere auch eine differenziertere Risikostratifizierung des Schlaganfallrisikos im Niedrigrisikobereich in Form des CHA2DS2-VASc-Scores enthalten und es wird erstmals auch auf einen Blutungsrisiko-Score in Form des HAS-BLED-Scores eingegangen. Darüber hinaus wird auf das Antiarrhythmikum Dronedaron, auf die Pulmonalvenenisolation und die sog. Upstream-Therapie eingegangen.

Wegen dieser neuen und faszinierenden Entwicklungen im Management des Vorhofflimmerns haben wir uns gemeinsam mit anerkannten Meinungsbildnern zu diesem Supplement ”Vorhofflimmern“ der Zeitschrift klinikarzt stimuliert gefühlt, in dem wir auf die vielen Facetten des Vorhofflimmerns für Sie als interessierte Leserinnen und Leser hoffentlich so eingehen, dass Sie die Beiträge mit Vergnügen und für ihre ärztliche Tätigkeit mit einem Bewußtsein von Bereicherung wahrnehmen. Wenn dies der Fall sein sollte, haben wir unsere Aufgabe hoffentlich erfüllt.