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DOI: 10.1055/s-0031-1283900
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart ˙ New York
Postpartale psychische Störungen
Mod. nach Erstpublikation in Psychiatrie und Psychotherapie up2date 4; 2010: 305–321Publication History
Publication Date:
13 February 2012 (online)


Postpartalzeit als Risikofaktor
Mehr noch als die Monate der Schwangerschaft stellt die Zeit nach der Geburt eines Kindes eine Herausforderung für Frauen dar, in der sie eine erhebliche körperliche und – insbesondere beim ersten Kind – psychische Anpassungsleistung vollbringen müssen. Emotionale Turbulenzen mit psychischer Instabilität sind in dieser Zeit – nicht zuletzt vor dem Hintergrund der ausgeprägten hormonellen Umstellungen nach der Geburt – normal ableitbar und nicht als ein pathologisches Geschehen anzusehen. Dennoch sollen die behandelnden Frauenärzte und Hebammen als primäre Ansprechpartner in dieser Zeit, aber auch verstärkt das soziale Umfeld der Frauen dafür sensibilisiert werden zu erkennen, wann sich über den Rahmen der normalen Anpassungsvorgänge hinaus psychopathologische Symptomkonstellationen entwickelt haben, die behandlungsbedürftige postpartale psychische Störungen darstellen. Immerhin stellt die postpartale Depression die zahlenmäßig häufigste medizinische Komplikation im Zusammenhang mit der Geburt eines Kindes in den westlichen Industrieländern dar [1] und betrifft aktuellen Studien zufolge etwa 10–15 % der Mütter nach der Entbindung.
Insgesamt haben Untersuchungen der letzten Jahrzehnte gezeigt, dass keine andere Zeit im Leben von Frauen ein vergleichbar hohes Risiko einer psychischen Erkrankung oder auch Hospitalisierung wegen einer Psychose oder anderen psychischen Störung aufweist wie die Postpartalzeit [2] [3].
Darüber hinaus stellt die Geburt eines Kindes, insbesondere auch die des ersten Kindes eines Paares mit dem Übergang von der Dyade zur Triade und den damit verbundenen Anpassungsleistungen ein relevantes Lebensereignis (Life Event) dar, wie es nicht selten im Vorfeld des Auftretens psychischer Störungen zu finden ist (Vulnerabilitäts-Stress-Modell). In den letzten Jahren hat die Erkenntnis, dass längerfristig bestehende psychische Beschwerden der Mutter erhebliche Auswirkungen auf die emotionale und Verhaltensentwicklung des Kindes haben können [4], dazu geführt, dass zunehmend
spezielle Behandlungskonzepte entwickelt wurden, Mutter-Kind-Einheiten in Kliniken eingerichtet worden sind, Selbsthilfegruppen und soziale Netzwerke von Betroffenen gegründet wurden.
Das Wissen um postpartale psychische Störungen ist so alt wie die Medizin. Erste Symptombeschreibungen finden sich bei Hippokrates um 400 v. Chr., der in seinem 3. Buch der Epidemien beschrieb, wie eine Frau nach der Geburt von Zwillingen ruhelos und verwirrt wurde. Als Ursachen nahm er einen gestörten Lochienfluss, eine Milchstauung oder gar das Eindringen von Muttermilch ins Gehirn an.