B&G Bewegungstherapie und Gesundheitssport 2011; 27(5): 183
DOI: 10.1055/s-0031-1283726
EDITORIAL

© Karl F. Haug Verlag in MVS Medizinverlage Stuttgart GmbH & Co. KG

Editorial

Further Information

Publication History

Publication Date:
24 October 2011 (online)

Liebe Leserinnen, liebe Leser! 

Es ist noch nicht lange her, da war „ein gesunder Geist in einem gesunden Körper“ noch das ultimative Menschenideal mit einem festen Platz in unserer Werteskala. Nach einem kurzen Blick auf die aktuellen Morbiditäts- und Mortalitätsstatistiken und einer objektiven Einbeziehung und Bewertung von Forschungsergebnissen und Studien, muss man jedoch heute zu einer ganz anderen Erkenntnis kommen: Diese Ideale, wie im Übrigen auch jene über Jahrtausende entstandene und bewährte Lebensstilansätze oder naturgegebene Regelmechanismen, nehmen in unserem heutigen Gesundheits- und Gesellschaftssystem höchstens noch eine Nebenrolle ein. Denn wie ist es sonst zu erklären, dass der heutige Lebensstil und insbesondere der damit einhergehende Bewegungsmangel schon längst zu Hauptursachen unserer derzeitigen Gesundheitsprobleme und Volkskrankheiten wie Übergewicht, Herz-, Kreislauf-, Stoffwechselerkrankungen und psychosomatischen Dysbalancen geworden sind? 

Woran liegt es nun, dass bis heute trotz Spezialisten und Expertentum die richtigen Mittel und Methoden für die Umkehrung dieser Fehlentwicklung offensichtlich noch nicht gefunden worden sind? Unser heutiges Bewegungsverhalten alleine mit dem uns in die Wiege gelegten Ökonomieprinzip zu erklären ist sicherlich zu einfach. Vielmehr müssen wir die Hauptursachen eher in systembedingten Fehlentwicklungen im Gesundheitswesen, in einer Verblendung und Ignoranz aufgrund der gigantischen und bewundernswerten Fortschritte und Leistungen in der Medizin oder in der gesamtgesellschaftlichen Entwicklung suchen. Dass heute auch monetär geleitete Interessenkonflikte und Besitzstandswahrung Erfolg versprechende Lösungsansätze zusätzlich behindern, ist gewiss kein Ruhmesblatt der zivilisierten Welt. Belege für die skizzierten Annahmen gibt es genug. Nicht nur die Kosten im Gesundheitswesen kann man hierfür heranziehen, sondern auch die Ressourcenver­teilung in Bildungs- und Gesundheitswesen sowie Wissenschaft und Forschung. Da es im Bereich ­Bewegung nur Effekte und Nachhaltigkeit durch ein adäquates Verhalten geben kann, muss hier definitiv schnellstens ein Umdenken einsetzen und Ansätze mit Langzeitwirkungen müssen gesucht werden! Zudem sollte die heutige Geringschätzung der über Jahrtausende anerkannten Ansätze und Lehr­meinungen, z. B. das bereits in der Antike zugrunde gelegte, naturgegebene Prinzip der Evolution, wieder ernster genommen werden. Sport, Spiel und evidenzbasierte und evaluierte Trainingsprogramme sind in unserer Spaß- und Freizeitgesellschaft sicherlich wertvoll und gut. Den gesundheitsbezogenen Bewegungsbereich nur hierauf zu beschränken ist jedoch genauso töricht, wie normale körperliche Alltags- und Freizeitaktivitäten in ihren präventiven und gesundheitsbezogenen Wirkungen zu diskriminieren. 

Was die zukünftigen Denk- und Lösungsansätze für den Bewegungsbereich angehen, scheint ein Rückblick auf die Vergangenheit heute noch lohnenswert. Bereits in der Antike berichtet Demokrit, dass die Menschen die Götter um Gesundheit anflehten und offensichtlich – wie auch heute – nicht „verstanden“, dass sie hierfür primär selbst verantwortlich sind. Die hieraus von Hippokrates gezogenen Schlussfolgerungen und Konsequenzen sind aus heutiger Sicht nicht nur bemerkenswert, sondern auch pragmatisch und lösungsorientiert. „Der Mensch braucht einen Sportlehrer als Wegbegleiter, um ein vernünftiges Bewegungs- und Ernährungsverhalten zu gewährleisten“! Ein Sportlehrer versteht sich, der den Menschen im klassischen und ganzheitlichen Sinne und nicht nur als funktions- und bewegungsorientiertes Objekt betrachtet. 

Wenn wir uns bei zukünftigen Bemühungen und Auseinandersetzungen zum Thema Bewegung und Bewegungsverhalten darauf zusätzlich noch einigen könnten, Lösungsansätze in den Vordergrund zu stellen, würden wir bereits hierdurch Vieles sehr einfach und erfolgreich bewegen können! 

Ihr 

Dr. Dieter Lagerstrøm

    >