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DOI: 10.1055/s-0031-1281652
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York
Interventionelle Radiologie – eine Standortbestimmung
Interventional Radiology – State of the ArtPublication History
Publication Date:
31 August 2011 (online)
Vom 10. bis zum 14. September dieses Jahres findet der Jahreskongress der CIRSE (Cardiocascular and Interventional Radiological Society of Europe) erstmals nach knapp 25 Jahren wieder in Deutschland statt – ein geeigneter Anlass, um ein wenig über die Interventionelle Radiologie zu reflektieren.
Die Entwicklung der Interventionellen Radiologie (IR) in diesem Vierteljahrhundert war nicht unkompliziert und durchaus bewegt. Verankert in der Weiterbildungsordnung war und ist die IR fester Bestandteil der Radiologie und ist ohne diagnostische Radiologie – zumindest in Deutschland – kaum denkbar. Dies gilt umso mehr, da sie ja auf der Integration von verständiger, radiologischer Bildinterpretation und unmittelbar bildgestützter Therapie beruht.
Nicht zuletzt deshalb liegt es in der Natur der Sache, dass die IR immer wieder die Grenzen des diagnostischen Territoriums zu überschreiten scheint, sich vermeintlich und gelegentlich tatsächlich auf die „Seite eines klinischen Faches” schlägt, die radiologischen Wurzeln zu vergessen oder sich von diesen zu lösen scheint. Dies erzeugt Misstrauen, einerseits auf Seiten der Radiologie, die befürchtet, Teile der genuinen Kompetenz an den interventionell tätigen Radiologen, der sich nicht mehr dem eigenen Fach verbunden fühlt, zu verlieren, andererseits bei denjenigen Fachdisziplinen, die zahlreiche radiologisch-interventionelle Verfahren als Einmischung in und Angriff auf die eigene Kompetenz betrachten und diesen zugegebenermaßen vielfach auch so erfahren. Dabei erzeugt die Demonstration des erfolgreichen Einsatzes von IR-Verfahren in hohem Maße auch Begehrlichkeiten gerade bei diesen Fachdisziplinen, die IR-Methoden dem technisch-praktischen Spektrum des eigenen Fachgebiets einzuverleiben. Gerade die Diskussion um die endovaskulären Eingriffe ist hierfür ein beredtes Beispiel, das hier nicht weiter ausgeführt zu werden braucht [1] [2] [3] [4].
Andererseits betrachten viele nicht radiologischen Fachdisziplinen die IR als kompetenten Partner in komplexen Diagnose- und Therapiesituationen, wie sich z. B. an der zunehmenden Akzeptanz IR-onkologischer, minimalinvasiver Verfahren zeigt, die vielfach schon in nationalen Leitlinien und internationalen Konsensusempfehlungen Eingang gefunden haben [5] [6] [7] [8] [9] [10] [11].
Seit den ersten Anfängen der IR vor knapp 50 Jahren mit der Erfindung der Katheterdilatation durch Charles Dotter hat die IR eine bemerkenswerte Entwicklung durcheilt und ist zu einem wesentlichen Schrittmacher der minimalinvasiven, bildgestützten Verfahren geworden. Diese Erfolgsgeschichte spiegelt sich auch in der „Geschichte” der IR in der deutschen Radiologie und Röntgengesellschaft wider.
Schon früh erkannte die DRG die Notwendigkeit der Beschäftigung mit der IR über die Tatsache hinaus, dass es sich bei IR-Verfahren um Bestandteile der Weiterbildungsordnung handelt, und verhalf Interessierten mit der AGIR (Arbeitsgemeinschaft Interventionelle Radiologie) zu einer Plattform insbesondere zum wissenschaftlichen Austausch. Zunehmende fachpolitische Diskussionen um Inhalte und Kompetenzen der IR ließen es dann im Lauf der Jahre opportun erscheinen, der Arbeitsgemeinschaft gerade für diese Auseinandersetzungen mehr Gewicht zu verleihen, weshalb die AGIR im Jahr 2008 in die Deutsche Gesellschaft für Interventionelle Radiologie und minimalinvasive Therapie (DeGIR) überführt wurde.
Seither hat sich die DeGIR mit aktuell mehr als 850 Mitgliedern in kurzer Zeit zu einer der mitgliederstärksten, radiologischen Fachgesellschaft neben der DRG entwickelt, wobei die DeGIR den stärksten Landesverband in der CIRSE stellt, der mit aktuell knapp 5000 Mitgliedern weltweit größten interventionell-radiologischen Fachgesellschaft.
Vor dem Hintergrund der stetig steigenden Bedeutung der IR hat sich die DeGIR zur Aufgabe und zum Ziel gesetzt, die Forschung und Fortbildung auf dem Gebiet der IR als Bestandteil der Radiologie zu fördern sowie Rahmenbedingungen für die Ausbildung in der interventionellen Radiologie in der Ausbildung zum Radiologen zu schaffen.
Dies ist schon in vielen Bereichen in eindrucksvoller Weise gelungen. So umfasst die Qualitätsoffensive der DeGIR einerseits ein für andere Fachdisziplinen beispielloses Zertifizierungsprogramm (http://www.degir.de/site/zertifizierte-spezialisierung) sowie eine in der radiologischen Welt bisher einmaligen Dokumentation zur Qualitätssicherung (http://www.degir.de/site/qualitaetssicherung). Die DeGIR hat damit auf dem Gebiet der IR eine europäische Vorreiterrolle übernommen.
Die Aktivitäten der DeGIR erstrecken sich darüber hinaus von der Programmgestaltung für zahlreiche Fortbildungsveranstaltungen, die regelmäßige Organisation des Interventionell-radiologischen Olbert Symposiums (IROS) gemeinsam mit der Österreichischen Gesellschaft für Interventionelle Radiologie (ÖGIR) und der Schweizerischen Gesellschaft für Kardiovaskuläre und Interventionelle Radiologie (SSCVIR), über die substanzielle Gestaltung des diesjährigen CIRSE-Kongresses in München, die Entwicklung von Leitlinien und Standards-of-practice bis hin zur Formulierung von Abrechnungsanträgen und OPS-Codes und die Auseinandersetzung mit verschiedensten Organisationen in medikolegalen Fragen, die die IR betreffen.
Letztlich hat die „Sichtbarkeit” der IR in den letzten Jahren signifikant zugenommen, erkennbar am hohen Interesse schon jüngerer Kollegen an interventionellen Verfahren sowie deren wissenschaftlichen Aktivitäten auf diesem Gebiet. So finden sich allein in der RöFo in den letzten beiden Jahrgängen knapp 50 interventionell-radiologische Forschungs- und Weiterbildungsbeiträge – d. h. mindestens zwei Beiträge pro Heftausgabe, die die IR-Aktivitäten eindrucksvoll demonstrieren [7] [9] [12] [13] [14] [15] [16] [17] [18] [19] [20] [21] [22] [23] [24] [25] [26] [27] [28] [29] [30] [31].
Um die Frage zu beantworten, welche zukünftige Rolle die IR spielen wird, muss sicherlich kein Orakel befragt werden: Die Bedeutung der IR als eine der wesentlichen Säulen der minimalinvasiven Therapien wird weiter zunehmen. Nur, von wem wird die IR ausgeübt werden bzw. wo wird IR angesiedelt sein? Mehrere Faktoren werden dabei die Entwicklung beeinflussen.
Die „Kontrolle über den Patienten” erwies sich bisher meist als einer der entscheidendsten Faktoren. Diese Kontrolle wird von klinischen Fachgebieten kaum aufgegeben werden, allenfalls in Verteilungskämpfen entschieden, und eventuell durch die Akquisition von IR-Techniken sogar gefestigt. Bedenkt man aber die aufgrund demografischer Entwicklungen stark zunehmende Zahl an notwendigen minimalinvasiven Therapiemaßnahmen einschließlich IR-Maßnahmen in der nächsten Zukunft, so werden die in einem Fachgebiet zur Verfügung stehenden Personalressourcen und deren Ausbildung und klinisch-praktische wie wissenschaftliche Erfahrung gerade das Angebot an Interventionen eventuell regulieren. Eine sehr vereinfachte, beispielhafte Betrachtung möglicher Leistungserbringer von vaskulären Eingriffen im weitesten Sinne liefert [Tab. 1]. D. h. selbst bei erklärtem Willen der Übernahme von IR-Maßnahmen durch nicht radiologische Fachgebiete, wird die Leistungsfähigkeit der vorhandenen, potenziellen Leistungserbringer durch die Flut der durchzuführenden Maßnahmen bald erschöpft sein. Sollten konkurrierende Fachdisziplinen also nicht in der Lage sein, ausreichend Nachwuchs mit entsprechender Expertise zu generieren, so muss die Sorge um eine „feindliche Übernahme” der IR wohl nicht so groß sein, auch wenn lokale Verteilungskämpfe unverändert lästig und unangenehm bleiben werden.
Tab. 1 Gesamtanzahl von Fachärzten und zugeordnete OPS-Leistungen im Jahr 2009, ohne Berücksichtigung, dass bestimmte Leistungen nur unter stationären Bedingungen durchgeführt werden, und hierfür die Anzahl verfügbarer Fachärzte im Klinikbereich zum Teil viel niedriger ist (Ärztestatistik 2009, Bundesärztekammer). Disziplin Anzahl OPS OPS/Arzt Gefäßchirurgie 1 206 550 000 456 Kardiologie 4 193 720 000 171 Angiologie 595 ? ? Radiologie 6 806 – IR/Radiologie 850 150 000 176
Welche Zukunftsszenarien sind aber dann für die IR denkbar? IR als eine eigene Fachdisziplin, diagnostische und interventionelle Radiologie vereint wie bisher in einem Fachgebiet oder IR-Partnerschaft mit organbezogenem Fachgebiet?
Die Vorstellung einer eigenen, von der diagnostischen Radiologie losgelösten IR-Fachdisziplin mag auf den ersten Blick konsequent und bestechend erscheinen, bei genauerer Betrachtung überwiegen jedoch die Probleme und Risiken. Ein neues Fachgebiet müsste sich unter Berücksichtigung aller medikolegaler Belange erst etablieren, dies vor dem Hintergrund äußerst aktiver und gut organisierter Konkurrenz. Bei zunehmender Organspezialisierung müsste sich die IR-Fachgesellschaft dann auch gleich zur „Profilschärfung” zumindest in ein vaskuläres und ein onkologisches Gebiet aufteilen, was die Zahl der jeweiligen Leistungserbringer wiederum vermindert. Diese Überlegungen haben im Wesentlichen dazu geführt, dass der Gedanke einer eigenständigen IR-Fachgesellschaft, der noch Mitte der 2010er-Jahre national wie international heftig diskutiert wurde, mittlerweile von den meisten ehemaligen Protagonisten fallen gelassen wurde.
Die zweite Perspektive, d. h. Halten der aktuellen Position einer in Personal- oder Abteilungsunion vereinten diagnostischen und interventionellen Radiologie, erscheint bekannt und komfortabel, wird jedoch der Kompetition mit anderen Fachgebieten und Subspezialitäten um begrenzte Erkrankungsentitäten und Methoden auf Dauer vermutlich nicht gerecht. Dies gilt in gleichem Maße für die jeweils alleinige diagnostische wie interventionelle Radiologie, wobei z. B. nur an die organbasierte MRT erinnert sei, für die bei vielen Fachdisziplinen großes Interesse besteht.
Während sich die meisten Fachdisziplinen über einen Organ- und Erkrankungsbezug definieren, ist die Radiologie, diagnostisch wie interventionell, als Querschnittsfach primär technikdefiniert. Während sich die menschlichen Organe und ihre Erkrankungen zukünftig wohl nur wenig ändern werden, allenfalls Erkenntnisse funktioneller wie pathologischer Zusammenhänge auf molekularer Basis noch zunehmen werden, wird sich die radiologische Technik und Technologie wie bisher schon weiter rasch wandeln. So erlaubt die Extrapolation aus der Vergangenheit den Schluss, dass die fortschreitende Entwicklung mutmaßlich zu einfacher zu handhabenden bildgebenden Systemen mit höherer diagnostischer (und therapeutischer) Sicherheit führen wird (was letztlich für alle Fachgebiete gilt). Bisher ist es der Radiologie gelungen, die technische Kompetenz und Vorreiterstellung bei neuen Entwicklungen zu behalten oder nur zögerlich abzugeben. Sie muss sich aber dem medizinischen Wandel mit der starken Tendenz hin zu organbasierter Spezialisierung stellen. Dabei sollte es weniger darum gehen, die organspezifische diagnostische von der organspezifisch interventionellen Radiologie zu trennen, sondern beide radiologischen Bereiche mit ihren Stärken vereint anzubieten, denn darin liegt die Stärke der gesamten Radiologie.
Die aktuellen medizinischen Entwicklungen in Diagnostik und Therapie betreffen alle Fachgebiete, die Radiologie hat allerdings die u. U. nicht ganz leichte Aufgabe, sich, trotz aller Begeisterung für den technischen Fortschritt, von der eigentlichen Aufgabe, nämliche der Behandlung von Patienten, ins Abseits drängen zu lassen. Das Beispiel USA mit einer ausbildungstechnisch bedingten und geförderten Differenzierung von diagnostischer und interventioneller Radiologie belegt, wie rasch die Übernahme radiologischer Kompetenz durch andere Fachgebiete gelingt und die Radiologie aus der Versorgung z. B. von Gefäßpatienten gedrängt werden kann. Andererseits gibt es genügend Beispiele dafür (Beispiel: Gefäß- und Onkologiezentren), dass der Radiologe, der Diagnostik und Intervention integrativ und hoch kompetent anbietet, zum festen Bestandteil interdisziplinärerer Behandlungsteams wird und diese aufgrund seines integrativen, Fachgrenzen übergreifenden Verständnisses häufig maßgeblich beeinflusst. Diese Rolle sollte die Radiologie aktiv verfolgen.
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Prof. Dr. Thomas Helmberger
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