Geburtshilfe Frauenheilkd 2012; 72(3): 192-193
DOI: 10.1055/s-0031-1280444
Geschichte der Gynäkologie
Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Female Genital Mutilation (FGM). Geschichte der Beschneidung weiblicher Genitalien

Hans Ludwig
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Publikationsdatum:
05. April 2012 (online)

„FGM ist Folter“. Waris Dirie (2005)

Der Ausdruck „Beschneidung“ kommt einer Verharmlosung gleich. Bei Mädchen und Frauen ist die Kürzung oder Entfernung der Klitoris evtl. unter Mitnahme der Labia clitoridialis („Sunna“), die Entfernung der kleinen Schamlippen oder sogar die darauf folgende Vernähung des Introitus vaginae (Infibulation) eine Verstümmelung – unabhängig vom Grade des Eingriffs in die körperliche Integrität. In jeder Hinsicht ist sie nicht gleichzusetzen der Beschneidung bei Knaben oder Männern aus rituellen oder hygienischen Beweggründen. Die Entfernung des Präputiums bei Knaben hat keine nachteiligen Folgen, im Gegensatz zu allen Maßnahmen, die unter „Beschneidung des weiblichen Genitales“ zusammengefasst werden. Deshalb hat sich richtigerweise seit einiger Zeit durchgesetzt, alle Formen einer solchen „Beschneidung“ des weiblichen Genitales als „Verstümmelung“ (female genital mutilation) zu verstehen [1–5]. Damit wird benannt, was es in Wirklichkeit ist. Mir fällt dazu nur eine kulturhistorische Parallele ein, nämlich die Einschnürung der Füße junger vornehmer Frauen in der chinesischen Kaiserzeit mit der Absicht, den Fuß so klein und schlank wie möglich erscheinen zu lassen. Es darf hier aber keineswegs verschwiegen werden, dass sich nicht wenige Frauen, die auch in einer Umgebung, in die sie eingewandert sind, in ihrem ursprünglichen soziokulturellen Milieu verankert bleiben, gegen Maßnahmen wie Defibulation (Wiedereröffnung) aussprechen, weil sie mit ihrem Zustand durchaus im Reinen sind, selbst wenn sie unter Beschwerden leiden (Dysmenorrhö, Urinentleerungsstörungen, Infektionen). Besonderes Einfühlungsvermögen und Taktgefühl ist von allen gefordert, die solche Patientinnen behandeln [6, 7].

Es ist nicht so sehr eine religiöse als vielmehr eine kulturelle, patriarchalisch gefärbte Motivation, die diese Eingriffe an jungen Mädchen oder Frauen erzwingt. Der Koran spricht sich an keiner Stelle dazu befürwortend aus, wenngleich es überwiegend islamische Länder (äquatorialer Gürtel Afrikas vom Senegal bis nach Somalia, [Abb. 1]) sind, in denen es verbreitet ist. Bekannt war es schon in der pharaonischen Zeit des alten Ägyptens und hat sich in den genannten Regionen, dazu in manchen Gebieten Südost-Asiens, als eine Art von Ritus erhalten [3]. Die Gründe sind komplex. Es gehören dazu in erster Linie Tradition, aber auch die Vorstellung von Reinheit des weiblichen Genitales, der Virginität vor der Ehe, der Verhütung der Masturbation, der ehelichen Treue, und sogar entblößter Schönheit.

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Abb. 1 Verbreitung von ritueller Genitalverstümmelung bei Mädchen auf dem afrikanischen Kontinent (Quelle: [33]).

Die heutige Medizin kennt eine Reihe von Komplikationen, die vor allem nach Infibulation auftreten können: Infektionen und Blutungen im Zusammenhang mit dem Eingriff, der unter unsterilen Bedingungen mit primitiven Instrumenten von bestimmten, darin besonders geübten Frauen ohne Betäubung ausgeführt wird. Das psychische Trauma der Mädchen, welche die Prozedur erdulden müssen, kann gewaltig sein und zwar auch dann, wenn „nur“ das Praeputium clitoridis entfernt wird [8]. Zu den späteren Komplikationen gehören Dyspareunie, Dysmenorrhö, Harnwegsinfekte, Dysurie, Keloide, seltener vesikovaginale oder anale Fisteln. Schwierigkeiten bei der vaginalen Geburt wie Protraktion des Austritts oder Lazerationen des Dammes und der Vagina sind nach Infibulation geradezu zwangsläufig zu erwarten, ungeachtet großzügiger Episiotomie. Unter traditionellen Zwängen werden meist Re-Infibulationen (Wiedervernähung des lazerierten Introitus) nach der Entbindung eingeplant und vorgenommen. Ungeachtet dieses Martyriums finden sich die meisten der „beschnittenen“ Frauen in der heimischen Umgebung mit dieser drohenden Sequenz der Ereignisse ab. Der Bruch mit ihrer kulturellen Tradition tritt erst ein, sobald sie in andere Kulturkreise auswandern, wo man ihnen nicht immer mit hinreichendem ärztlichen Verständnis begegnet.

UNICEF, WHO und FIGO bekämpfen die genitale Mutilation bei Frauen; soziokulturelle Gründe, welche dazu geführt haben mögen, treten vor dem Schutz der körperlichen Integrität in den Hintergrund. Viele Länder, darunter auch islamische, haben die Vornahme ritueller genitaler „Beschneidung“ inzwischen verboten, insbesondere für die Kinder aus Familien, welche sich zu diesen Traditionen bekennen und deren Mütter es an sich selbst haben erdulden müssen. Ärzten dieser Länder ist es untersagt, Eingriffe zur genitalen Beschneidung an Mädchen vorzunehmen, auch wenn sie von den Eltern darum gebeten würden. Das Strafrecht dieser Länder sieht darin eine Körperverletzung und ahndet entsprechend [5].

Aber sind Frauen, die sich in unseren Ländern Verschönerungsoperationen unterziehen, und dafür Opfer bringen, damit ihre Erscheinung einem Idealbild eher genügt, nicht ebenso fremdbestimmt, obgleich sie sich das selten eingestehen, wenn sie die Entscheidung treffen? Hier in den blitzenden Kliniken von Los Angeles, Zürich oder am Bodensee, schmerzlos und von virtuosen Operateuren umsorgt, dort im Staub eines Dorfes, ohne gefragt zu werden, als Mädchen aus Familien, von denen sie gezwungen werden, der Überlieferung zu gehorchen, um an ihrem noch unausgereiften Genitale blutig schnitzen zu lassen. Beide, die emanzipierte westliche Frau wie das unwissende, traditionellen Riten unterworfene Mädchen lassen die Natürlichkeit ihres Körpers verfremden, freiwillig oder genötigt. Und beide leiden für ein Ideal, das ihnen von außen nahegebracht und aufgezwungen wird, Opfer sind beide.

Literatur beim Autor.

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Prof. Dr. med. Hans Ludwig