Diabetologie und Stoffwechsel 2011; 6 - P158
DOI: 10.1055/s-0031-1277429

Probleme am Arbeitsplatz und Inzidenz von schweren und nicht schweren Hypoglykämien bei Patienten mit Diabetes mellitus

K Reise 1, V Hartung 1, C Kloos 1, C Kellner 1, N Müller 1, G Wolf 1, UA Müller 1
  • 1Universitätsklinikum Jena, Klinik für Innere Medizin III, Jena, Germany

Fragestellung: Hypoglykämien (HYPOs) können mit einer Verminderung der kognitiven Reaktionsfähigkeit einhergehen und zu Gefahren für den Patienten, seine Umgebung und so auch zu Schwierigkeiten im Beruf führen. Die Initiierung einer Insulintherapie hat so beispielsweise bei Kraftfahrern oder Polizisten beträchtliche Konsequenzen. Aktuelle Arbeitsmedizinrichtlinien geben an, dass 10% der insulinbehandelten Patienten mindestens eine schwere HYPO pro Jahr erleiden und bei konventioneller Insulintherapie 2–3 nicht schwere HYPOs pro Woche auftreten.

Wir untersuchten die Inzidenz schwerer und nicht schwerer HYPOs bei berufstätigen Patienten mit Diabetes mellitus Typ 1(DM1) und 2(DM2), um die Aktualität dieser Daten in den Diabetestypen zu verifizieren.

Methodik: In einer Hochschulambulanz für Endokrinologie erfassten wir die Häufigkeit sämtlicher HYPOs bei 162 berufstätigen Patienten unter Insulintherapie mittels eines standardisierten Fragebogens: 100 DM1 (Alter 41,8J; 17,2J Diabetesdauer; BMI 25,6kg/m2; HbA1c 7,5%) und 62 DM2 (Alter 54,1J, Zeit seit Diagnose 12,4J; BMI 32,6kg/m2; HbA1c 7,4%). Alle Patienten haben in den letzten 20 Jahre an einem strukturierten Schulungsprogramm teilgenommen.

Wir definierten nicht schwere HYPOs als Zustand mit typischen Symptomen einer HYPO und rascher Besserung nach Kohlenhydratzufuhr oder einem Blutglukosemesswert unter 2,2mmol/l (40mg/dl) auch ohne Symptome. Eine schwere HYPO definierten wir als Notwendigkeit einer i.v. Glukosegabe oder i.m. Glukagoninjektion.

Wir bildeten eine Likert-Skala von 1–6 um Beeinträchtigung durch Unterzuckerungen und Schwierigkeiten am Arbeitsplatz (SA) zu messen (1: keine; 6: sehr große). Die Patienten wurden in keine SA (Score 1–3) und SA (Score 4–6) gruppiert. Klinische und laborchemische Daten stammen aus der elektronischen Patientenakte EMIL (http://www.itc-ms.de). HbA1c wurde anhand der DCCT adjustiert.

Ergebnisse: Mindestens eine nicht schwere HYPO pro Quartal trat zu 94,0% bei DM1 und zu 43,5% bei DM2 auf. Die mittlere Häufigkeit pro Woche war 1,81; 0,26 (p<0,01). Schwere HYPOs in den letzten 12 Monaten hatten 8% der DM1 (0,1/Pat/J) und niemand bei DM2, p<0,05. Seit Diagnose traten schwere HYPOs bei 33% DM1 und bei 5% DM2 auf.

Patienten mit DM1 gaben gleich häufig SA an wie jene mit DM2 (15,7%; 18,4%; p=0,92). Bei SA war die empfundene Beeinträchtigung durch HYPOs größer (5 vs. 3, p<0,01). Es ergaben sich keine statistisch signifikanten Unterschiede für Patienten mit bzw. ohne SA hinsichtlich der Häufigkeit schwerer HYPOs und nicht schweren HYPOs, wobei letztere tendenziell häufiger bei Patienten mit SA auftreten (2,0; 1,4/Pat/Woche; p=0,1).

Schlussfolgerungen: Die Häufigkeit von Hypoglykämien bei berufstätigen Patienten mit Diabetes ist niedriger als in den Standardwerken der Arbeitsmedizin angegeben wird, insbesondere bei Typ 2 wird sie bei weitem überschätzt.

Außerdem scheinen Schwierigkeiten am Arbeitsplatz mehr durch häufigere nicht schwere Hypoglykämien als durch schwere bestimmt zu sein.