Zeitschrift für Palliativmedizin 2011; 12(05): 210-215
DOI: 10.1055/s-0031-1287729
Perspektiven
Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Trauerbegleitung – Wirkt Trauerbegleitung überhaupt, und wenn ja worin?

Monika Müller
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Publikationsdatum:
20. September 2011 (online)

 

Die wissenschaftliche Theoriebildung und die Forschung befinden sich – was Wirkungen der Tauerbegleitung anbelangt – noch in einem relativ frühen Stadium. Generell können die bisherigen Ansätze und Studien unterschieden werden in Aussagen und Erkenntnisse über die grundsätzliche Wirkungen oder aber Nichtwirkungen von Trauerbegleitung. Es ist jedoch zu beachten, dass sich die englischsprachige Forschungsliteratur auf unterschiedliche Konzepte der Hilfe bei der Trauerbewältigung bezieht, und hier Trauerbegleitung (Disclosing), Trauerberatung (Counseling) und Trauertherapie (Therapy) unterscheidet.

Bei der in Deutschland gängigen Form der Trauerbegleitung durch ausgebildete Trauerbegleiterinnen wird Begleitung (Disclosing) und Beratung (Counseling) konzeptionell zusammengeführt.

Die bisherige Forschung stellte für "primäre" bzw. einfache Trauer oftmals schlechte Behandlungsergebnisse fest: Es wird nicht nur in Frage gestellt, ob die Begleitung trauernder Menschen bei einer (so genannten) unkomplizierten Prozess überhaupt hilfreich ist[ 18 ], vielmehr wird sogar eine schädliche Wirkung in Aussicht gestellt[ 19 ].

Bisher dominieren medizinische Fragestellungen die Wirkungsforschung der Trauerbegleitung, vor allem wird unter dem Blickwinkel der Depression bzw. der Linderung von Depressionsfolgen sowie somatischer Beschwerden geforscht[ 18 ].

Wirkungsuntersuchungen, die sich mit der Frage der "Rekonstruktion der Alltagsgestaltung" befassen und sich z. B. auf Coping- oder Self Care-Ansätze beziehen, sind bisher – zumindest im deutschsprachigen Raum – stark vernachlässigt worden. Auch mögliche gesundheitsfördernde Wirkungen der Trauerbegleitung, die sich auf den Ansatz des Sense of Coherence (SOC)[ 3 ] beziehen lassen, wurden kaum beachtet, obwohl die Komponenten bzw. Dimensionen des SOC[ 5 ] für den Umgang mit Trauer und Verlust durchaus erklärungsstark sind: Handhabbarkeit (z. B. der Situation an sich und der Auswirkungen der Trauer im Alltag); Verstehbarkeit (z. B. des Verlustes und der körperlichen, emotionalen, seelischen, spirituellen und sozialen Reaktionen); Bedeutsamkeit/Sinnhaftigkeit (z. B. des Verlustes, der vielfältigen Reaktionen, Wertschätzung der eigenen trauernden Person).

Nach Sichtung der bisherigen Forschungsliteratur ergaben sich zusammenfassend folgende Schlussfolgerungen bezüglich der hier vorliegenden Studie:

Möchte man Effekte von Trauerbegleitung messen, so wurde aus der Literatur ersichtlich, sollten vorher mögliche Wirkbereiche (z. B. durch Literaturstudien oder die Befragung von Trauernden selbst usw.) thematisch breiter exploriert werden. Mögliche Wirkbereiche z. B. im Self-Care-Verhalten wurden in den vorhandenen Untersuchungen nicht erhoben. Prigerson öffnet den Blick dafür, dass es negative Auswirkungen von Trauer und Verlust gibt, die bisher nicht weiter als potentielle Wirkbereiche erfasst und untersucht worden sind.

Weitere Wirkbereiche explorativ zu erschließen und anhand dieser die Effektivität von Trauerbegleitung zu untersuchen, erschien also viel versprechend. Die subjektive Einschätzung der Teilnehmer von Trauerbegleitung sollte im Sinne der klinischen Relevanz berücksichtigt werden.

Bisherige Untersuchungen legten erwartete, meist medizinisch ausgerichtete Wirkbereiche vorher fest und überprüften diese anschließend. Dieses Vorgehen birgt eher die Gefahr Wirkbereiche zu übersehen.

Der bisher oft allein verwendete Item zur Messung von Wirkung und Nichtwirkung von Trauerbegleitung, nämlich die Erhebung der Depressionssymptomatik und ihrer Ausprägung, scheint zu kurz gegriffen und eignet sich nicht ausreichend, um Trauersymptomatik und Auswirkung von Trauer, also auch Wirkung und Nichtwirkung von Trauerbegleitung, beschreibbar zu machen. Zwar sind depressive Symptome eine bedeutsame und häufige Auswirkung von Trauer, darüber hinaus wurden jedoch bereits viele weitere Auswirkungsbereiche in der Literatur erwähnt, ohne dass diese hinsichtlich der Wirkung von Trauerbegleitung weiter exploriert worden sind.

Des Weiteren schien es sinnvoll, Teilnehmer von Trauerbegleitung auszuwählen, die diese freiwillig in Anspruch genommen hatten. Dies vor allem, weil sich Hinweise in der Literatur fanden, dass Freiwilligkeit der Teilnahme bzw. subjektiv empfundener Leidensdruck, der den Trauernden auch bei so genannter normaler Trauer Begleitung suchen lässt, ein bedeutsamer Aspekt bezüglich der Wirksamkeit von Trauerbegleitung darstellen könnte. Bei der Auswertung der Ergebnisse sollte außerdem das Konstrukt des SOC[ 3 ] als theoretischer Hintergrund hinsichtlich der Kategorisierung der Ergebnisse der Vorstudie beachtet werden, da der SOC mit den drei Dimensionen der Verstehbarkeit (Comprehensibility), der Handhabbarkeit (Manageability) und der Sinnhaftigkeit (Meaningfullness) Auskunft über den Grad an Vertrauen geben kann, den ein Mensch hat, dass Ereignisse im Leben verstehbar, handhabbar und sinnhaft sind. Dieses Vertrauen steht möglicherweise in einem engen Zusammenhang mit der generellen und situativen Resilienz (Belastbarkeit) von trauernden Menschen.

 
  • Literatur

  • 1 Allumbaugh DL, Hoyt W. Effectiveness of grief therapy: A meta-analysis. 1999
  • 2 Journal of Counceling Psychology 46: 370-380
  • 3 Antonovsky A. Unraveling the mystery of health. How people manage stress and stay well. 1987 San Francisco: Jossey-Bass.
  • 4 Ashurst JR. Rural grief. The grief experience in Union County, Georgia. Dissertation USA: Walden University; 2003
  • 5 Bengel J, Was erhält Menschen gesund?. Antonovskys Modell der Salutogenese. Diskussionsstand und Stellenwert. Eine Expertise von Bengel J, Strittmatter R, Willmann H. im Auftrag der BZgA. Hrsg.: Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung.. Erweiterte Neuauflage in der Reihe Forschung und Praxis der Gesundheitsförderung, Bd. 6. Köln: 2001
  • 6 Bowlby J. Attachment and loss: Loss, sadness and depression. Vol. 3. New York: Basic Books; 1980
  • 7 Costa PT, McCrae RR. Psychological research in the Baltimore Longitudinal. 1993
  • 8 Study of Aging. In: Zeitschrift für Gerontologie. Jg. 26. H. 3 138-141
  • 9 Davis CG, Nolen-Hoeksema S, Larson J. Making sense of loss and growing from the experience: Two construals of meaning. Journal of Personality and Social Psychology 1998; 75: 561-574
  • 10 Jerneizig R, Langenmayr A. Klientenzentrierte Trauertherapie. Eine Pilotstudie zur Erfassung der therapeutischen Wirksamkeit. Göttingen: 1992
  • 11 Jordan JR, Neimeyer RA. Does grief counseling work?. Death Studies 2003; 27 (Suppl. 09) 765-786
  • 12 Lewis CS, A Grief observed. 1961 unter Pseudonym Clerk NW.
  • 13 Prigerson HG. Consensus criteria for traumatic grief. A preliminary empirical test. The British Journal of Psychiatry 1999; 174: 67-73
  • 14 Schwarzer R, Jerusalem M (Hrsg.) Skalen zur Erfassung von Lehrer- und Schülermerkmalen. Dokumentation der psychometrischen Verfahren im Rahmen der Wissenschaftlichen Begleitung des Modellversuchs Selbstwirksame Schulen. Berlin: Freie Universität Berlin; 1999
  • 15 Stroebe M, Schut H, Stroebe W. Grief Work, disclosure and counselling: Do they help the bereaved?. Clin Psychol Rev 2005; 25 (Suppl. 04) 395-414
  • 16 Stroebe M, Schut H, Stroebe W. Health outcomes on Bereavement. Lancet 2007; 8: 1960-1973
  • 17 Stroebe M, Stroebe W, Schut H, Zech E, van den Bout J. Does disclosure of emotions facilitate recovery from bereavement? Evidence from two prospective studies. Journal of Consulting and Clinical Psychology 2002; 70 (Suppl. 01) 169-178
  • 18 Stroebe M, Stroebe W, Schut H. Zur Wirksamkeit der Trauerbegleitung: Was hilft wem?. In: Trauerinstitut Deutschland. e.V. (Hg.): Qualität in der Trauerbegleitung, Wuppertal: 2003: 107-125
  • 19 Fortner BV. The effectiveness of grief counselling and therapy: A quantitative reviwe. Unpublished master`s theses University of Memphis; Memphis: 2000
  • 20 Ansprechstelle im Land NRW zur Palliativversorgung,Hospizarbeit und Angehörigenbegleitung